US-Präsidentschaftskandidat Joe Biden
AP/Paul Sancya
Sieg in Griffweite

Biden auch in Pennsylvania vorne

Drei Tage nach der Präsidentschaftswahl in den USA stehen alle Zeichen auf einen Wahlsieg Joe Bidens. Freitagfrüh (Ortzseit) überholte der demokratische Herausforderer den bisherigen Amtsinhaber Donald Trump auch in Pennsylvania. Bereits zuvor war Biden im lange tiefroten Georgia hauchdünn in Führung gegangen. Der Wahlsieg ist dem Demokraten damit so gut wie sicher.

Noch sind in Pennsylvania rund fünf Prozent aller Stimmen nicht ausgezählt. Doch der Trend, der bereits im Laufe des Mittwochs eingesetzt hatte, setzte sich auch am Freitag fort – und brachte Biden nun auch in dem entscheidenden Bundesstaat an die Spitze. Laut CNN führt der Demokrat derzeit mit rund 9.700 Stimmen vor dem bisherigen Amtsinhaber.

Sollte Biden Pennsylvania am Ende für sich entscheiden, wäre er der neue Präsident der USA. Die 20 in dem Bundesstaat zu vergebenden Wahlleute würden reichen, um ihn ins Weiße Haus zu bringen. Selbst wenn Trump alle anderen ausstehenden Bundesstaaten für sich entscheiden könnte, würde der bisherige Präsident nicht auf die nötigen 270 Wahlleute kommen.

Biden kündigte inzwischen an, sich noch Freitagabend (Ortszeit) aus seiner Heimatstadt Wilmington (Bundesstaat Delaware) zu Wort zu melden. Die Pressekonferenz soll zur Primetime stattfinden, also wohl frühestens um 20.00 Uhr (2.00 Uhr MEZ) – genaue Details zum Zeitpunkt sind bisher noch nicht bekannt.

Neuauszählung in Georgia

Für Trump schwinden die Chancen einer zweiten Amtszeit währenddessen weiter. Bereits Freitagfrüh hatte Biden in Georgia die Führung übernommen. CNN und Fox News meldeten in den frühen US-Morgenstunden beinahe gleichzeitig, dass Biden den US-Präsidenten mit 917 Stimmen überholt habe. In weiterer Folge stieg der Abstand auf über 1.000 Stimmen. Trump war seit der Wahl am Dienstag in dem Staat an der Südostküste der USA in Führung gelegen. Sein Vorsprung war mit zunehmendem Auszählungsstand aber weiter gesunken.

Grafik zeigt Siegszenarien für Biden und Trump
Grafik: ORF.at; Fotos: AP/White House, AP/Andrew Harnik

Inzwischen sind laut US-Medien mehr als 99 Prozent aller Stimmen ausgezählt. Die Auszählung war damit fast vollständig – es könnten aber noch einige tausend Stimmen unter anderem von Militärangehörigen hinzukommen. Der Abstand in Georgia könnte am Ende so knapp ausfallen, dass die zuständigen Behörden in Georgia bereits mit einer Neuauszählung rechnen. Beide Kandidaten könnten das beantragen, sobald ein bestätigtes Ergebnis mit einem Abstand von höchstens 0,5 Prozentpunkten vorliege, sagte der Vertreter der Wahlbehörde, Gabriel Sterling, am Freitag in Atlanta.

Drei Tage nach der Wahl waren 4.169 Stimmen noch nicht ausgezählt. Wegen hoher Anforderungen an die Prüfung der Wahlzettel und Auszählung werde das Ergebnis voraussichtlich zum Wochenende vorgelegt werden können, sagte Sterling. Bei einer Neuauszählung müsse jede Stimme neu eingescannt werden, was bis Ende November dauern könne.

Biden in fast allen offenen Staaten in Führung

Auch in den Schlüsselstaaten Arizona und Nevada stand das Ergebnis noch aus, allerdings lag auch dort Biden mit mehreren zehntausend Stimmen Vorsprung vorne. In North Carolina hatte dagegen Trump einen Vorsprung von rund 77.000 Stimmen. Trumps Wahlkampfteam warnte davor, den Demokraten bereits jetzt zum Wahlsieger auszurufen – was bisher kein großer US-Sender getan hat. „Diese Wahl ist nicht vorbei“, sagte Wahlkampfanwalt Matt Morgan.

Anders sah es die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die Biden am Freitag bereits als Sieger der Präsidentschaftswahl bezeichnete. "Der gewählte Präsident („president-elect") Biden hat ein starkes Mandat“, sagte Pelosi vor Journalisten. Als „president-elect“ wird in den USA der Sieger der Präsidentschaftswahl bis zu seinem Amtsantritt bezeichnet.

Schwere Vorwürfe, nicht ein Hauch von Belegen

Trump hielt in Anbetracht der Entwicklungen an seiner bereits am Mittwoch eingeschlagenen Taktik fest – und säte weiter Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl. Bei seinem Auftritt am Donnerstagabend (Ortszeit) prangerte er ohne jegliche Belege eine Reihe angeblicher Manipulationen der Abstimmung vom Dienstag an. Dabei sieht er sich weiterhin und trotz noch laufender Auszählung in einer Reihe von Staaten als legitimer Sieger. „Wenn man die legalen Stimmen zählt, gewinne ich mit Leichtigkeit“, sagte Trump, „wenn man die illegalen Stimmen zählt, dann können sie versuchen, uns die Wahl zu stehlen.“

Trump hat keine Beweise für seine Behauptungen vorgelegt, dass es schweren Wahlbetrug gegeben habe. Außerdem gab es keine Anhaltspunkte dafür: Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben eigenen Aussagen zufolge „keinerlei Hinweise auf systemische Probleme finden können“.

