US-Präsident Donald Trump
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Per Höchstgericht

Trump will Briefwahl unterlaufen

Bei der US-Wahl zeichnet sich nicht nur eine Hängepartie, sondern auch ein bedenklicher Kampf um die Deutungshoheit ab. In einer Rede reklamierte Trump trotz noch laufender Auszählung den Sieg für sich. Zudem kündigte er an, beim Höchstgericht um einen Auszählungsstopp anzusuchen. Er sprach von einem „Betrug am amerikanischen Volk“, ohne irgendwelche Beweise vorzulegen. Zwar konnte Trump im laufenden Rennen um die Präsidentschaft wichtige Bundesstaaten wie Texas oder Florida verbuchen, die Briefwahl könnte aber noch für ein knappes Rennen sorgen.

„Ehrlich gesagt haben wir gewonnen“, sagte Trump vor Anhängern und Anhängerinnen im Weißen Haus – obwohl aus vielen wichtigen Bundesstaaten noch keine endgültigen Ergebnisse vorlagen und der demokratische Prozess der Briefwahlauszählung noch läuft. In mehreren Staaten sei er uneinholbar, so Trump.

„Millionen über Millionen an Menschen haben für uns gewählt. Und eine sehr traurige Gruppe an Menschen will diese Gruppe entrechten.“ Trump sagte: „Wenn sie nicht gewinnen können, ziehen sie vor Gericht.“ Der Präsident kündigte seinerseits den Gang zur Justiz an: Er werde vom obersten Gericht „jegliches Wählen“ stoppen lassen. Bidens Team kündigte rechtliche Schritte an, sollte Trump das Höchstgericht anrufen und die „ordnungsgemäße Auszählung“ verhindern, und nannte Trumps Worte „skandalös“ und „beispiellos“.

„Wir sind bereit für eine große Party“

US-Präsident Donald Trump erklärte sich noch bei laufender Auszählung zum Sieger.

Bereits zuvor hatte Trump auf Twitter versucht, Zweifel am Wahlverlauf zu säen. Die Republikaner lägen zwar in Führung. „Aber sie versuchen, die Wahl zu stehlen. Wir werden das niemals zulassen.“ Twitter versah die Botschaft mit einem Warnhinweis: Der Tweet sei „möglicherweise irreführend in Bezug auf die Beteiligung an einer Wahl oder einem anderen staatsbürgerlichen Prozess“.

Biden ruft zu Geduld auf

Biden vertritt freilich die konträre Position – weil Demokraten eher per Briefwahl wählen, baut er auf das Endergebnis. Zuvor hatte Biden seine Wählerschaft zu Durchhaltevermögen aufgefordert. In der spontan anberaumten ersten Rede in der Wahlnacht unterstrich Biden dann auch die Rolle der Briefwahlstimmen und der „Early Votes“. Die Demokraten seien „auf Kurs, die Wahl zu gewinnen“. Das Rennen sei erst vorbei, wenn jede Stimme ausgezählt sei. Es sei klar gewesen, dass Geduld gefordert sei. Ergebnisse gebe es erst Mittwochfrüh (Ortszeit), bis dahin könne weder Trump noch Biden sagen, wer die Wahl gewinne. Man schaue optimistisch auf Wisconsin, Michigan und Pennsylvania.

Biden zuversichtlich

Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden in einer ersten Stellungnahme in der Wahlnacht

In den Staaten Nevada, Georgia, North Carolina, Michigan und Wisconsin wurde noch ausgezählt. Pennsylvania könnte mit seinen 20 Wahlleuten am Ende der entscheidende Staat sein. Die großen Städte und die Briefwahlstimmen könnten eher den Ausschlag zugunsten Bidens geben. Ein Endergebnis könnte dabei noch lange auf sich warten lassen. Aus großen Städten in Georgia und Pennsylvania wurde gemeldet, dass erst in der Früh weitergezählt würde, auch Nevada will erst am Donnerstag weitere Ergebnisse bekanntgeben. Im Bundesstaat Pennsylvania, der entscheidend werden könnte, sind laut dem Gouverneur rund eine Million Briefwahlstimmen offen.

Männer an einer Bar sehen sich Wahlergebnisse im TV an
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Langes Warten auf ein endgültiges Ergebnis kündigte sich an

Auszählung erst am Wahltag

In einigen Staaten der USA darf erst am Wahltag mit der Auswertung der Briefwahlstimmen begonnen werden, das führt zu den Verzögerungen. Teils ist dabei der Abgleich von Unterschriften mit Wählerverzeichnissen vorgeschrieben. In einigen weiteren Staaten werden außerdem auch noch Stimmen ausgezählt, die einige Tage nach der Wahl eingehen, wobei der Poststempel vom Wahltag stammen muss. Die Wahlleiter mehrerer Staaten im Mittleren Westen hatten im Vorfeld angekündigt, dass die korrekte Auszählung einige Tage dauern könnte.

Trump-Anhänger in Miami
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Florida ging an US-Präsident Trump

Die Furcht im demokratischen Lager bestehe jetzt vor der „Red Mirage“, so Kriegleder, dass das Trump-Lager auf Grundlage der nun ausgezählten Stimmen vom Wahltag für die Staaten einen Wahlsieg erklärt. Denn Trump und sein demokratischer Herausforderer liegen bei den Auszählungen in entscheidenden Bundesstaaten noch eng beieinander. „Die Aufmerksamkeit wird jetzt in die sogenannten Rust-Belt-Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania gehen“, erwartet ORF-Washington-Korrespondent David Kriegleder.

