Die Frage ist wahrlich nicht neu. „Wann ist ein Mann ein Mann?“ sang Herbert Grönemeyer bereits 1984 in seinem Hit „Männer“. Und hierzulande war Rainhard Fendrich überzeugt: „Macho Macho, kannst ned lerna“. Was einen „echten“ Mann ausmacht, diese Überlegung erscheint in den 2000er Jahren jedoch überholt. An ihre Stelle traten feministische Debatten um den „alten weißen Mann“ und um „toxische Männlichkeit“. Auch das gesellschaftliche Sichtbarwerden von Transgender hat kräftig am biologischen Schicksal, das vermeintlich in XY-Chromosomen liegt, gerüttelt.
Parallel zu dieser Aufweichung wollen rechte Männerbewegungen, Vertreter des „Maskulismus“, den Testosteronpegel wieder heben und sich als „starkes Geschlecht“ fühlen. Die Kulturwissenschaften haben sich schon längst vom Mann-Sein als Thema verabschiedet und erforschen lieber vielfältige „Männlichkeiten“. Wie sich all diese Kontroversen in Bilder packen lassen, demonstriert derzeit die beachtliche Fotoausstellung „Masculinities: Liberation Through Photography“ im Berliner Gropius Bau und im Netz.
Die Schau mit 300 Bildern von 50 Künstlerinnen und Künstlern hat Alona Pardo vom Londoner Barbican Centre kuratiert. Den Auftakt machen „wahre“ Mannsbilder: Eine Parade der Archetypen führt vom Soldaten über den Cowboy bis zum Athleten. So hat der skandalumwitterte Fotograf Robert Mapplethorpe 1976 Arnold Schwarzenegger in Bodybuilderpose festgehalten; Rineke Dijkstra schoss in Portugal eine Porträtserie von Stierkämpfern mit blutigen Schrammen im Gesicht.
Online statt offline
Aufgrund des Lockdowns hat der Gropius Bau in Berlin geschlossen. Dafür kann man online diesmal alles sehen. Es gibt fast täglich Liveführungen online (Deutsch, Englisch, Türkisch) und mehrere Livediskussionen jede Woche. Ob die Aufstellung an Ort und Stelle noch öffnen wird und wann, ist offen.
Die Sehnsucht nach dem Über-Mann, nach Stärke, Härte und Ego, wird regelmäßig unterwandert. So etwa, wenn der israelische Fotograf Adi Nes junge Rekruten im Bus beim Nickerchen festhält. Auch Collier Schorrs blasse, dünne Burschen mit Cowboyhut am Kopf haben weniger mit dem Marlboro-Mann als mit fragiler Männlichkeit a la James Dean gemeinsam.
Taliban in Pastell
Weißes Brusthaar zeigen die Aktfotos in Schwarz-Weiß, die John Coplans mit Selbstauslöser produziert hat. Der 65-jährige Künstler fing seinen in die Jahre gekommenen Körper ohne Kopf und in Nahaufnahme ein, sodass die Betrachterinnen und Betrachter ganz nah an seine Muskeln, Fältchen und Fettpolster rücken.
Der westliche Blick auf den orientalischen, dunklen Körper ist ein wichtiges Thema der Schau. Ob nun sexuell oder kriegerisch aufgeladen, geht es dabei doch in erster Linie um Hierarchie. Die Schau präsentiert Wege, dieses Machtverhältnis zu untergraben. Etwa durch Fotoporträts von Talibankämpfern, die der Magnum-Fotograf Thomas Dworzak in Afghanistan entdeckt hat. Skurrilerweise ließen die islamistischen Krieger ihre Abbilder nachkolorieren und teils mit kitschigen Bergkulissen retuschieren.
Das Ausstellungskapitel „Die Rückeroberung des schwarzen Körpers“ dreht sich um Repräsentation, zum Beispiel in der Konsumkultur der USA. Der Künstler Hank Willis Thomas hat in seiner Serie „Unbranded“ Werbeanzeigen von 1968 bis 2008 versammelt, die an afroamerikanische Konsumenten adressiert waren. Damit legt er zahllose kulturelle Stereotypen bloß, die bis heute als rassistische Klischees existieren.
Elite ganz unter sich
Ein Fensterchen in Orte, wo Männer ganz unter sich bleiben, hat Karen Knorr Anfang der 1980er Jahre aufgemacht. Ihre Serie „Gentlemen“ führt in britische Clubs, die keine Frauen zulassen und in denen die Angestellten die einzigen Nichtweißen sind.
Elitäre Studentenverbindungen fungieren seit ihrer Erfindung als patriarchale Seilschaften. In seiner Schwarz-Weiß-Fotoserie „The American Fraternity: An Illustrated Ritual Manual“ versammelte Andrew Moisey Bilder der Aufnahmerituale, Saufexzesse und Sexparties jener Bruderschaften, aus denen die meisten US-Präsidenten hervorgegangen sind. Ein groteskes Beispiel für Dominanzverhalten inszeniert Richard Mosses Video „Faternity“. Dafür ließ er Studenten der Yale University so lange in die Kamera brüllen, bis sie mit roten Schädeln und Schweißperlen auf der Stirn zu lachen beginnen oder ihnen die Stimme versagt.
Tabuisierte Seiten der Vaterschaft
In der Familie dürfen Männer schwach sein und wollen doch den Ton angeben. Das Ausstellungskapitel über Vaterschaft legt viele tabuisierte Verhältnisse offen. Der britische Fotograf Richard Billingham hat seinen alkoholkranken Dad und damit auch seine ärmliche Herkunft in einer schonungslosen Serie dokumentiert.
Als Bodybuilder nahm der Vater von Aneta Bartos bei vielen Wettbewerben teil, seine Tochter begleitete ihn dabei. 2015 hat Bartos begonnen, sich selbst als junge Frau mit Papa im Bikini zu fotografieren, was ihrer Serie „Family Portrait“ einen unbehaglichen Touch verleiht.
Kerle mit Mascara
Zu einer Zeit, als Homosexualität jemanden noch ins Gefängnis bringen konnte, haben Künstler wie Peter Hujar und Sunil Gupta bereits schwules Begehren und Subkulturen dokumentiert. Hujar wurde mit Porträts von Künstlern, Musikern und Transvestiten bekannt, während Gupta in den 1970er Jahren auf der New Yorker Christopher Street Männerpaare festhielt.
Reichen nicht schon Muskelpakete und ein Bart, um als Kerl ernst genommen zu werden? Die lesbische US-Künstlerin Catherine Opie hat in den 1980er Jahren in Los Angeles begonnen, die queere Szenen kalifornischer Großstädte zu porträtieren. In ihrem an der klassischen Kunstgeschichte geschulten Werk fließen Identitätszuschreibungen wie Geschlecht, Rasse und Alter durcheinander. Oft nimmt so eine Befreiung mit einem aufgeklebten schwarzen Schnauzer ihren Anfang.