Trump kritisierte weiters, dass vor der Wahl zu seinem Schaden wissentlich falsche Umfrageergebnisse veröffentlicht worden seien. Tatsächlich sahen viele Umfragen Herausforderer Biden deutlich besser, als es die bisherigen Ergebnisse tun.

Mehrere US-Sender stoppen Übertragung

Mehrere US-Kommentatoren wollen in Trumps tatsächlich sehr zurückhaltendem Auftritt bereits einen „Abschiedston“ erkannt haben. In vielen Sendern wurden die Attacken Trumps auf den Wahlprozess und damit die Demokratie scharf verurteilt. Es sei unglaublich, dass ein amtierender US-Präsident Derartiges – noch dazu von der Bühne des Weißen Hauses aus – sage.

Die großen US-Sender ABC, NBC und CBS taten dann auch tatsächlich etwas, was viele Medienkritiker in den USA seit Jahren forderten, doch kaum ein TV-Sender getan hat: Nach mehreren Lügen und falschen Behauptungen Trumps beendeten sie vorzeitig die Liveübertragung, während Trump noch redete.

Joe Biden und Kamala Harris bei einer Pressekonferenz
AP/Carolyn Kaster
Biden gibt sich siegesgewiss

Kontrastprogramm Biden

Die dritte Nacht nach dem Wahltag ließ den Kontrast zwischen Trump und Biden noch stärker hervortreten. Beide versuchen, mit kurzen Statements und Tweets während der laufenden Auszählung ihre Position zu behaupten. Freilich tun sie das auf völlig unterschiedliche Weise. Während Trump zunehmend mit Anwürfen und Beleidigungen um sich schlägt, gibt sich Biden betont präsidentiell und unterstreicht die Notwendigkeit, das Ende der Auszählung abzuwarten, und betont, dass er als Präsident überparteilich agieren werde. Auf Twitter reagiert er zudem auf Trump, freilich in aller Kürze und ohne diesen namentlich zu erwähnen.

Die amerikanische Bevölkerung werde sich „nicht zum Schweigen bringen lassen, nicht schikanieren lassen und nicht aufgeben. Jede Stimme muss gezählt werden.“ Und in einem zweiten Tweet sprach er vor allem besorgte und nervöse demokratische Anhängerinnen und Anhänger an: „Niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen.“

Trump-Unterstützer demonstrieren außerhalb des Philadelphia Convention Center
Reuters/Mark Makela
Trump-Anhänger vor einem Gebäude, in dem die Stimmen ausgezählt werden, in Philadelphia

Trump: „Wird eine Menge Klagen geben“

Trump kündigte erneut an, sich in großem Umfang vor Gericht gegen eine Niederlage zu wehren. „Es wird eine Menge Klagen geben. Wir können nicht zulassen, dass eine Wahl auf diese Weise gestohlen wird.“ Trumps Team hatte bereits in einigen Bundesstaaten Klagen gegen die Stimmauszählung eingereicht. In Michigan und Georgia wurden diese Beschwerden abgewiesen. Georgia erwartet allerdings, dass es aufgrund des hauchdünnen Abstandes im Nachhinein zu einer Neuauszählung kommen werde.

In einem in der Nacht auf Donnerstag bekanntgewordenen Brief forderten Anwälte von Trumps Wahlkampfteam Justizminister William Barr zu Ermittlungen auf. Sie behaupteten, sie hätten in Nevada 3.062 Personen festgestellt, die unrechtmäßig ihre Stimme in dem Bundesstaat abgegeben hätten.

Scharfe Kritik auch aus eigenen Reihen

Trump musste sich scharfe Kritik von Mitgliedern seiner Partei für sein Vorgehen gefallen lassen. „Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben“, schrieb der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, auf Twitter.

In einem Interview mit dem Sender PBS warf er Trump und dessen Lager vor, mit Warnungen vor der Briefwahl den Boden für das jetzige Vorgehen – das Anzweifeln der Ergebnisse – bereitet zu haben. Hogan ist der Vorsitzende der Nationalen Vereinigung der Gouverneure.

US-Präsident hält eine Rede
Reuters/Carlos Barria
Es brauche Russland nicht, wenn Trump Verschwörungstheorien verbreite, meinte ein US-Kommentator

„Das wird langsam verrückt“

Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger forderte, für Betrugsvorwürfe Beweise vorzulegen und sie vor Gericht zu präsentieren. „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten … Das wird langsam verrückt“, schrieb er auf Twitter. Trumps Sohn Donald Trump Jr. reagierte verbittert auf die sich abzeichnende Absetzbewegung und forderte seinen Vater martialisch zum „totalen Krieg“ gegen Wahlbetrug auf und kritisierte das „völlige Fehlen“ von Unterstützung prominenter Republikaner für seinen Vater scharf.

Der einflussreiche Vorsitzende des Justizausschusses im US-Senat, Lindsey Graham, stellte sich auf die Seite von Trump und spendete 500.000 Dollar für dessen Anwaltsfonds.