Eine junge US-Amerikanerin beim vorzeitigen Wählen
AP/David Goldman
Wer, wie, was

Vieles gleich, vieles anders bei US-Wahl 2020

Das Wahlsystem der USA offenbart im heurigen Wahljahr erneut seine Tücken. Nicht die Mehrheit abgegebener Stimmen führt zum Sieg, sondern die Anzahl der Wahlleute. Besonders ist heuer die starke Beliebtheit der Briefwahl. Ihr Ablauf bestimmt, wie anfällig der Wahlabend für Chaos sein wird.

Der US-Wahlabend wird heuer voraussichtlich unter dem Motto „Geduld“ stehen – für Interessierte auf der ganzen Welt, die US-Wählerschaft und auch die beiden Kandidaten selbst. Ein valides Ergebnis könnte sich stark verzögern. Schuld ist unter anderem die Briefwahl, die große Unbekannte des heurigen Wahljahres.

Wahlberechtigt sind rund 330 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger, sofern sie mindestens 18 Jahre alt sind. Ausgeschlossen sind Bewohner von US-Außengebieten wie Puerto Rico sowie vielerorts Häftlinge und Menschen, die wegen einer schweren Straftat verurteilt wurden. Alle anderen, darunter auch Millionen US-Amerikaner im Ausland, müssen sich vor der Abstimmung beim zuständigen Wahlamt registrieren lassen. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 stimmten der Wahlkommission (FEC) zufolge rund 137 Millionen Menschen ab. Gemessen an der Bevölkerung im wahlfähigen Alter entsprach das einer Wahlbeteiligung von knapp 56 Prozent. Heuer dürfte die Wahlbeteiligung aber stark steigen.

„The Winner Takes It All“

Die Wählerschaft stimmt nur indirekt über die Präsidentschaft ab. Die Stimme entscheidet die Zusammensetzung des Wahlkollegiums („Electoral College“), der Wahlmänner und -frauen. Diese Gesandten wählen dann erst den Präsidenten. In 48 der 50 Bundesstaaten werden dem Kandidaten, der sich eine Mehrheit der Wählerstimmen sichern kann, alle Stimmen des Kollegiums zugesprochen. Sollte also beispielsweise Amstinhaber Donald Trump in einem „Swing-State“ knapp über 50 Prozent der Stimmen erhalten, bekäme er die Stimmen aller Wahlleute dieses Bundesstaats und Herausforderer Joe Biden keine. Das Prinzip lautet „The Winner Takes It All“ – der Sieger bekommt alles. Die meisten Wahlleute gibt es mit 55 in Kalifornien. Nur Nebraska und Maine werden die Stimmen der Wahlleute annähernd proportional vergeben. Eine Ausnahme gibt es zudem bei der US-Hauptstadt Washington, DC. Sie ist kein Bundesstaat und hat dennoch drei Wahlleute.

Grafik zum Wahlleutesystem der USA
Grafik: APA/ORF.at

Die Anzahl der Wahlleute eines Bundesstaates entspricht ansonsten jener der von dort entsandten Senatorinnen und Senatoren sowie Kongressabgeordneten. Die Wahlleute stimmen 41 Tage nach der Präsidentschaftswahl ab, dieses Jahr am 14. Dezember. Sie richten sich dabei nach dem Ergebnis in ihrem Bundesstaat. In vielen Staaten würde ihnen sonst eine Strafe drohen. Um Präsident zu werden, muss ein Kandidat mindestens die Stimmen von 270 der insgesamt 538 Wahlleute gewinnen. Das Ergebnis wird offiziell am 6. Jänner im Kongress bekanntgegeben. Der neue Präsident leistet dann am 20. Jänner vor dem Kapitol in Washington seinen Amtseid ab.

Sechs Zeitzonen

Wegen des indirekten Wahlsystems ist es möglich, dass ein Kandidat zwar die meisten Direktstimmen gewinnt, die Wahl aber trotzdem verliert. Das war zum Beispiel 2016 der Fall. Damals stimmten mehr Menschen für Hillary Clinton, Trump konnte sich aber durch die von ihm gewonnenen Bundesstaaten die Mehrheit der Wahlleute sichern. Das Wahlsystem stand deshalb auch wiederholt in der Kritik.

Millionen Briefwähler gaben diesmal schon Wochen vor der Wahl ihre Stimme ab, viele wählten auch bereits per „Early Voting“, eine Möglichkeit, vorab im Wahllokal zu wählen. Am Tag der Abstimmung selbst werden die Wahllokale in den verschiedenen sechs Zeitzonen jeweils von der Früh weg bis zum Abend geöffnet sein. In vielen Staaten der Ostküste kann man bis 1.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ) abstimmen. Hawaii und Alaska kommen zum Schluss dran, hier geht die Abstimmung bis 6.00 Uhr MEZ, auf den Aleuten sogar noch eine Stunde länger.

