Polizeiautos beim Bermuda-Dreieck
Reuters/Leonhard Foeger
„Haufen Mist“

Vorwürfe rund um Terrorermittlungen

Mehr als eine Woche ist seit dem Terrorakt in der Wiener Innenstadt vergangen. Viele Fragen sind noch unbeantwortet, zum Hergang der Tat genauso wie zu den Hintergründen. Zwischen ÖVP und FPÖ herrscht Streit über die Verantwortlichkeiten – sie rückten am Dienstag gleichzeitig aus, um einander der Missstände zu beschuldigen.

Für die ÖVP ist klar, dass die FPÖ nach dem Attentat in Wien Polizistinnen und Polizisten gefährdet habe. Herbert Kickl, FPÖ-Klubobmann und früherer Innenminister, sei zwei Tage nach dem Anschlag mit Informationen über geheime Polizeiaktionen gegen Islamisten an die Öffentlichkeit gegangen. Kickl habe damit die Bevölkerung verunsichert, so ÖVP-Klubobmann August Wöginger bei einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag.

„Kickl hat einen Haufen Mist hinterlassen, nicht nur Pferdemist“, so Wöginger in Anspielung auf Kickls Polizeipferdeprojekt. Und Kickl habe es in nur eineinhalb Jahren Amtszeit auf ganze sieben Misstrauensanträge im Parlament gebracht: „Das ist trauriger Rekord.“

Kickl ortet Vertuschung

Kickl bezeichnete am Dienstag die Vorgänge in Wien in einer Aussendung als „katastrophale Pannenserie des Innenministeriums im Vorfeld des blutigen Terroranschlags“ und warf Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) eine „Vertuschungskampagne" vor. „Hätten wir nicht vergangenen Mittwochnachmittag belegen können, dass das Innenministerium von den slowakischen Behörden über den versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters informiert war, hätten die Medien nicht etliche katastrophale Pannen aufgedeckt, würden Nehammer und seine Getreuen heute noch eine Vertuschungskampagne weiterbetreiben und nur mit dem Finger auf andere zeigen“, so Kickl.

Bei dem Anschlag in der Wiener Innenstadt waren Anfang der vergangenen Woche vier Menschen erschossen und zahlreiche verletzt worden. Die Polizei tötete den Angreifer innerhalb von Minuten. Es gab Berichte, wonach sich die Spezialkräfte an jenem Abend auf eine Anti-Terror-Aktion namens „Ramses“ (später „Luxor“) vorbereitet hatten und sie deshalb schnell am Tatort in der Wiener City sein konnten.

Bereits am Mittwoch, also zwei Tage nach dem Terrorakt, hatte Kickl einen Verrat innerhalb des Verfassungsschutzes geortet und ebenfalls von dieser Razzia berichtet. Die FPÖ hatte bereits am Sonntag in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ betont, Kickl habe Informationen erst veröffentlicht, nachdem diese bereits in Medienberichten aufgetaucht seien.

ÖVP fordert Aufklärung von Kickl

Die ÖVP konterte am Dienstag den Vorwurf, man greife Kickl an, um von Missständen im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) abzulenken. Wöginger und Sicherheitssprecher Karl Mahrer (ÖVP) verwiesen auf die von Nehammer eingeleitete BVT-Reform. Zudem werde der ständige Unterausschuss des Innenausschusses die Abgeordneten über weitere Details zum BVT und dem Terroranschlag informieren.

Streit zu Informationen über Großrazzia

Nach dem Terroranschlag in Wien verbreitete Herbert Kickl (FPÖ) Informationen über Polizeiaktionen. Die ÖVP wirft ihm vor, dadurch Polizisten gefährdet zu haben. Kickl bestreitet das.

„Innenminister Nehammer handelt verantwortungsvoll und informiert kompetent und rasch. Ex-Innenminister Kickl tut das genaue Gegenteil.“ Es sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte, dass ein Ex-Innenminister aus Verschlussakten zitiere und damit Menschen in Gefahr bringe, sagte Mahrer und forderte von Kickl „Aufklärung“. Er verwies darauf, dass der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, in dieser Causa bereits eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht habe.

Zwist auch über Kommission

Auch die geplante Untersuchungskommission, die mögliche Fehler der Behörden im Vorfeld des Anschlags aufklären soll, war am Dienstag weiterhin Streitpunkt. Sie soll laut ÖVP nicht im Parlament angesiedelt werden. Die Opposition habe zahlreiche Kontrollrechte. Zuerst solle aber eine unabhängige Kommission Aufklärung leisten, so die ÖVP.

