Rekonstruierte Bilder zeigen prähistorische Realität
ORF
Hallstatt in 3-D

Frühgeschichte zum Durchwandern

Globalisierung, Migration, sich wandelnde Geschlechterrollen: alles nicht neu, alles schon da gewesen – zum Beispiel in der Hallstattzeit. Durch 3-D-Scanner und virtuelle Realität wurden in den letzten Jahrzehnten Quantensprünge gemacht, in der archäologischen Forschung und in der Vermittlung von Wissen, das die Gegenwart durch den Blickwinkel der fernen Vergangenheit in ein neues Licht rücken soll.

Seit rund 7.000 Jahren wird in Hallstatt Salz abgebaut. Die Spuren der prähistorischen Bergleute finden sich noch überall, konserviert im Inneren des Salzberges und im Schlamm des Hallstätter Sees. Archäologinnen und Archäologen des Naturhistorischen Museums in Wien machen in Zusammenarbeit mit Multimediaprofis das Leben der Vorfahren sichtbar und interaktiv erlebbar.

Seit 1997 ist Hallstatt Weltkulturerbe und zieht, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, jährlich Millionen Besucherinnen und Besucher an. Grund für den Welterbestatus ist aber nicht die malerische Seekulisse, es sind die vom Salz konservierten organischen Spuren des frühen Salzabbaus. Kindermützen, Werkzeug, Essensreste und Handschuhe, die nach einem langen Arbeitstag im Stollen weggeworfen wurden – jedes Fundstück ist ein Puzzleteil, um das Leben der bronze- und eisenzeitlichen Hallstätter Bergleute zu einem detaillierten Bild zusammenzusetzen.

Das Salzbergwerk von Hallstatt

Bilder, die Geschichte lebendig machen, zeigt „Universum History“ gemeinsam mit dem Naturhistorischen Museum Wien.

Hologramme im Stollen

Hallstatt ist ein Welterbe, das von außen unsichtbar ist. Daher arbeiten die archäologischen Teams unter der Leitung von Hans Reschreiter schon seit Jahren an Konzepten, die das Bergwerk virtuell erlebbar machen sollen: „Erst durch die Visualisierung kann das Erbe verstanden und in seiner Einmaligkeit vermittelt werden“, so Reschreiter. 3-D-Scans sind in der Wissenschaft und in der kulturgeschichtlichen Archivierung seit dem Ende der 90er Jahre zunehmend gebräuchlich.

Einen Wendepunkt markierte der 3-D-Scan des David von Michelangelo im Jahr 2000. Seither wurden international Hunderttausende Artefakte und Kunstgegenstände gescannt, es entstanden zahllose virtuelle Museen und virtuelle Rundgänge durch historische Stätten und Lebenswelten. Einhergehend mit dieser Evolution der Medientechnologie wurde auch das Angebot in Hallstatt Stück für Stück erweitert. Zu einfachen Zeichnungen und Illustrationen – den „Lebensbildern“ – kamen in den letzten Jahren Projektionen, Virtual Reality, Hologramme und 3-D-Animationen wie die weiter unten gezeigte.

Rekonstruierte Bilder zeigen prähistorische Realität
NHM
In der Kinderbuchästhetik des 19. Jahrhunderts wurde in Zeiten vor der Virtualisierung mit „Lebensbildern“ das prähistorische Leben rekonstruiert – basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen

TV-Hinweis

„Universum History“: „Hallstatt und das weiße Gold – Die Salz-Saga“, Dienstag, 27.10., 21.05 Uhr, ORF2

Dreidimensionales Stollensystem

Unter dem Motto „Making the invisible visible“ wurden im Rahmen des EU-Projekts VirtualArch Möglichkeiten erdacht, das enorm verzweigte und insgesamt 4.000 Meter lange Stollensystem digital zu visualisieren. In einem aufwendigen Prozess, der 2014 startete, wurden mehrere Kilometer Stollen mit einem Spezialscanner abgetastet. Die Fundstellen wurden mit insgesamt 56.000 Einzelbildern abfotografiert und mit einer Textur versehen.

