Nächster US-Präsident Joe Biden
AP/Paul Sancya
„Nicht spalten, sondern vereinen“

Biden mit versöhnlicher Siegesrede

Der Demokrat Joe Biden wird 46. Präsident der USA. Am Samstag entschied er das Rennen um das Weiße Haus für sich. Bei seiner Siegesrede in Wilmington, Delaware, richtete Biden versöhnliche Worte an politische Gegner. Als nächster Präsident wolle er die Nation vereinen, nicht weiter spalten, sagte Biden.

Auf diese Rede hatte Biden rund ein halbes Jahrhundert gewartet. Auf den Tag genau 48 Jahre vor seinem Sieg hatte er laut CNN erstmals einen Senatssitz errungen. Am Samstag lief er in tänzelndem Schritt zum Rednerpult auf der Bühne des Chase Center in Wilmington und wurde frenetisch begrüßt. „Leute, die Menschen dieses Landes haben gesprochen“, sagte Biden. Es sei mit 74 Millionen Stimmen ein klarer Sieg. Es gebe nun Hoffnung auf bessere Tage. Er wolle nicht trennen, sondern vereinen. Er werde mit ganzem Herzen kämpfen, das Vertrauen aller Amerikaner zu gewinnen. „Ich werde dafür kämpfen, dass Amerika in der Welt wieder respektiert wird.“

Biden dankte seiner Familie, besonders seiner Frau Jill, die „eine großartige First Lady“ sein werde. Auch seiner Vizekandidatin Kamala Harris streute Biden Rosen. Sie habe schon viele Barrieren in ihrem Leben durchbrochen.

Rede von Joe Biden

Der designierte US-Präsident Joe Biden richtet sich in seiner ersten offiziellen Rede nach seinem Wahlsieg an die amerikanische Bevölkerung. Der Wahlausgang sei ein Sieg für das ganze Land. Er präsentiert sich als Präsident für alle Amerikaner.

Covid-Expertengruppe angekündigt

Auch die Coronavirus-Pandemie sprach Biden an. Schon am Montag wolle er eine Expertengruppe zusammenstellen, um die Ausbreitung zu bekämpfen. Diese solle auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse arbeiten. Biden nannte den Kampf gegen die Klimaveränderung und gegen systemischen Rassismus dezidiert als Teil seines Auftrags.

Egal ob Demokraten, Republikaner, Unabhängige, Frauen, Männer, Weiße, Schwarze – er werde für alle einstehen, sagte Biden. „Jetzt lasst uns einander gegenseitig wieder eine Chance geben“, appellierte Biden an das eigene Lager und die Trump-Anhänger. Es gebe keine Gegner, alle seien Amerikaner. „Ich bin ein stolzer Demokrat, aber ich werde für alle Amerikaner regieren.“ Die spaltende Art, Politik zu machen, sei nun vorbei. Er selbst bitte nur um eine faire Chance.

Joe Biden und Kamala Harris mit Maske
Reuters/Andrew Harnik
Biden teilt mit der künftigen US-Vizepräsidenten Kamala Harris die Bühne

Harris auf der großen Bühne

Die künftige Vizepräsidentin Harris hatte die Bühne zuerst betreten. „Wir, das Volk, haben die Macht, eine bessere Zukunft zu bauen“, so Harris zu den jubelnden Anhängern. Sie dankte Wählerinnen und Wählern dafür, „Amerika einen neuen Tag“ ermöglicht zu haben. Dank richtete sie auch an die zahllosen Wahlhelfer, die tagelang Stimmen auszählten. Harris resümierte die vergangenen Wochen. Durch die Pandemie habe es Verluste und Trauer gegeben. Aber sie habe auch den Mut der Menschen gesehen. „Ihr habt euch für Anständigkeit, Wissenschaft und Wahrheit entschieden“, so Harris. „Ihr habt euch für Joe Biden entschieden“. Biden sei jemand, der Gräben überwinden könne.

Rede von Kamala Harris

Kamala Harris wird die erste Vizepräsidentin der USA. In ihrer Rede spricht sie den Wählern und Helfern ihren Dank aus und skizziert ihre Ziele für die kommende Amtszeit.

