Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl, Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab
APA/Herbert Neubauer
Terror in Wien

Weiterer Ermittlungsfehler bekanntgeworden

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hat am Freitag einen weiteren Ermittlungsfehler im Vorfeld des Terroranschlags von Wien eingestanden. Laut Nehammer hatte der spätere Attentäter im Sommer Kontakt zu Personen, die im Auftrag des deutschen Verfassungsschutzes vom Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) überwacht wurden. Dennoch wurden damals keine Konsequenzen gezogen. Die Slowakei weist auch Vorwürfe aus Wien zurück, zu Verzögerungen beigetragen zu haben. In Wien wurden unterdessen zwei Moscheen geschlossen, in denen der Attentäter verkehrte.

Nehammer sprach von „offensichtlichen und aus unserer Sicht nicht tolerierbaren Fehlern“. Man habe daher „unverzüglich personelle Konsequenzen“ gezogen. Auf die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit meinte er: „Aus meiner Sicht trage ich als Innenminister die politische Verantwortung für die Sicherheit in diesem Land. Meine Aufgabe ist es, alles dafür zu tun, dass sie wieder hergestellt wird.“

Laut Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl hat sich der spätere Attentäter im Juli mit Personen getroffen, die unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes standen und sich in Österreich aufgehalten haben. Diese Tatsache und der später in der Slowakei gescheiterte Waffenkauf hätten laut Pürstl „bei der Einschätzung der Gefährlichkeit des Täters zu einem anderen Ergebnis führen können“.

LVT-Leiter Erich Zwettler wurde den Angaben zufolge auf eigenen Wunsch abgezogen. Dieser habe ihn gebeten, seine Funktion ruhend zu stellen, „weil er einer geordneten Untersuchung und einer Aufklärung nicht im Wege stehen will“, so Pürstl. Die interimistische Führung übernimmt der Leiter des steirischen LVT, Rupert Meixner. Dass deutsche Behörden im Sommer österreichische Beamte gebeten haben, diese Männer zu überwachen, erfuhr das Innenministerium dem Vernehmen nach erst am Freitag vom LVT Wien.

Gespräche mit Justizministerin

Nehammer wollte noch am Freitag mit Justizministerin Alma Zadic (Grüne) zusammentreffen, um das weitere Vorgehen bei der nach dem Ermittlungsfehler eingerichteten Untersuchungskommission zu besprechen. Dabei sollte auch besprochen werden, wer Vorsitzender der Untersuchungskommission werden soll, so Nehammer.

Zwei Moscheen in Wien geschlossen

Der Attentäter von Wien war in zwei Moscheen in der Bundeshauptstadt aktiv und dürfte sich dort auch radikalisiert haben. Beide Einrichtungen werden geschlossen und die dahinterliegenden Vereine aufgelöst, teilte Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) am Freitag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nehammer und Pürstl mit.

Weitere Ermittlungsfehler vor Anschlag

Auf der Suche nach dem Terrornetzwerk des Attentäters von Wien haben am Freitag Ermittler in Deutschland die Wohnungen von vier Personen durchsucht. Laut Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte der Wiener Attentäter im Sommer Kontakt zu jenen Personen, die im Auftrag des deutschen Verfassungsschutzes vom Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) überwacht wurden. Dennoch wurden damals keine Konsequenzen gezogen.

Eine der Moscheen unterstand der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), wie Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) am Freitag berichtete. Sie wurde auf Grundlage des Islamgesetzes geschlossen. Eine weitere – von der IGGÖ unabhängige – Einrichtung wird auf Grundlage des Vereinsgesetzes aufgelöst.

Das Kultusamt sei am Donnerstag vom Innenministerium in Kenntnis gesetzt worden, dass der Attentäter immer wieder zwei Moscheen in Wien besucht habe, berichtete Raab. Eine davon, die Tewhid-Moschee in der Murlingengasse in Meidling, sei 2016 von der IGGÖ als Gemeinde eingerichtet worden. Die umgehende Schließung erfolge im Interesse der öffentlichen Sicherheit, da die im Islamgesetz geforderte „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ nicht bestehe.

Polizeiaktionen in Wien

Eine weitere Einrichtung, die Melit-Ibrahim-Moschee in Wien-Ottakring, unterstehe nicht der IGGÖ, so Raab bei der Pressekonferenz. In diesem Fall wurde ein Auflösungsverfahren nach dem Vereinsgesetz eingeleitet. Auch diese Moschee habe laut Verfassungsschutz die Radikalisierung des Attentäters begünstigt. In der Moschee sollen sich unter anderen auch der Islamist Mohamed M. sowie der als Terrorist der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) zu neun Jahren Haft verurteilte Lorenz K. regelmäßig aufgehalten haben.

In beiden genannten Wiener Moscheen lief am Freitag ein umfangreicher Polizeieinsatz. Daran beteiligt waren laut Nehammer insgesamt 70 Einsatzkräfte der WEGA, der Finanz- und der Fremdenpolizei – mehr dazu in wien.ORF.at.

„Kein Angriff auf Religionsgemeinschaft“

Raab betonte, dass die Schließung der beiden Moscheen kein Angriff auf den Islam sei. „Es ist kein Angriff gegen die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft, sondern es ist ein gemeinsamer Kampf gegen den Missbrauch einer Religion für das Radikale“, sagte die Ministerin.

Gleich zweimaligen ausdrücklichen Dank spendete Raab ihrem Parteifreund Nehammer. Sie dankte Nehammer für den hochprofessionellen Einsatz der Polizei am Abend des Anschlags sowie für die Zusammenarbeit seither. Nicht einmal 80 Stunden nach dem Attentat sei es so gelungen, zwei radikale Moscheen zu schließen. Dank zollte Raab auch der IGGÖ.