Erkenntnisse zum Attentäter

Der spätere Attentäter von Wien wurde beim zweiten Versuch, sich dem IS anzuschließen, in der Türkei in Schubhaft genommen. Einen Tag nach seiner Entlassung flog der Mann nach Wien, wo er von den österreichischen Sicherheitsbehörden als „Foreign Terrorist Fighter“ festgenommen wurde. In einem Strafverfahren wurde er deshalb wegen der Paragrafen 278a (Mitglied einer kriminellen Organisation) und 278b (Mitglied einer terroristischen Vereinigung) verurteilt. Am 5. Dezember 2019 erfolgte die bedingte Entlassung.

Auch die FPÖ forderte eine solche – ebenso wie Nehammers Rücktritt. Eine Kommission könne nur unabhängig arbeiten, "wenn erstens Nehammer zurückgetreten ist und zweitens statt ihm ein unabhängiger Innenminister das Ressort übernimmt“, so Kickl. „Welche Experten auch immer die sogenannte unabhängige Untersuchungskommission bilden, sie alle sind abhängig von der Zahl und der Qualität der Unterlagen, Akten und Informationen, die ihnen vom Innenministerium zur Verfügung gestellt werden – oder auch nicht.“ Nehammer wisse, „dass er sich auf seine schwarzen Netzwerke verlassen“ könne, so Kickls Vorwurf.

Der von der FPÖ nominierte Volksanwalt Walter Rosenkranz leitete zudem ein Prüfverfahren ein. „Es muss absolute Klarheit geschaffen werden, wenn der Verdacht im Raum steht, dass fehlerloses Agieren durch die zuständigen Behörden und die daraus resultierenden Maßnahmen seitens der Justiz den Terroranschlag verhindern hätten können“, so Rosenkranz.

Observation abgebrochen

Bis dato ist noch unbekannt, wie der Attentäter am Abend des Anschlags in die Wiener Innenstadt gelangte. Im Juli hatte er mehrere Terrorverdächtige aus Deutschland und der Schweiz in Wien getroffen. Das Treffen wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Observation wurde beendet, als der Mann am 21. Juli in die Slowakei reiste. Dort wollte er Munition kaufen, was die slowakischen Behörden den österreichischen zur Kenntnis brachten. Es dauerte bis Oktober, bis die Identität des Mannes zweifelsfrei feststand.

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APA/Robert Jaeger
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Einen Tag nach dem Anschlag kritisierte die ÖVP den Umstand, dass der Attentäter vorzeitig aus einer 22-monatigen Haftstrafe bedingt entlassen worden war. Er habe es geschafft, „das Deradikalisierungsprogramm der Justiz zu täuschen“. Das Justizministerium konterte, man habe nach dem Gesetz gehandelt. Der Verein Derad wies ebenfalls die Aussagen zurück. Es sei unrichtig, dass der Täter vorzeitig entlassen worden sei, weil Justiz und Prävention versagt hätten. Er sei nie als „deradikalisiert“ dargestellt worden.

Die Slowakei wiederum wies Vorwürfe aus Österreich zurück, bei der Klärung der Identität des späteren Attentäters eine Verzögerung verursacht zu haben. Später räumte Nehammer „offensichtliche und aus unserer Sicht nicht tolerierbare Fehler“ ein. Als eine Konsequenz wurde der Leiter des Wiener Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) abberufen.

„Im Zentrum“: Der lange Schatten des Terrors

Österreich steht noch immer unter dem Eindruck des Terroranschlags in Wien. Haben die Behörden versagt? Unterschätzt Österreich die Gefahr von Terrorverdächtigen und Terrorsympathisanten?

Beratungen auf EU-Ebene

Wie mit Verdächtigen zu verfahren ist, ist nun Gegenstand der Debatten auch in der Bundesregierung. Das Thema Sicherungshaft steht wieder im Raum, bei dem es Widerstand aus den grünen Reihen gibt. Man befinde sich in intensiven Gesprächen, so Wöginger am Dienstag dazu. Auch auf europäischer Ebene will man die Anstrengungen intensivieren. Zuletzt hatte es außer in Wien auch islamistische Anschläge in Paris, Nizza und Dresden gegeben.

Aufsehen erregten im Vorfeld des Treffens und der Videokonferenz Medienberichte über ein mögliches Verbot der Verschlüsselung von Nachrichten auf Onlinekanälen wie WhatsApp Aufsehen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hatte im Auftrag der EU-Staaten einen Resolutionsentwurf zum Umgang mit Verschlüsselung ausgearbeitet. Ziel sei jedoch zunächst nur ein „dauerhafter Dialog mit der Industrie“ über Lösungsvorschläge, die „einen möglichst geringen Eingriff in die Verschlüsselungssysteme darstellen“. Der Resolutionsentwurf enthalte keine Lösungsvorschläge oder Forderungen nach Schwächung von Verschlüsselungssystemen.