Harris sagte, sie verdanke ihre Karriere ihrer Mutter, die mit 19 Jahren in die USA gekommen sei. Frauen wie sie seien „das Rückgrat der Nation“, sie hätten für ein besseres Leben gekämpft. „Ich stehe auf ihren Schultern.“ Biden habe sie zur ersten Vizepräsidentin gemacht. „Ich werde aber nicht die letzte sein.“ Nun beginne die harte Arbeit, die ehrliche und nötige Arbeit, um die Pandemie zu besiegen. „Der Weg wird nicht einfach sein, aber Amerika ist bereit. Joe und ich sind es auch“, sagte Harris. Biden werde ein Präsident für alle Amerikaner sein. Harris wird als Bidens Vizepräsidentin die erste Frau und die erste Nicht-Weiße in diesem Amt sein. Nach den Reden von Harris und Biden baten die beiden ihre Familien auf die Bühne. Gemeinsam feierten sie – und ließen sich feiern.

Am Samstag hatte sich die Wahl entschieden: Mit einem Sieg im entscheidenden Bundesstaat Pennsylvania kam der 77-jährige Biden nach einem tagelangen Wahlkrimi über die Marke von 270 Wahlleuten, die für einen Erfolg erforderlich sind. CNN schlug Pennsylvania als erstes US-Medium Biden zu. Kurz darauf folgten dann auch die anderen Sender, darunter auch Trumps bevorzugter Sender Fox News. Auch der umkämpfte Staat Nevada wurde später als Erfolg für Biden gewertet.

In den USA ist es üblich, dass die Präsidentschaftswahl auf der Basis von Prognosen großer Medienhäuser entschieden wird – üblicherweise noch in der Wahlnacht. Die amtlichen Ergebnisse kommen oft erst viel später. Wegen der Pandemie hatten Millionen Amerikaner dieses Jahr aber per Brief abgestimmt, weshalb sich die Auszählung der Stimmen hinzog.

Trump will nicht weichen

Nun stehen den Vereinigten Staaten nach dem harten Wahlkampf weitere schwierige Wochen bevor. Trump brachte bereits eine Heerschar von Anwälten auf den Weg, um gegen das Ergebnis zu klagen. Der 74-Jährige will bis vor das oberste Gericht ziehen, den Supreme Court. Seit der Wahlnacht sprach Trump wiederholt von Wahlbetrug, ohne dafür Belege vorzulegen. Trump verzichtete auch darauf, den Gewinner anzurufen und seine Niederlage einzugestehen. Stattdessen reagierte Trump zunächst mit einer Stellungnahme: „Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist“, teilte er am Samstag mit.

US-Präsident Donald Trump auf dem Weg ins Weiße Haus
Reuters/Carlos Barria
Trump erfuhr beim Golfen von seiner Niederlage. Er will vor Gericht ziehen.

Biden stelle sich fälschlicherweise als Sieger dar, hieß es weiter: „Joe Biden ist nicht als Sieger irgendeines Bundesstaates bestätigt, ganz zu schweigen von den stark umkämpften Staaten, die auf obligatorische Nachzählungen zusteuern, oder Staaten, in denen unser Wahlkampfteam begründete und legitime rechtliche Schritte eingeleitet hat, die den endgültigen Sieger bestimmen könnten. In Pennsylvania zum Beispiel wurde unseren Rechtsbeobachtern kein ausreichender Zugang gewährt, um den Zählprozess zu verfolgen. Legale Wahlstimmen entscheiden, wer Präsident ist, nicht die Nachrichtenkanäle“, so Trump.

Einschätzungen von Pfeifer (ORF)

ORF-Auslandsressortleiter Andreas Pfeifer spricht über den Wahlausgang und die beiden Kandidaten Joe Biden und Donald Trump. Biden müsse nun die tiefen Gräben im Land schließen.

