Polizeieinsatz nach Terroranschlag in Wiener Innenstadt
Reuters/Leonhard Foeger
„Bitte bleiben Sie zu Hause“

Großfahndung nach Terror in Wien läuft

Nach einem Terroranschlag in der Wiener Innenstadt läuft seit den Abendstunden eine Großfahndung nach weiteren Tätern. Bisher wurde bestätigt, dass an mehreren Tatorten drei Passanten getötet und zumindest 15 Menschen teils schwer verletzt wurden. Einer der mutmaßlichen Täter wurde von der Polizei erschossen. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) appellierte an die Bevölkerung, wenn irgendwie möglich zu Hause zu bleiben. Die Schulpflicht ist in Wien am Dienstag ausgesetzt.

Laut Wiener Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl wurde am Dienstag nach 20.00 Uhr per Notruf gemeldet, dass ein Mann mit einer Schrotflinte schießt. Daraufhin wurden die Einsatzkräfte Richtung Seitenstettengasse, nahe einer Synagoge, beordert. Dort kam es zu einem Schusswechsel, „bei dem ein Kollege schwer verletzt wurde“, berichtete Pürstl.

Ein Passant verstarb unmittelbar nach der Tat an seinen Verletzungen, eine Frau erlag im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Dass ein dritter Zivilist ums Leben kam, wurde Dienstagfrüh in einer Pressekonferenz des Innenministeriums ohne nähere Details bekanntgegeben. Die Vorfälle seien aber noch nicht „differenziert aufgearbeitet“, so Pürstl. Bei einem Schusswechsel mit der Polizei wurde der mutmaßliche Täter getötet.

TV-Hinweis

ORF2 berichtet seit 5.45 Uhr in einer Sonder-ZIB über die aktuellen Entwicklungen.

Schwer bewaffnet

Er sei sei mit einem automatischen Sturmgewehr, aber auch mit einer Pistole und einer Machete bewaffnet gewesen, hieß es. Dass der Mann einen Sprengstoffgürtel bzw. eine Attrappe getragen habe, wie mehrfach kolportiert, ist bisher nicht bestätigt. Berichten zu Folge gab es mindestens einen weiteren Täter. Die Polizei überprüft derzeit die Identität des Getöteten und in weiterer Folge sein Umfeld.

Zum Zeitpunkt der Tat waren die Straßen sehr belebt – viele Menschen nutzten die lauen Temperaturen des letzten Abends vor dem Lockdown, um noch einmal Fortzugehen. Laut Polizei gab es sechs Tatorte im unmittelbarer Nähe zur Seitenstettengasse – darunter der Morzinplatz, das Salzgries, der Fleischmarkt, der Bauernmarkt und der Graben.

Appell: Innenstadt meiden, möglichst daheim bleiben

Die Hintergründe des Anschlags sind noch unklar. Nehammer bestätigte, dass mindestens ein Täter flüchtig sei. Die Sicherheitsbehörden konnten aber nicht ausschließen, dass es mehr als zwei Täter gab und somit noch mehrere Menschen auf der Flucht sind.

Der Innenminister wandte sich kurz nach 1.00 Uhr in eine Pressekonferenz an die Bevölkerung Wiens. „Nach unserem derzeitigem Erkenntnisstand befindet sich mindestens ein Täter noch auf der Flucht“, so Nehammer. „Mein Appell daher: Wenn es möglich ist, dann bleiben Sie bitte zu Hause.“ Wer nicht aus beruflichen oder anderen wichtigen Gründen Haus oder Wohnung verlassen müsse, sei aufgerufen, daheim zu bleiben. „Meiden sie zweitens die Innenstadt“, so Nehammer weiter. Schulkinder sollten nach Möglichkeit zu Hause bleiben, für Eltern, denen es nicht möglich ist, ihre Kinder zu betreuen, sind Schulen und Kindergärten aber geöffnet.

Pressekonferenz aus dem Innenministerium

Innenminister Karl Nehammer wandte sich in einer Pressekonferenz an die Medien und die Bevölkerung um über die neuesten Details zu den Anschlägen in Wien zu berichten.

Die Wiener Innenstadt wurde laut Innenministerium zur „roten Zone“ erklärt, die nach internationalen Erfahrungen am anfälligsten für weitere Taten sei. Der Großeinsatz der Exekutive lief in der Nacht weiter. 150 Cobra- sowie 100 WEGA-Beamte wurden in den Einsatz gerufen, dazu kamen mehrere 100 Streifenpolizisten sowie Kräfte in Zivil. Die Gefahrenabwehr werde mit aller Kraft sichergestellt, sagte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Auch werden in Absprache mit den Partnerländern verstärkt Kontrollen an den österreichischen Grenzen vorgenommen.

