Die Premierministerin Neuseelands, Jacinda Ardern
Reuters/Fiona Goodall
Parlamentswahl

Neuseelands Vorzeigechefin vor Bestätigung

Ministerpräsidentin Jacinda Ardern hat am Samstag beste Chancen, im Amt bestätigt zu werden – kein Wunder, führte sie Neuseeland in den vergangenen drei Jahren doch solide durch mehrere Krisen. Freundlichkeit und Charisma, zweifelsfrei ihre größten Trumpfe, würden jedoch nicht reichen, um die Wirtschaft anzukurbeln und Zehntausende Bürger und Bürgerinnen aus der Armut zu befreien, monieren Kritiker.

Letzten Umfragen zufolge lag Arderns Labour Party vor der coronavirusbedingt um zwei Monate verschobenen Parlamentswahl mit 48 Prozent deutlich vor der konservativen National Party (31 Prozent). Weit abgeschlagen folgten Grüne und Liberale. Arderns Umgang mit der Pandemie und ihrer Reaktion auf die Anschläge auf Moscheen in der Stadt Christchurch im März 2019 wurden breite Anerkennung gezollt.

48 Prozent wären zwar deutlich weniger als der Rekordwert von 59 Prozent, den Labour im Mai in einer Umfrage erzielte, aber genug, um mit der Unterstützung kleinerer Parteien weiter zu regieren. Dass Ardern überhaupt Premierministerin wurde, war eher Zufall: Aus der Wahl 2017 ging ihre Partei trotz klarer Zugewinne nur als zweitstärkste Kraft hervor. Die Konservativen, die zuvor drei Legislaturperioden lang an der Macht waren, hatten aber nicht genug Stimmen, um allein zu regieren.

Entscheidend wurde wegen einer Eigenheit des Wahlsystems die populistische Kleinpartei New Zealand First, die ihren Koalitionspartner selbst wählen durfte – und sich überraschend für Labour entschied. „Wir mussten uns zwischen einem Status quo oder einem Wandel entscheiden“, erklärte Parteichef Winston Peters damals. Als dritter Partner agierten fortan die Grünen.

Stimmabgabe an der Wahlurne
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Das Virus ist vorerst besiegt, am Samstag holt Neuseeland die verschobene Parlamentswahl nach

„Fünf-Millionen-Team“ und „Anti-Trump“

„Fünf-Millionen-Team“ nennt Ardern das neuseeländische Volk gerne – „Seid stark, seid freundlich“, lautete auch ihr Schlagwort im Kampf gegen das Virus. Ihr Ansatz, die am stärksten gefährdeten Gruppen – ältere sowie immunschwache Menschen – bedingungslos zu schützen, kam bei ihrem „Team“ gut an. Die Regierung reagierte schnell auf die Pandemie, ordnete eine der strengsten Ausgangssperren der Welt an und hatte damit Erfolg.

Nur rund zwei Dutzend Menschen sind in dem Land mit knapp fünf Millionen Einwohnern in Verbindung mit Covid-19 gestorben, die Zahl der registrierten Infizierten beläuft sich Daten der Johns-Hopkins-Universität zufolge auf unter 2.000. Im Juni erklärte sich Neuseeland zum ersten Mal coronavirusfrei und kehrte zur Normalität zurück. Ein zweiter Ausbruch in Auckland ist inzwischen auch unter Kontrolle: „Das ist ein großer Meilenstein. Die Neuseeländer haben das Virus erneut durch ihr gemeinsames Handeln zum Schweigen gebracht“, teilte Gesundheitsminister Chris Hipkins in der vergangenen Woche mit.

Kontrolle in der Krise

Neuseelands Grenzen sind seit März geschlossen, auf Kritik daran antwortete Ardern: „Die Alternative wäre es, die Grenzen zu öffnen und das Virus hineinzulassen. Dann hätten wir hier bald Szenen wie in Europa. Es würden Menschen leiden und sterben.“ Die Neuseeländer tragen diesen harten Kurs und die damit einhergehenden Freiheitsverluste zu großen Teilen mit.

Als Krisenmanagerin hat sich die erst 40-jährige Ardern mehrfach bewährt, angefangen am 15. März 2019, als sich das blutigste Gewaltverbrechen in der jüngeren Geschichte des Landes ereignete: Ein Rechtsextremist schoss in zwei Moscheen in Christchurch auf muslimische Gläubige, 51 Menschen starben, Dutzende weitere wurden verletzt. Der emphatische Umgang der Regierungschefin in den Folgetagen machte sie international bekannt und brachte ihr die Bezeichnung „Anti-Trump“ ein. Sie galt als Mitfavoritin für den unlängst vergebenen Friedensnobelpreis, das „Time“-Magazin führte sie 2019 in der Liste der hundert einflussreichsten Personen weltweit.

Hinweisschilder zur Stimmabgabe in Neusseland
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Arderns Bilanz kann sich sehen lassen, ihrer Wiederwahl dürfte nicht viel entgegenstehen

Kinderarmut anhaltend hoch

Doch auch Adern glückte nicht alles, Kritik gab es vor allem daran, dass sie es versäumt habe, die Kinderarmut in Neuseeland zu bekämpfen – eines ihrer wichtigsten Versprechen, als sie 2017 an die Macht kam. Ein Jahresbericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), der Anfang September veröffentlicht wurde, verglich die Leistungen von 41 Ländern mit hohem Einkommen in Fragen der Kinderwohlfahrt – von Suizidraten bis zu Fettleibigkeit, von Bildung bis zu Umwelt. Neuseeland landete auf dem 35. Platz. Einem BBC-Bericht zufolge gab es von Juni 2018 bis Juni 2019 Vorjahr keine wesentliche Änderung des Prozentsatzes der Kinder, die in materieller Not leben.

Besonders in Haushalten der Maori, der polynesisch-stämmigen indigenen Einwohner Neuseelands, und in jenen von Menschen von den pazifischen Inseln ist die Armut bemerkenswert hoch: Ein Drittel bis ein Viertel der Kinder lebt in materieller Not. Geschuldet ist das einer Kombination aus geringen Sozialleistungen und hohen Mieten. „Weiße Neuseeländer haben eine ganz andere Lebenserfahrung als unsere Maori- oder Pacifica-Bürger“, zitierte die BBC Vivien Maidaborn, Geschäftsführerin von UNICEF Neuseeland.

Die Oppositionsführerin Neuseelands, Judith Collins
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Oppositionsführerin Judith Collins möchte Ardern das Spitzenamt streitig machen

Spitzenamt bleibt in Frauenhand

Zudem haben die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie – trotz deren Bewältigung – große Gräben aufgerissen. Das will Arderns konservative Widersacherin Judith Collins nutzen. Die 61-Jährige, die schon viele Ministerposten besetzt hat, versucht mit ihrer langjährigen politischen Erfahrung zu punkten. „Wir nähern uns der tiefsten Rezession seit Menschengedenken. Das Finanzministerium hat prognostiziert, dass 100.000 weitere Neuseeländer ihre Arbeit verlieren werden“, warnte Collins im Wahlkampf.

Sie präsentierte sich selbst als Krisenmanagerin: „Wir brauchen eine Regierung mit nachgewiesener wirtschaftlicher Kompetenz und Glaubwürdigkeit, mit einem Plan für die Erholung nach Covid und der Fähigkeit, diesen Plan umzusetzen.“ Dass sich Collins gegen Adern durchsetzen wird, gilt als höchst unwahrscheinlich. Mit großer Sicherheit bleibt aber eine Frau an der Spitze Neuseelands.