Flut von Klagen droht

Ab Montag werde das Wahlkampfteam beginnen, „unseren Fall vor Gericht zu verfolgen, um sicherzustellen, dass die Wahlgesetze vollständig eingehalten werden und der rechtmäßige Gewinner bestimmt wird. Das amerikanische Volk hat Anspruch auf eine ehrliche Wahl: Das bedeutet, dass alle legalen und keine illegalen Wahlstimmen gezählt werden.“ Schon am Samstagabend gab Trumps Team eine Klage wegen des Ablaufs der Wahl in Arizona bekannt. Einigen Wählern seien von Wahlhelfern fehlerhafte Anweisungen zur Bedienung der Wahlmaschinen gegeben worden, heißt es in der Klageschrift.

Trump, der das Weiße Haus zuvor tagelang nicht verlassen hatte, hielt sich in den letztlich entscheidenden Stunden auf dem Golfplatz auf. Auf Twitter legte er später nach: „Die Beobachter durften nicht in die Zählräume. Ich habe die Wahl gewonnen und 71.000.000 legale Stimmen erhalten. Es passierten schlechte Dinge, die unsere Beobachter nicht sehen durften. Das ist noch nie zuvor passiert. Millionen von Briefwahlzetteln wurden an Leute geschickt, die nie danach gefragt haben!“, schrieb Trump durchgehend in Großbuchstaben.

Aufruf, Spaltung zu überwinden

Die beiden politischen Seiten zu vereinen wird eine Mammutaufgabe für Biden. Er hatte vor der Wahl versprochen, das tief gespaltene Land als Präsident aller Amerikaner zu einen und aus der „Zeit der Dunkelheit“ zu führen. Er will die Pandemie mit einer nationalen Strategie eindämmen, die Beziehungen zu Verbündeten in aller Welt kitten und die USA in internationale Abkommen zurückführen. Zum Beispiel hat er eine Rückkehr der USA ins Pariser Klimaschutzabkommen angekündigt. Die Mitgliedschaft der USA dort endete am Mittwoch, nachdem Trump sie aufgekündigt hatte.

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Freude bei Unterstützern von Joe Biden
Reuters/Andrew Kelly
Jubel am Times Square in New York über Trumps Abwahl
Freude bei Unterstützern von Joe Biden
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Siegesfeier in Philadelphia
Ein Mann und eine Frau jubeln auf offener Straße über den Wahlerfolg Bidens
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Dramatische Gesten in Los Angeles: Unmittelbar nach der Bekanntgabe, dass Biden Pennsylvania gewinnen wird, jubeln eine Frau und ein Mann mitten auf dem Sunset Boulevard in Los Angeles.
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens (Philadelphia)
Reuters/Eduardo Munoz
Confetti und viele Americana bei einer Siegesfeier in Philadelphia
Menschen jubeln über den Wahlerfolg von Biden
APA/AFP/Alex Edelman
Confetti und viele Americana bei einer Siegesfeier in Philadelphia
Freude bei Unterstützern von Joe Biden
Reuters/Rachel Wisnieswski
Freude über die Verkündigung des Sieges
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens
Reuters/Brendan Mcdermid
In dem tiefdemokratischen New York ist die Freude besonders groß
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens
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Zwei junge Biden-Anhängerinnen jubeln in Philadelphia in Richtung von Trump-Unterstützern.
Trump Anhänger demonstrieren gegen den Ausgang der Wahlen vor dem Parlamentsgebäude in Pheonix, Arizona.
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Auch Trump Anhänger gehen auf die Straße, sie demonstrieren gegen den Wahlausgang – hier vor dem Parlamentsgebäude in Phoenix, Arizona. Dort ist Biden in Führung, Trump hat bei der Auszählung aber den Vorsprung verringern können.
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens
APA/AFP/Mandel Ngan
Feiernde in Washington
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens
Reuters/Caitlin Ochs
Die Reaktion auf den „Call“ von Pennsylvania, der Bidens Sieg bedeutet in New York.
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens
Reuters/Kevin Lamarque
Wilmington ist bedeutend kleiner als New York, dafür die Heimat des neuen Präsidenten. Natürlich wird auch dort gefeiert.
Taxifahrer in New York jubelt über Bidens Wahlerfolg
Reuters/Andrew Kelly
Ein New Yorker Taxifahrer jubelt ebenfalls mit
Menschen tanzen, trinken und jubeln zusammen nach dem Sieg von Joe Biden bei der US Wahl 2020.
Reuters/Alex Brandon
Auch mit Champagner wird auf den Straßen Washingtons gefeiert
Menschen jubeln über den Wahlerfolg von Biden
AP/Rebecca Blackwell
In Pennsylvania hat sich die Wahl entschieden. In der Metropole Philadelphia wird von Biden-Anhängern entsprechend gefeiert.
Menschen jubeln über den Wahlerfolg von Biden
APA/AFP/Kena Betancur
Öffentliche Feiern in den USA, da darf der Times Square in New York nicht fehlen
Vater trägt seinen Sohn, beide halten eine US Flagge in der Hand.
Reuters/Tom Brenner
Vater und Sohn feiern in Washington
Menschen jubeln über den Wahlerfolg Bidens, in der Nähe des weißen Haus in Washington.
Reuters/Joey Roulette
Die Freude über Trumps Niederlage ist hier mindestens so groß wie jene über den Sieg Bidens.