Es gibt in den USA keine Behörde, die rasch die Ergebnisse für das ganze Land bekanntgibt. Eine wichtige Rolle spielen hier große US-Medien, die örtliche Ergebnisse zusammentragen und Prognosen herstellen. Bei den meisten vergangenen Präsidentschaftswahlen stand der Sieger noch in der Wahlnacht fest. Weil aber viele Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger dieses Mal per Brief gewählt haben oder noch wählen, könnte die Auszählung in einigen Bundesstaaten länger dauern. So wird es etwa in Pennsylvania erwartet, einem der wichtigen „Swing-States“.

Führung könnte pendeln

Umfragen zufolge wollen mehr Demokraten als Republikaner die Briefwahl nutzen. Daher könnten die ersten Auszählungsergebnisse aus den Wahllokalen mancherorts Trump in Führung sehen, die Auszählung der Briefwahlunterlagen letztlich aber Biden zum Sieg verhelfen. Die Auszählung der Briefwahlstimmen wird länger dauern, weil sie eine logistische und zeitaufwendige Herausforderung ist.

US-Wahlkampf geht ins Finale

Nur noch wenige Tage bis zur US-Wahl: Präsident Donald Trump und sein Herausforderer Joe Biden haben nicht mehr viel Zeit, um Wähler zu mobilisieren.

Während in vielen Bundesstaaten die Briefwahlbogen spätestens am Wahltag selbst eingegangen sein müssen, reicht in anderen Bundesstaaten ein Poststempel mit diesem Datum. In Pennsylvania etwa werden Briefwahlstimmen auch dann berücksichtigt, wenn sie bis zu drei Tage nach dem Wahltag eingegangen sind. In North Carolina sind es sogar neun Tage. Eine Klage der Republikaner dagegen scheiterte kürzlich vor dem Obersten Gerichtshof. In Pennsylvania geht es um 20 Wahlleute, in North Carolina um 15.

Streitfall Briefwahl

Wegen der Pandemie erleichterten zudem manche Bundesstaaten die Briefwahl. Kalifornien, Ohio und New Jersey schicken die Wahlunterlagen sogar unaufgefordert an die Bürgerinnen und Bürger – ein Dorn im Auge des US-Präsidenten, der vor Wahlfälschung in großem Stil warnte. Mancherorts würden Stimmzettel an „Tote und Hunde“ verschickt, so Trump. Belege dafür legte er nicht auf den Tisch. Er deutete auch an, die Rechtmäßigkeit der Wahl infrage zu stellen, falls er verliert. Er könne nur unterliegen, wenn es nicht mit rechten Dingen zugehe, so der Präsident. In der Theorie könnte Trump sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen. Das wäre eine Premiere in den USA, doch Trumps Republikaner kündigten an, eine reibungslose Übergabe zu ermöglichen.

Ein Mann sammelt Stimmen von amerikanischen Briefwahlwählern in einer Wahlbox
APA/AFP/Dustin Franz
Die Briefwahl ist die große Unbekannte dieses Rennens um das Weiße Haus

In einzelnen Bundesstaaten könnte es allerdings Klagen und Forderungen nach einer Neuauszählung geben. Der Wahlausgang könnte letztlich vor dem Obersten Gerichtshof landen, der schon vor 20 Jahren die Präsidentschaftswahl zwischen George W. Bush und Al Gore entschied – Wochen nach dem Wahltag. Seit der Ernennung der Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett haben konservative Richter am Supreme Court eine deutliche Mehrheit von sechs zu drei – ein strategischer Vorteil für Trump.

Hinweis

ORF.at berichtet rund um die Uhr über alle Ergebnisse und Ereignisse bei der US-Wahl. Die Auszählung und den Tag nach der Entscheidung begleitet ein Liveticker mit Experten- und Korrespondentenstimmen. Per Livestream sind am Dienstag ab 22.00 Uhr auch die ORF-Sondersendungen zu sehen – mehr dazu in tv.ORF.at.

Betrug bei Briefwahlen ist in den USA aber selten. Der von Trump ernannte FBI-Chef Chris Wray stellte im September im US-Kongress klar, in der US-Geschichte habe es noch nie einen großangelegten landesweiten Wahlbetrug gegeben.

Kongress steht auch zur Wahl

Neben der Präsidentschaftswahl wird am 3. November auch über die Zusammensetzung des US-Kongresses abgestimmt. Zur Wahl stehen alle 435 Mandate im Repräsentantenhaus sowie rund ein Drittel der 100 Sitze im Senat. In den Bundesstaaten gibt es zudem viele Volksabstimmungen. Ohne eine Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses, dem Repräsentantenhaus und dem Senat, kann ein Präsident innenpolitisch nur wenig nachhaltig verändern. Das Parlament hat die Budgethoheit und das Vorschlagsrecht für Gesetze. Der Senat muss zudem bei der Besetzung aller bedeutenden Regierungsämter und Richterposten zustimmen. Zuletzt kontrollierten die Demokraten das Repräsentantenhaus, die Republikaner den Senat.