Medizinische Mitarbeiter in Schutzkleidung
AP/CTK/Igor Zehl
Alle zählen anders

EU-Fleckerlteppich bei den Teststrategien

Seit Wochen fordern die EU-Länder in Hinblick auf die Pandemie mehr Koordination und Transparenz. Die Erfassung der Situation auf Europaebene basiert vor allem auf der Zahlenlage, die auch von der verwendeten Teststrategie abhängt. Doch: Jedes Land zählt anders. Die europäische Seuchenbehörde ECDC selbst sagt: Daten sollen „mit Vorsicht gedeutet“ werden. Offenbar hapert es zudem an der Kommunikation – auch mit Österreich.

Welches Land gilt als sicher? Auch wenn angesichts der rasanten Entwicklung der Zahlen das Thema Reisefreiheit womöglich bald eine untergeordnete Rolle spielen könnte, ist der Überblick über die Situation in Europa wohl ein ganz wesentlicher Faktor für die Koordination unter den EU-Mitgliedsstaaten.

Das Thema wurde in den vergangenen Wochen besonders oft beschworen, erst beim virtuellen EU-Gipfel am Donnerstagabend sagte Ratspräsident Charles Michel, dass man die Koordinierung stärken müsse. Im Rahmen des Gipfels schlug auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ähnliche Töne an, sein Ziel sei „eine enge Koordinierung in der EU“ bei den Coronavirus-Maßnahmen, auch zum grenzüberschreitenden Reisen. Schon am Freitag wird bei einem informellen Treffen der Gesundheitsministerinnen und -minister wohl auch über bessere Abstimmung diskutiert werden.

EU-Karte orientiert sich an drei Kennzahlen

ECDC, jene EU-Agentur, die für die Datenlage auf Europaebene zuständig ist, erstellt im Hinblick auf dieses Ziel etwa eine Karte, die die Kommission zur Bewertung der Reisefreiheit verwendet. Diese „Re-open EU“-Karte basiert auf mehreren Faktoren – 14-Tage-Inzidenz, Testrate und Anteil der positiven Tests, entsprechend werden Regionen grün, gelb oder rot eingezeichnet. In die Darstellung fließt aber nicht die Teststrategie der jeweiligen Länder ein – doch auch das spielt für die tatsächliche Lage freilich eine Rolle.

Emergency Operations Centre in Schweden
APA/AFP/Jonathan Nackstrand
ECDC mit Sitz in Schweden sammelt Daten zum Coronavirus auf europäischer Ebene

Viele Faktoren machen Lage schwer vergleichbar

Gegenüber ORF.at heißt es von ECDC, dass es „allgemein schwierig“ sei, die Situation in verschiedenen Ländern zu vergleichen. Bei „Gesundheitsinfrastruktur, Teststrategien, Melderichtlinien, möglichen Unterschieden bei den Falldefinitionen, Unterschieden bei den Reaktionsmaßnahmen“ und vielen weiteren Faktoren gebe es Unterschiede.

Das sei auch für die Bewertung der epidemiologischen Situation entscheidend, so die Expertinnen und Experten bei ECDC. „Die 14-Tage-Inzidenz neuer Covid-19-Fälle sollte bei der Analyse der epidemiologischen Situation in einem Land in Kombination mit anderen Faktoren wie der Testpolitik, der Anzahl der durchgeführten Tests, der Testpositivität, der Übersterblichkeit und den Raten der Krankenhaus- und Intensivstationseinweisungen verwendet werden“, heißt es.

Kaum eine Region testet einheitlich

Ein Blick auf die ECDC-Seite, die einen wöchentlichen Überblick über die Situation geben soll, zeigt schnell: Die Teststrategien der einzelnen EU-Mitgliedsländer unterscheiden sich oft deutlich voneinander. Erfasst wird etwa, ob das gesamte Gesundheitspersonal getestet wird, wie in Pflegeeinrichtungen vorgegangen wird, ob Menschen mit Grippesymptomen einem Test unterzogen werden und wie mit Einreisenden aus Risikogebieten verfahren wird. Die Niederlande testen anders als Luxemburg, Tschechien anders als Polen, Norwegen anders als Schweden.