Briefwahlstimmen machen alles anders

Wegen der Coronavirus-Pandemie ließ sich der Auszählungsstand während der Wahlnacht nur schwer einschätzen. Wähler von Präsident Trump wollten eher am Wahltag ihr Votum abgeben. Und: Die Bundesstaaten haben unterschiedliche Methoden dafür, wann sie welche Stimmen auszählen, sodass noch große Umschwünge möglich sind. In Michigan und Wisconsin etwa zeichnete sich ein enges Rennen ab – dort könnten die Briefwählerinnen und Briefwähler das Ergebnis zu Bidens Gunsten drehen.

Kriegleder (ORF): „Ergebnis könnte sich verzögern“

Bis der Sieger bei der US-Wahl feststeht, dürfte es noch dauern: Mittlerweile haben fast alle Bundesstaaten ihre Wahllokale geschlossen. Die Auszählung in mehreren wahlentscheidenden „Swing-States“ hat die kritische Phase erreicht.

Fest steht jedenfalls: Der klare Vorsprung, den die Umfragen Biden vorausgesagt hatten (bei gleichzeitig behaupteter verbesserter Umfragemethode), ist in der Wahlnacht dahingeschmolzen. Wahlen werden in den Bundesstaaten und den Countys und Städten entschieden, weswegen USA-weite Umfragen nicht so aussagekräftig sind. Noch am Dienstagabend hatten sich viele Blicke auf den eher industriell geprägten Staat Ohio im Mittleren Westen und auf Texas gerichtet. Ohio ging noch im Lauf der Nacht an Trump, ebenso Texas.

Ängste vor Rechtsstreit

Die Hängepartie und Trumps Äußerungen schüren die Sorgen vor einer langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung, die das Land in eine Verfassungskrise stürzen könnte. Befürchtet werden auch Unruhen und eine noch tiefere Spaltung eines Landes, das bereits schwer erschüttert ist durch die Coronavirus-Pandemie, die damit einhergehende Wirtschaftskrise und monatelange Anti-Rassismus-Proteste. Auch an den weltweiten Finanzmärkten wird die Entwicklung mit Sorge gesehen.

Beobachter hatten bereits im Vorfeld befürchtet, dass Trump voreilig einen Sieg ausrufen könnte und mit seiner Kampagne gegen die Briefwahl Zweifel an der Legitimität der Wahl unter seinen Anhängern schüren könnte. Der Ausgang des Machtkampfs ist vollkommen offen. Eine zentrale Frage wird sein, wie Gerichte im Falle einer Trump-Klage reagieren. Im Supreme Court jedenfalls hat das konservative Lager seit dem Einzug der von Trump nominierten Juristin Amy Coney Barrett eine satte Mehrheit von sechs zu drei Richtern. Und bei einzelnen Verfassungsrichtern gibt es Sympathien für ein Zurückstutzen der Briefwahlen.

Biden-Anhänger in Miami
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Eine Biden-Annhängerin in Miami

Demokraten verteidigen Repräsentantenhaus

Parallel zur Präsidentschaftswahl fanden in den USA auch die Kongresswahlen statt. Dabei konnten die oppositionellen Demokraten nach Angaben von US-Sendern ihre seit knapp zwei Jahren bestehende Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigen. Die künftige Zusammensetzung des Senats – der zweiten Kongresskammer – stand hingegen noch nicht fest. Dort haben Trumps Republikaner bisher eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze. Die Hoffnungen der Demokraten, auch die Kontrolle im Senat zu erringen, bekamen aber zunächst einen schweren Dämpfer. Mehrere republikanische Senatoren, die als Wackelkandidaten galten, konnten ihre Sitze verteidigen. In anderen Staaten gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen.

Grafik zum Wahlleutesystem der USA
Grafik: APA/ORF.at

Hohe Wahlbeteiligung

Bei der Wahl zeichnete sich eine sehr hohe Beteiligung ab. Eine Rekordzahl von etwa hundert Millionen Bürgern hatte schon vor dem offiziellen Wahltermin abgestimmt – per Briefwahl oder durch direkten Einwurf der Wahlzettel.

Was wurde alles gewählt?

Die US-Bürger waren am Dienstag aufgerufen, den Präsidenten, die 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und rund ein Drittel der 100 Mandate im Senat neu zu bestimmen. Zudem gab es in vielen Bundesstaaten örtliche Abstimmungen. Der US-Präsident wird nicht direkt gewählt: Der Wahlsieger in einem Bundesstaat gewinnt dort die Stimmen der Wahlleute.

Selten war eine US-Wahl derart erbittert umkämpft: Bis zuletzt schürte Trump Angst vor Unruhen und warnte vor angeblichem Wahlbetrug – vor allem durch die vielen Briefwahlstimmen. Viele seiner Kritiker befürchten, dass er eine mögliche Niederlage nicht anerkennen und nach der Wahl eine harte Auseinandersetzung um deren Ergebnis folgen könnte. Auch gibt es viele Sorgen, dass es zu Gewaltausbrüchen kommen könnte.

So viele Briefwahlstimmen wie noch nie

Laut dem US Elections Project der Universität von Florida gingen noch vor dem Wahltag mehr als 65 Millionen Briefwahlstimmen bei den Wahlbehörden ein. Die insgesamt im Vorfeld des 3. November abgegebenen 101 Millionen Stimmen entsprechen mehr als 73 Prozent der insgesamt bei der Präsidentschaftswahl 2016 abgegebenen Stimmen. Angetrieben wurde das „Early Voting“ durch die Pandemie und die Angst vor Ansteckungen in den Wahllokalen am eigentlichen Wahltag. Mit schon mehr als 230.000 Toten haben die USA die höchste Opferzahl weltweit zu beklagen.