Der ehemalige US-Präsident Barack Obama, unter dem Biden als Vizepräsident gedient hatte, rief alle Amerikaner dazu auf, Biden eine Chance zu geben und ihn als nächsten Präsidenten des Landes zu unterstützen. „Er wird wie kein anderer neuer Präsident zuvor mit einer Reihe außerordentlicher Herausforderungen konfrontiert sein – einer tobenden Pandemie, einem ungleichen Wirtschafts- und Justizsystem, einer bedrohten Demokratie und einem gefährdeten Klima“, erklärte Obama.

Die Vereidigung ist für den 20. Jänner nächsten Jahres geplant. Biden wird in den USA jetzt schon „President Elect“ („Gewählter Präsident“) genannt. Für den Ex-Senator bedeutet der Wahlsieg die Krönung einer mehr als vier Jahrzehnte umfassenden Karriere. Von 2009 bis 2017 war er Obamas Vize. Mit dann 78 Jahren ist er der älteste Präsident, der in der Geschichte der Vereinigten Staaten das Amt übernimmt.

Feiern und Gratulationen

Bald nach Verkündung durch die US-Sender begannen Menschen in New York und Washington, DC zu feiern. Im Autoverkehr starteten Hupkonzerte, auch rund um das Weiße Haus versammelten sich Menschen zum Feiern. In Wilmington, der ruhigen Heimatstadt Bidens im Bundesstaat Delaware, kam es auch zu spontanen Feiern, ebenso wie in Philadelphia, der größten Stadt im bis zuletzt umkämpfen Schlüsselstaat Pennsylvania.

Feierstimmung in den USA

ORF-Korrespondent Tim Cupal berichtet von der Stimmung in den USA. Joe Biden hat in seiner Rede nochmals betont, dass er das Land einen will.

Aus der ganzen Welt kamen schnell Glückwünsche an Biden. Die Spitzen der EU riefen zudem zu einer engeren transatlantischen Partnerschaft auf. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb am Samstag auf Twitter: „Die EU-Kommission steht bereit, die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung und dem neuen Kongress zu intensivieren“, um Herausforderungen wie die Coronavirus-Pandemie, den Klimawandel, die digitale Transformation, Sicherheit und das multilaterale System anzugehen. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gratulierten.

Bei der Abstimmung am Dienstag standen auch die 435 Sitze des Repräsentantenhauses und rund ein Drittel der Sitze im Senat zur Wahl. Beim Regieren könnte Biden auf die Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus setzen. Seine Partei konnte sich zunächst aber nicht die Kontrolle in der zweiten Parlamentskammer, dem Senat, sichern. Über die Mehrheit im US-Senat für die kommenden zwei Jahre entscheiden erst zwei Stichwahlen im Bundesstaat Georgia Anfang Jänner.