Das Resultat: eine dreidimensionale Abbildung des Stollensystems, durch das User sich durchklicken und so seine Struktur und Dimension verstehen können. So wird Geschichte auch für Laien „begehbar“ und dadurch greifbar. Der Archäologe Daniel Brandner hat die 3-D-Simulation erstellt. Er erklärt: „Dreidimensionale Dokumentation ist nicht nur eine wichtige Grundlage für die Erforschung, sondern hier können sich alle Interessierten vertiefen und zum Beispiel die originalen Abbauspuren digital erkunden.“

Rekonstruierte Bilder zeigen prähistorische Realität
ORF
Die Realität der Bronzezeit virtuell in Szene setzen: Links Andreas Scheucher, Medienregisseur; rechts Hans Reschreiter, Archäologe des NHM

3-D-Animation zum Durchklicken

Man braucht ein wenig Geduld, um im 3-D-Modell zu navigieren, und darf keine Grafik in aktueller Computerspielqualität erwarten – aber wer sich etwas Zeit nimmt, bekommt nach und nach einen Eindruck, wie es gewesen sein muss, in einem bronzezeitlichen Bergwerk gearbeitet zu haben. Mit der Maus dreht man sich, mit Shift plus Maus geht es hoch und nieder bzw. links und rechts im Modell (das muss man ein wenig üben), mit Strg plus Maus bewegt man sich vorwärts und rückwärts, markierte Punkte kann man für nähere Informationen anklicken.

Gigantische Abbauhallen

Dieselben Daten wurden verwendet, um in virtueller Realität die Umgebung einer prähistorischen Abbauhalle umzusetzen. Diese Abbauhallen waren vor allem in der Bronzezeit, also vor rund 3.000 Jahren, von gigantischer Größe: bis zu 300 Meter lang und 20 Meter hoch. Sie sind zum Großteil verschüttet, und es wäre unmöglich, sie vollständig auszugraben. Die Daten erlauben es, ein Raumgefühl für die Dimension der Bergwerke jener Zeit zu bekommen.

Der Hallstätter Salzabbau war ein industrieller Großbetrieb, der enorme Man- und Womanpower, Infrastruktur und eine straffe Organisation erforderte. Durch die VR-Brille findet sich der User im Zentrum einer gewaltigen Abbauhalle wieder, kann den prähistorischen Bergleuten bei der Arbeit zusehen und sich durch den riesigen Raum im Inneren des Berges klicken. Arbeitsabläufe, Werkzeuge und Kleidung werden lebensecht dargestellt – das dient nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch als Trainingstool für Nachwuchsarchäologinnen.

Rekonstruierte Bilder zeigen prähistorische Realität
Scenomedia/NHM
Frauen, Männer und Kinder arbeiteten im Salzbergwerk

Mächtige Frauen

Nicht nur der Salzberg birgt Tausende Hinweise auf das Zusammenleben einer eingeschworenen Gemeinschaft am Berg, sondern auch das berühmte Hallstätter Gräberfeld. Es liegt im Hochtal, ein paar hundert Meter vom Stolleneingang entfernt. Grabbeigaben wie Schmuck aus Italien und Elfenbein aus Nordafrika erzählen abenteuerliche Geschichten – von einer vernetzten Gesellschaft, die sich durch einen weit verzweigten Salzhandel Wohlstand erarbeitete. Ihr Markenzeichen, die „Salzherzen“, waren in ganz Europa bekannt und begehrt.

Die Gräber erzählen auch von einer Gesellschaft, in der Frauen mächtige Positionen innehatten und wirtschaftliche Beziehungen in ganz Mitteleuropa pflegten. Die aber auch, genauso wie Kinder, unter Tag anpackten und harte Arbeit leisteten. Die Mär von Frauen, die im Bergwerk Unglück bringen, dürfte es damals offenbar noch nicht gegeben haben. Biologistische Argumentationen, die noch heute eine ungleiche Stellung von Mann und Frau historisch rechtfertigen sollen, gehen ins Leere, wie man daran sieht.

Bergleute als Projektion

Um diese gesellschaftliche Vielfalt in all ihren Facetten abzubilden, wurde im Schaubergwerk ein archäologisches Fundstück, das in der Fach-Community als Sensation gilt, mit moderner Technologie verwoben und zur „Projektionsfläche“ gemacht: die älteste Holzstiege Europas, die 2002 vollständig erhalten vom archäologischen Team rund um Reschreiter gefunden wurde. Um dieses statische Fundstück mit Leben zu füllen, wurde es im Stollen vor einer durchsichtigen Leinwand platziert. Auf diese werden animierte Darstellungen der Bergleute projiziert.

Die Stiege bekommt so ihre ursprüngliche Funktion wieder: Menschen gehen über sie auf und ab – Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Kleidung, Haartracht und Stil der prähistorischen Bergleute in der Projektion entsprechen dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand. Andreas Scheucher ist Medienregisseur und Gestalter der Stiegenprojektion: „Mit virtueller Realität wissenschaftliche Ergebnisse rüberzubringen und das Publikum dafür zu begeistern, das ist sicher ein Weg der Zukunft.“