FPÖ fordert Rücktritt Nehammers

Unterdessen wird der Ton zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ rauer. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz bezeichnete Innenminister Nehammer am Freitag in einer Aussendung als „Feigling“. Statt sein Versagen einzugestehen und zurückzutreten, tätige Nehammer falsche Schuldzuweisungen am laufenden Band. Dessen Rücktritt sei „unausweichlich“, so Schnedlitz.

Gleichzeitig nahm der FPÖ-Generalsekretär den freiheitlichen Klubobmann Herbert Kickl in Schutz. Der Versuch, Kickl für die Gefährdung von Polizisten verantwortlich zu machen, weil dieser eine offenbar geplante Razzia gegen Vertreter der islamistischen Szene thematisierte, wies Schnedlitz zurück. Diese sei bereits medial bekanntgewesen, als Kickl darauf Bezug genommen habe.

Acht Personen in Untersuchungshaft

Nach dem Terroranschlag wurde unterdessen über acht Festgenommene U-Haft verhängt. Die Männer werden verdächtigt, Tatbeitrag zum Wiener Anschlag oder selbst das Verbrechen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung beziehungsweise an einer kriminellen Organisation begangen zu haben.

Von den insgesamt 16 in Zusammenhang mit dem Anschlag festgenommenen Männer wurden sechs wieder enthaftet. Bei ihnen habe sich der Verdacht nicht erhärtet, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nina Bussek.

PK: Schließung von „radikalen Moscheen“

Kultusministerin Susanne Raab und Innenminister Karl Nehammer (beide ÖVP) sprechen über Schließung von „radikalen Moscheen“ nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien.

Am Freitag wurden auch neue Details zum Ablauf des Terroranschlags bekannt. Aus dem Bericht der Polizei geht hervor, dass der Attentäter beim Anschlag in Wien in einem Radius von 75 Metern im Bermudadreieck am Schwedenplatz agiert hat. Er tötete vier Menschen, ehe er selbst erschossen wurde. Erstmalig war der 20-Jährige an der Ecke Desider-Friedmann-Platz/Judengasse auf einem Video zu sehen. Es ist noch unklar, wie er zu diesem Platz gekommen ist – mehr dazu in wien.ORF.at.

Medienberichte zu Netzwerken

Unterdessen gab es am Freitagabend mehrere Medienberichte über Verbindungen des Attentäters und mögliche Ermittlungsfehler. Der „Falter“ berichtete weitere Details zu dem Munitionskauf in Bratislava. Demzufolge habe ein slowakischer Waffenhändler die Behörden darüber informiert, dass zwei unbekannte Österreicher „mit migrantischem Aussehen“ versucht hätten, Munition für Sturmgewehre zu kaufen.

Die slowakischen Behörden hätten Überwachunsgsbilder und Kennzeichen rasch an Europol weitergegeben, beim BVT sei das Material aber mehr als einen Monat liegen geblieben, bevor es zum LVT gelangte. Dort sei der Attentäter von Wien rasch identifiziert worden. Die Bilder seien dann wieder in die Slowakei geschickt worden, wo sie erneut liegen geblieben seien. Erst drei Monate später habe das BVT eine Bestätigung erhalten.

Nach Erhalt dieser Bestätigung sei eine „Risikobewertung“ gefolgt, allerdings sei das Kremser Vollzugsgericht nicht informiert worden. Dieses hätte die bedingte Haft widerrufen können. Auch eine Observation sei nicht eingeleitet worden. Angesetzt wurde eine Gefährderansprache mit dem späteren Attentäter. Bei einer Fallkonferenz mit dem Rechtsschutzbeauftragten hätte dann auch über weitere Schritte entschieden werden sollen – dazu kam es aber nicht mehr.

Slowakei weist Vorwurf zurück

Die slowakische Polizei wies die Vorwürfe aus Österreich, bei der Klärung der Identität Verzögerungen verursacht zu haben, am Freitag allerdings zurück. Österreich habe bereits am 10. September „unsere Behörden informiert, dass es gelungen ist, den Mann auf dem Foto zu identifizieren, von dem wir heute wissen, dass er der Täter des Terroranschlags war“, hieß es in einer Sprachnachricht an den ORF. In der Nachricht habe es auch geheißen: „Der Genannte ist der österreichischen Polizei in Zusammenhang mit Terrorismus bekannt.“ Auch wird darauf verwiesen, dass der Betroffene im Jahr 2019 nach Paragraf 278a (Verbrecherorganisation) und Paragraf 278b (Terroristische Vereinigung) zu 22 Monaten Haft verurteilt worden war.

Laut Pürstl war für die österreichische Seite zu diesem Zeitpunkt die Identität der beiden Männer allerdings nicht endgültig geklärt. Man wollte eine Rückbestätigung aus der Slowakei und habe dort mehrfach urgieren müssen, ehe man am 16. Oktober ein Schreiben erhielt, in dem bestätigt wurde, dass es sich beim gescheiterten Waffenkäufer um den späteren Attentäter handelt. Gegenstand von Ermittlungen ist die Identität des zweiten Mannes.

Der „Standard“ berichtete unterdessen, dass der Attentäter kurz vor seiner Tat mit dem deutschen Islamisten W. korrespondiert habe. Dessen Wohnung in Schleswig-Holstein sei am Freitag durchsucht worden. W. habe Verbindung zu einer Moschee des Islamisten Abu Walaa. Dessen Umfeld sei auch in Kontakt zum Berliner Attentäter vom Breitscheidplatz gestanden. 2017 hatte W. auch versucht, nach Syrien zu reisen.