Amerikanische Flagge verzerrt
Reuters/Mike Segar
US-Wahl

Keine Versöhnung für gespaltenes Land

Geht man von den bisher bekannten Ergebnissen in den ausgezählten US-Bundesstaaten aus, war die US-Wahl weder ein Heimspiel für US-Präsident Donald Trump noch eine Abrechnung mit diesem zugunsten des demokratischen Herausforderers Joe Biden. Die Kluft zwischen den beiden politischen Lagern wird auch nach dem Feststehen des tatsächlichen Siegers kaum geringer werden.

Er werde Präsident aller Amerikaner und Amerikanerinnen sein, so das Credo Bidens. Das Ergebnis wird allerdings keine nationale Versöhnung, wie von Biden im Wahlkampf formuliert, bringen. In einigen der ausgezählten US-Bundesstaaten war das Ergebnis äußerst knapp. Bis der tatsächliche Sieger feststeht, könnte es wegen der unterschiedlichen Modi in den Bundesstaaten und der Briefwahlstimmen noch Tage dauern.

Die unter Trump von Politbeobachtern oft ausgerufene Spaltung der Gesellschaft wird zumindest in der einen oder anderen Form fortdauern. Dazu hat Trump auch gleich in seiner ersten Rede nach dem Urnengang weiter dazu beigetragen. Unklar ist, wieweit Trump dabei selbst gehen will, nachdem er bereits – ohne Belege vorzulegen – in seiner Rede nach der Wahl sich gleich selbst zum Sieger erklärt hat und sofort versuchte, die Rechtmäßigkeit der Wahl zu untergraben.

US-Präsident Donald Trump
APA/AFP/Mandel Ngan
Donald Trump hat sich selbst zum Sieger erklärt

Trump setzt auf Höchstsgericht

Dazu brachte Trump auch das US-Höchstgericht ins Spiel, in der die Konservativen nach der Ernennung von Amy Coney Barrett eine satte Mehrheit haben. Nachdem nun die Wähler gesprochen hätten, würden man nun bald die Anwälte hören, so ein Kommentar der „Washington Post“ dazu. Entweder werde Trump oder Biden gewinnen, so der Titel eines Kommentars in der „New York Times“. Aber die größten Probleme würden bleiben, heißt es etwas fatalistisch.

Angstmacherei und Schlechtreden

Die Probleme hätten sich jetzt bereits zu einer veritablen sozialen Krise ausgewachsen. Als Beispiele nennt die Zeitung etwa den Verfall der politischen Kultur in den USA, Isolation und Verzweiflung und die Opioid-Krise. Auch fühlten sich ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen.

„Selbst in einer Zeit bitterer Parteilichkeit wissen wir, dass wir mehr als die richtige Person an der Macht brauchen“, heißt es weiter. Jede Partei betrachte die andere als tödliche Bedrohung für die Zukunft Amerikas, kritisiert die Zeitung das Prinzip des Angstmachens und Schlechtredens des politischen Gegners.

US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden mit erhobener Faust
APA/AFP/Angela Weiss
Joe Biden macht sich Hoffnungen auf das US-Präsidentenamt

Kein Erdrutschsieg als Abrechnung

Angesichts des vermutlich knappen Ergebnisses dürfte sich nun auch die Frage stellen, ob Biden im Wahlkampf aktiv genug war und auch die richtigen Themen angesprochen hat. Während Trump ohne Unterlass auch ohne Maske in der CoV-Pandemie durch die „Swing-States“ tourte – also jene Bundesstaaten, in denen weder die Republikaner noch die Demokraten klar vorn lagen –, ging es Biden wesentlich ruhiger an und wollte damit offenbar auch einen gelassenen Kontrapunkt zu der Aufgeregtheit Trumps bilden.

Er begründete die Zurückhaltung bei Wahlkampfauftritten auch mit den CoV-Schutzmaßnahmen. Laut Umfragen trauen zwar mehr US-Bürger und -Bürgerinnen Biden zu, die CoV-Krise in den Griff zu bekommen. Der erhoffte Erdrutschsieg als Abrechnung mit Trump, obwohl dessen CoV-Krisenmanagement stark in der Kritik stand und steht, blieb allerdings aus. Auch in Sachen Wirtschaftskompetenz hatte Trump in einigen Umfragen die Nase vorn.

CoV-Pandemie und Wählerverhalten

Wichtig dabei dürfte aber auch eine andere Umfrage sein, die kurz vor der Wahl veröffentlicht wurde und die Trump in den letzten Wahlkampftagen immer wieder zitierte: 56 Prozent der Amerikaner sagten in einer Befragung des Instituts Gallup, ihnen und ihren Familien gehe es besser als vor vier Jahren – und das mitten in der Pandemie. Eine Umfrage des Edison-Instituts kommt allerdings zu einem anderen Ergebnis: Sorgen bereitete den Wählern und Wählerinnen doch besonders die Coronavirus-Pandemie.

Mehr als 9,4 Millionen Menschen haben sich in den USA bereits mit dem Coronavirus infiziert, über 230.000 sind gestorben. Zwar gaben in der landesweiten Edison-Umfrage nur zwei von zehn Wählern an, dass CoV für sie das wichtigste Kriterium für ihre Wahlentscheidung war. Die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler vertrat aber die Auffassung, dass es wichtiger sei, die Pandemie einzudämmen, auch wenn das der Wirtschaft schade – eine Ansicht, die eigentlich Biden geholfen haben sollte.

Auch zahlreiche andere wichtige Themen

Sechs von zehn Wählern gaben an, dass die Pandemie ihnen mindestens „moderate finanzielle Nöte“ aufgebürdet habe. Sieben von zehn sagten, man habe aus Rücksicht auf die öffentliche Gesundheit die Verantwortung, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Neben der CoV-Pandemie nannten Wähler die Wirtschaftslage, Rassismus, Verbrechen und Sicherheit sowie die Gesundheitspolitik als für sie wichtige Themen.

Für die Erhebungen befragte Edison Wähler und Wählerinnen am Dienstag direkt, sowie zuvor an Wahllokalen, in denen Frühwähler schon vor dem eigentlichen Wahltag ihre Stimme abgeben konnten. Außerdem führten die Meinungsforscher Telefoninterviews mit Amerikanern, die per Briefwahl abstimmten.