Türkischer Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede
APA/AFP/Adem Altan
Erdogan-Strategie

Neues Personal soll Lira-Verfall stoppen

Zumindest kurzfristig hat der am Wochenende vollzogene Kurswechsel der Türkei in der schweren Währungskrise Erfolg gezeitigt: Am Montag stieg die Lira erstmals seit Monaten wieder. Über den künftigen geldpolitischen Kurs der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan und die Rolle der Zentralbank herrscht aber große Unklarheit.

Im Frühsommer war es der türkischen Notenbank einige Wochen lang gelungen, den Verfall der Landeswährung zu stoppen. Als aber der Verkauf von Devisen in Milliardenhöhe Ende Juli einen neuerlichen Kursrutsch der Lira nicht verhindern konnte, waren die Dämme gebrochen – seitdem geht es steil bergab.

Ende voriger Woche kostete der Euro erstmals mehr als zehn Lira, das entspricht einem Plus von rund 60 Prozent binnen Jahresfrist. Für den Dollar wurde im Devisenhandel die Rekordsumme von 8,58 verlangt; das sind rund 49 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Türkische Wechselstuben, mit deren Hilfe Bürger versuchen, ihr Geld in einen sicheren Hafen ausländischer Devisen wie Euro und Dollar zu retten, verlangten noch mehr, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“) schrieb. Blickt man fünf Jahre zurück, ist der Wertverlust der Lira noch viel höher: So kostet ein Dollar aktuell fast dreimal mehr als Ende 2015 (plus 192 Prozent), der Euro sogar mehr als dreimal mehr (plus 224 Prozent).

Tafel in Istanbul zeigt Wechselkurse vom 26. Oktober 2020
AP
Der Kursverfall der türkischen Lira hatte sich zuletzt zusehends beschleunigt

Erdogans Warnung vor wirtschaftlichem „Teufelsdreieck“

Am Samstag sah sich Erdogan gezwungen zu handeln und entließ den Präsidenten der Zentralbank, Murat Uysal – ohne Begründung und nur mittels Notiz im Amtsblatt. Zu Uysals Nachfolger bestimmte Erdogan Naci Agbal, der von 2015 und 2018 Finanzminister war. Erdogan hatte Uysal erst vor 16 Monaten zum Zentralbankchef ernannt. Der Präsident hat die von Fachleuten verlangten Zinserhöhungen zur Bekämpfung der zwölf Prozent betragenden Inflation immer abgelehnt. Er bezeichnet den Leitzins oft als „Mutter allen Übels“ und drängt auf dessen Senkung.

Die Türkei führe einen wirtschaftlichen Krieg gegen ein „Teufelsdreieck“ bestehend aus Zinssätzen, Wechselkursen und Inflation, sagte Erdogan erst vor wenigen Tagen. Den Vorgänger Uysals hatte er im Juli 2019 hinausgeworfen, weil dieser den Leitzins auf 24 Prozent nach oben gesetzt hatte. Uysal drückte ihn anschließend auf 8,25 Prozent und hob ihn dann leicht wieder auf 10,15 Prozent an. Ein erwarteteter neuerlicher Zinsschritt im Oktober blieb aber aus.

Manche Experten setzen darauf, dass Agbal die Zinsen kräftig anheben wird, andere geben zu bedenken, dass er ein treuer Verbündeter Erdogans sei und nicht gegen dessen Willen handeln würde. „Es liegt der Verdacht nahe, dass der türkische Präsident nun einen noch direkteren Zugriff auf die Geldpolitik haben möchte. Der Lira kann das nur noch mehr schaden“, warnte Analyst Ulrich Leuchtmann von der deutschen Commerzbank.

Türkischer Notenbank-Chef Naci Agbal auf einem Foto von 2016
Reuters/Umit Bektas
Agbal ist der vierte Vorsitzende der türkischen Notenbank binnen fünf Jahren

Schwiegersohn möchte aussteigen

Nur einen Tag nach Uysals Entlassung erklärte überraschend Finanzminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn Erdogans, seinen Rücktritt – per Instagram. Türkische Medien spekulierten, Albayrak sei gegen die Ernennung Agbals gewesen. Offiziell begründete der Ehemann von Erdogans älterer Tochter Esra seinen Rückzug mit gesundheitlichen Problemen, zudem wolle er mehr Zeit mit seiner „vernachlässigten“ Familie verbringen.

Der 42-Jährige hatte das Amt des Finanzministers 2018 übernommen, nachdem er zuvor drei Jahre Energieminister gewesen war. Erdogan nahm den Rücktritt mehr als 24 Stunden nach der Verkündigung an, zu seinem Nachfolger wurde der Ex-Vizeministerpräsident Lütfi Elvan ernannt. Der Rücktritt habe laut Ökonom Win Thin vom Bankhaus Brown Brothers Harriman jedenfalls dazu beigetragen, dass sich die politischen Risiken in der Türkei über das Wochenende erhöhten.

Auch andere Analysten zeigen sich skeptisch, was die finanzielle Zukunft der Türkei betrifft: Gunter Deuber, Chef Research der Raiffeisenbank International in Wien, sagte der „FAZ“, prinzipiell könne ein personeller Neuanfang in so einer Krisensituation, wie es sie in der Türkei gebe, sinnvoll sein. Vor allem, weil eine gute Kommunikationsfähigkeit mit Investoren und die Glaubwürdigkeit eines Notenbankpräsidenten immer ein Teil eines erfolgreichen Krisenmanagements seien. Allerdings seien die fundamentalen makrofinanziellen Probleme der Türkei so groß, dass so ein Personalwechsel allein kaum Erfolg bringen könne.

Probleme sonder Zahl

Nicht nur die Inflation, auch die Arbeitslosigkeit ist anhaltend hoch, vor allem unter Jugendlichen. Die Devisenreserven der Zentralbank sind erschöpft, allein in diesem Jahr wurden rund 100 Milliarden Dollar an Dollar-Reserven verkauft, um die angeschlagene Lira zu stützen. Gleichzeitig ist der Tourismus, einer der wichtigsten Wirtschaftszweige und Devisenbringer, im Zuge der Coronavirus-Pandemie eingebrochen. Die Türkei importiert seit Jahren mehr, als sie exportiert, das Handelsbilanzdefizit lag in den ersten neun Monaten des Jahres mit knapp 38 Milliarden Dollar aber rund 80 Prozent höher als im Vergleichzeitraum 2019.

In einem ersten Statement kündigte der neue Zentralbankchef am Montag an, alle politischen Instrumente entschlossen einzusetzen, um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen: „Notwendige geldpolitische Entscheidungen werden unternommen.“ Deuber, und mit ihm zahlreiche andere Analysten, zweifeln allerdings an, ob Agbal als ehemaliger Finanzminister Erdogans „wirklich für einen Neuanfang im Sinne einer politisch unabhängigen Notenbank steht“. Das müsse er erst einmal unter Beweis stellen. Agbal ist der vierte Zentralbankgouverneur binnen fünf Jahren.