Teststrategien und die Zahl der durchgeführten Tests würden innerhalb der EU-Länder „merklich variieren“, heißt es gegenüber ORF.at. Und das wirkt sich freilich auch auf die Zahlenlage aus: „Umfangreicheres Testen wird unweigerlich zu mehr entdeckten Fällen führen“, so die Behörde.

Fehlendes Österreich als Symbol für Situation in EU

Was aber bei der Durchsicht der ECDC-Übersicht der Teststrategien auch auffällt: Nicht alle Länder sind in der Aufstellung überhaupt vertreten. So fehlt etwa Österreich, der Großteil der Nachbarländer ist hingegen mit einer Gliederung der Testregelungen vertreten. Nur 23 der insgesamt 30 ECDC-Länder wurden erfasst. Auf Nachfrage bei ECDC heißt es, dass man nur jene Teststrategien aufliste, die von den Ländern auch zur Verfügung gestellt werden.

Coronavirus-Teststation in Rom
Reuters/Guglielmo Mangiapane
Bei den Tests, wie etwa hier in Italien, gibt es in der EU unterschiedliche Zugänge

Dass Österreich nun nicht in dieser Auflistung aufscheint, ist für das Ansinnen nach mehr Koordination in der EU fast exemplarisch. ECDC verweist auf die nationalen Behörden – im heimischen Gesundheitsministerium heißt es auf Anfrage, dass es sich um ein „Missverständnis“ handle. „Wir sind mit ECDC in Kontakt, die österreichischen Informationen zur nationalen Teststrategie werden in Kürze ebenfalls auf der ECDC-Website verfügbar sein“, heißt es in der Stellungnahme. Verwiesen wird auf die eigene Homepage, auf der schon seit Beginn der Pandemie die Teststrategie abrufbar ist.

Erst kürzlich Debatte über Teststrategie

Erst vergangene Woche hatte ein internes Dokument für Aufregung gesorgt, in dem Rotkreuz-Manager Gerry Foitik ins Spiel gebracht hatte, keine Kontaktpersonen der Kategorie eins mehr zu testen – das hätte im Winter die Zahl der registrierten Fälle drücken können. Das hätte wiederum die Ampelfarbe auf der Europakarte beeinflussen können.

Foitik sagte damals, dass andere Länder ebenfalls keine engen Kontaktpersonen testeten – und tatsächlich: Von den 23 von ECDC erfassten Ländern wird nur bei elf Staaten angezeigt, dass enge Kontakte aktuell getestet werden. Immerhin: Darunter sind laut ECDC auch die Nachbarländer Deutschland, Slowenien, Tschechien und Ungarn.

ECDC rät zu Vorsicht

Die Seuchenbehörde rät im Hinblick auf die vielschichtige Lage jedenfalls zu Vorsicht. „Alle Daten – und damit auch Karten, die solche Daten abbilden – sollten mit Vorsicht gedeutet werden, weil sich die Ausbreitung rasant entwickelt. Darüber hinaus spiegeln die Zahlen aufgrund der Nichtverfügbarkeit von Daten zum genauen Zeitpunkt des Ausbruchs und unterschiedlicher Testverfahren in den einzelnen Ländern möglicherweise nicht die Entwicklung der Pandemie wider“, heißt es von ECDC.

Nicht zuletzt weist die Behörde darauf hin, dass die Auswirkungen von Reisebeschränkungen ohnehin nicht eindeutig geklärt sind. „Die epidemiologische Situation in Europa im Frühjahr 2020 deutet darauf hin, dass die internationalen Reisebeschränkungen, die in vielen EU-Ländern zu einem frühen Zeitpunkt verhängt wurden, allenfalls eine begrenzte, verzögernde Wirkung hatten.“

„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2, das sich derzeit weltweit verbreitet, durch Grenzschließungen kontrolliert werden kann“, so ECDC. Auch von der EU-Kommission hieß es am Freitag, dass Quarantäneregeln für Reisende offenbar wenig zur Wirksamkeit der Maßnahmen beitrügen. Ob die EU-Staaten diese Einschätzung teilen, wird sich wohl in den kommenden Wochen zeigen – und wohl ebenso, ob eine europaweite Annäherung an eine möglichst einheitliche Datenlage sieben Monate nach Beginn der Pandemie in Europa noch realistisch ist.