Demonstrantinnen in Warschau
Reuters/Kacper Pempel
Polen

Erneut Proteste gegen Abtreibungsgesetz

In mehreren polnischen Städten haben am Montagabend erneut Tausende gegen die Verschärfung des Abtreibungsverbots demonstriert. Es war bereits der fünfte Protesttag nach der Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichts, dass auch Schwangerschaftsabbrüche aufgrund schwerer Fehlbildungen des ungeborenen Kindes verfassungswidrig seien.

In der Hauptstadt Warschau blockierten Demonstrierende zur Hauptverkehrszeit mehrere zentrale Verkehrskreisel sowie eine Brücke über die Weichsel. Der Fernsehsender TVN24 zeigte Bilder von Protestierenden, die Plakate mit der Aufschrift „Hölle für die Frauen“ und „Wir wollen die Wahl haben“ trugen.

Der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski appellierte an die Protestierenden, Provokationen zu vermeiden. „Eure Wut sollte euch nicht zu Aktionen verleiten, durch die unschuldige Personen zu Schaden kommen“, sagte der liberalkonservative Politiker laut Nachrichtenagentur PAP. Straßenblockaden gab es auch in Krakau, Poznan (Posen) und Wroclaw (Breslau).

Demonstrantin mit Schild in Warschau
Reuters/Kacper Pempel
Demo in Warschau: Die Proteste gegen den Entscheid des polnischen Höchstgerichts reißen nicht ab

Polen hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa. Die nun verworfene Ausnahme – schwere Fehlbildung beim Fötus – vom generellen Abtreibungsverbot ging auf einen Kompromiss aus dem Jahr 1993 zurück. Zuvor war das Gesetz liberaler gewesen. Nach Ansicht des Höchstgerichts verstößt die bisherige Regelung gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf Leben. Abtreibungen sind damit nur nach Vergewaltigungen und bei Gefahr für Leib und Leben der Mutter legal möglich.

PiS wandte sich an Verfassungsgericht

Das Höchstgericht hatte seine Entscheidung am Donnerstag fast einstimmig getroffen. Zwei der 13 Mitglieder gaben eine abweichende Meinung ab. Mehr als 100 Abgeordnete, überwiegend aus den Reihen der Regierungspartei PiS und der oppositionellen ultrarechten Konföderation, hatten sich mit ihrer Kritik an der Gesetzeslage an das Höchstgericht gewandt.

Das Gesetz verstoße gegen die Artikel 30 und 38 der Verfassung, argumentierten sie. Diese Artikel garantieren, dass die Würde des Menschen „ihm angeboren und unveräußerlich“ sei und die Republik Polen „jedem Menschen rechtlichen Schutz des Lebens gewährleistet“. Justizminister Zbigniew Ziobro unterstützte den Antrag der Abgeordneten. Die betreffende Regelung im Gesetz widerspreche der Verfassung, schrieb er dem Gericht als Generalstaatsanwalt.

Demo in Warschau
Reuters/Kacper Pempel
Protestierende in Polens Hauptstadt: Frauenrechtsorganisationen, Medizinerinnen und Mediziner kritisierten das Gerichtsurteil

Das von 1956 bis 1993 geltende liberale Abtreibungsgesetz Polens erlaubte Frauen in „schwierigen Lebensbedingungen“ einen Abbruch der Schwangerschaft. In den 1980er Jahren wurden bis zu 140.000 Abbrüche pro Jahr gezählt. Nach Inkrafttreten des folgenden Gesetzes gab es zunächst nur noch sehr wenige registrierte Schwangerschaftsabbrüche. 2005 waren es 225. 2019 wurden in Krankenhäusern rund 1.100 Schwangerschaftsabbrüche ausgeführt – in 97 Prozent der Fälle aufgrund des nun für verfassungswidrig erklärten Paragrafen.

Scharfe Kritik von Ärztinnen und Ärzten

Frauenrechtsorganisationen kritisierten das Urteil. Die Zahl der illegalen Abtreibungen mit gefährlichen Methoden werde damit steigen. Krystyna Kacpura von der Organisation für Frauenrechte und Familienplanung sagte: „Es ist grausam und verstößt gegen Menschenrechte, wenn Frauen gezwungen werden, eine Schwangerschaft zu Ende zu führen, obwohl der Fötus schwer geschädigt ist.“ Das sei „institutionalisierte Gewalt des Staates gegen Frauen“. Die Organisation geht davon aus, dass jedes Jahr 120.000 bis 150.000 polnische Frauen in Nachbarländer ausweichen, in denen es liberalere Gesetze gibt.

Auch Gruppen von Ärzten und Ärztinnen protestierten gegen die Entscheidung des Gerichts. Sie setze das Leben und die Gesundheit schwangerer Frauen aufs Spiel, hieß es. Mehr als 900 Ärzte und Ärztinnen unterzeichneten vor dem Urteil einen entsprechenden Appell. Mit der bisherigen Abtreibungsgesetzgebung erklärte sich einer Umfrage von 2019 zufolge die Hälfte der Polen zufrieden.

Die katholischen Bischöfe hingegen begrüßten die Entscheidung des Gerichtshofs. Der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, sprach von einer „epochalen Gesetzesänderung“. Die Entscheidung bestätige, „dass der Begriff des ‚lebensunwürdigen Lebens‘ in krassem Widerspruch zum Prinzip eines demokratischen Rechtsstaats steht“.

Zweifel an Legitimität des Höchstgerichts

Die Opposition zweifelt an der Legitimität des Verfassungsgerichts. Die EU-Kommission hatte 2017 ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen eingeleitet, weil sie den dortigen Rechtsstaat bedroht sieht. Kritiker und Kritikerinnen betonten, dass die PiS den Verfassungsgerichtshof mit loyalen Richtern und Richterinnen besetzt.