Menschen verlassen Burgtheater nach einem Terroranschlag in Wien
APA/Herbert Neubauer
Stunden nach der Tat konnten Besucherinnen und Besucher des Burgtheaters unter Polizeischutz nach Hause

Polizei: Fotos und Videos nicht in Sozialen Netzwerken teilen

Menschen, die noch in ihren Zufluchtsstätten im ersten Bezirk ausharrten, waren laut Harald Sörös, Sprecher des Innenministeriums dazu aufgerufen, sich beim Polizeinotruf zu melden. Die Polizei prüfe dann, ob ein Verlassen der Lokalitäten sicher sei. Es werde weiterhin jedem Ermittlungshinweis nachgegangen, so Sörös. Die Polizei rief auf Twitter dazu auf, Fotos oder Videos des Einsatzes nicht in sozialen Medien zu teilen, sondern sie direkt auf der Polizeiplattform hochzuladen.

Kurz: Anschlag „sehr professionell vorbereitet“

Ob die nahe gelegene Synagoge Ziel des Angriffs war, lasse sich noch nicht bestätigen, so eine Sprecherin des Innenministeriums. Ein antisemitischer Anschlag könne nicht ausgeschlossen werden, so Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

„Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“

Bundeskanzler Sebastian kurz wendet sich in einer Videoschaltung an die Bevölkerung. Wien sei „Opfer eines widerwärtigen Terrorangriffs“ geworden. Sein Dank gilt allen Einsatzkräften.

Kurz rief die Bevölkerung dazu auf, sich Dienstagfrüh über die aktuelle Sicherheitslage zu informieren. Es handle sich „definitiv“ um einen Terroranschlag. Dieser sei „sehr professionell“ vorbereitet worden. Für 9.00 Uhr berief der Bundeskanzler einen Sonderministerrat per Videokonferenz ein. Im Anschluss will er sich mit einer Rede an die Bevölkerung wenden. Um 12.00 Uhr lädt Kurz gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Nehammer den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und die Klubobleute der Parlamentsparteien zu einem Briefing ein. Nach dem Gespräch erfolgt eine gemeinsame Kranzniederlegung am Tatort, um der Opfer des Anschlags zu gedenken.

Bewaffnete Polizisten vor einem Einsatzfahrzeug.
APA/Georg Hochmuth
Ein Großaufgebot der Polizei ist in der Wiener Innenstadt im Einsatz

Nach dem Anschlag in Wien wurde auch das Bundesheer aktiviert. Das Militär übernimmt sämtlichen Objektschutz in der Bundeshauptstadt. Teile des Jagdkommandos stehen zur Unterstützung der Terrorismusbekämpfung zur Verfügung, hieß es Montagabend aus dem Bundeskanzleramt.

Schockierende Augenzeugenberichte

Am Abend kursierten mehrere Videos, die eine Blutlache vor einem Lokale zeigten. Ein anderes Video zeigte einen maskierten Schützen, der auf offener Straße zumindest zwei Schüsse abfeuerte „Es hat sich nach Krachern angehört“, schilderte ein Augenzeuge, der anonym bleiben wollte, gegenüber dem ORF. „Dann hat man gemerkt, das sind Schüsse. Dann sah man eine Person die Seitenstetten herunterlaufen, der hat mit einer automatischen Waffe wild geschossen. Der ist dann abgebogen, hinunter, beim (Lokal) ‚Roter Engel‘ von dort in Richtung Schwedenplatz. Er hat dort wild weitergeschossen. Dann kam die Polizei und hat geschossen.“

Zahlreiche Polizeiautos und Rettungwägen am Schwedenplatz in Wien.
APA/Georg Hochmuth
Das betroffene Gebiet wurde großräumig abgesperrt

Rätseln über Motiv

Auf Sozialen Netzwerken folgten schnell Spekulationen über einen dschihadistischen Hintergrund. Das wurde zunächst nicht bestätigt. Das auf die Überwachung islamistischer Websites spezialisierte US-Unternehmen SITE zitierte auf seiner Website einen Dschihadisten zu dem mutmaßlichen Anschlag in Wien: „Dschihadist sagt, der Angriff in Wien ist ‚Teil der Rechnung‘ für die österreichische Beteiligung an der US-geführten Koalition“, heißt es dort in einem Satz. Beigestellt ist ein Bild aus der Wiener Innenstadt.

Die deutsche „Bild“-Zeitung berichtete – mit einem verpixelten Foto –, dass der wahrscheinliche Haupttäter ein IS-Anhänger sei. Er habe die Tat am Montag auf Instagram angekündigt. Das könne man vorerst nicht bestätigen, so Innenministeriums-Sprecher Sörös.

Unklar ist nach wie vor auch, inwieweit der Stadttempel und die Räumlichkeiten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) ein Anschlagsziel waren. Die Synagoge wie die Bürogebäude seien nicht mehr in Betrieb gewesen, so IKG-Präsident Oskar Deutsch auf Twitter. Es könne jedenfalls nicht gesagt werden, ob der Stadttempel eines der Ziele gewesen sei.