Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Ungarns Staatschef Viktor Orban
APA/AFP/Odd Andersen
EU-Budget

Einigung dreifach bedeutsam

Die schiere Zahl ist beeindruckend: 1,8 Billionen Euro – so viel wird die Europäische Union in den kommenden sieben Jahren ausgeben bzw. investieren. Die Grundsatzeinigung im Budgetstreit vom Dienstag sichert aber nicht nur umfangreiche europäische Finanzmittel beim Wiederaufbau nach der Pandemie. Sie bringt auch zwei Maßnahmen, die langfristig die Union verändern könnten.

So wurden beim Durchbruch der Verhandlungen zwischen EU-Rat und EU-Parlament auch die EU-Bonds, also das gemeinsame Aufnehmen von Schulden, fixiert. Diese EU-Anleihen sind zweckgebunden für den Wiederaufbau. Freilich ist damit das langjährige Tabu gebrochen, das Deutschland erst angesichts der Pandemiekrise aufgab.

Kleinere Länder wie die Niederlande und Österreich, die sich weiter gegen das aus ihrer Sicht Schreckgespenst „Schuldenunion“ wehrten, verhandelten schließlich Einschränkungen aus. Länder wie Frankreich und Italien, die gemeinsame EU-Anleihen seit Langem fordern, feiern die EU-Anleihen dagegen als wichtigen Erfolg. Höher verschuldete Länder wie sie sehen diese als Frage der europäischen Solidarität wie der Stabilität der Euro-Zone. Für sie verringert es die Kosten der Kreditaufnahme wesentlich, während es für Länder mit ausgezeichneter Bonität wie Österreich diesbezüglich kaum einen Unterschied machen dürfte.

Reality-Check für Schreckgespenst

Die Erfahrungen mit diesem Versuch werden darüber mitentscheiden, ob dieses Finanzierungsinstrument eine einmalige Angelegenheit bleibt oder ob es sich mittelfristig als ordentliches Mittel in der Euro-Zone durchsetzt, weil sich die Befürchtungen etwa einer dann wegbrechenden Budgetdisziplin einzelner Länder als unbegründet herausstellen.

Bremsmechanismus bei Orban & Co.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass erstmals die Vergabe von EU-Geldern verpflichtend an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit gekoppelt wird. Damit soll es künftig nicht mehr möglich sein, dass etwa Ungarns Regierungschef Viktor Orban rechtsstaatliche Grundsätze unterhöhlt. Zugleich agitiert Orban laufend gegen Brüssel und stempelt die Union innenpolitisch gern zum Sündenbock, während sein Land gleichzeitig Milliarden an EU-Fördergeldern lukriert. Seit Langem laufen Rechtsstaatsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Ungarn wie Polen. Der Mechanismus ist bisher aber zahnlos, da es keine Sanktionen gibt.

Künftig soll als Strafe die Auszahlung von EU-Geldern gestoppt werden können: Einerseits, wenn es im konkreten Bereich, in den die Gelder fließen, Korruption oder anderen Missbrauch gibt. Darüber hinaus sollen EU-Gelder künftig aber auch eingefroren werden können, wenn es ganz grundsätzlich Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit gibt – auch ohne direkten Zusammenhang mit dem per EU-Geldern geförderten Bereich. Das Argument hier lautet, dass bei fehlender Unabhängigkeit der Gerichte auch der korrekte Einsatz von EU-Geldern nicht mehr gewährleistet werden kann.

Menschen in Madrid applaudieren auf ihrem Balkon
Reuters/Sergio Perez
Menschen in Madrid applaudieren dem medizinischen Personal: 750 Mrd. Euro wird die EU für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen

Hohe Hürde

Dass es auch bei allgemeinen Verstößen Sanktionen geben soll, verhandelte das EU-Parlament zuletzt in den Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission erfolgreich in das Paket hinein. In der Praxis bleibt freilich eine relativ hohe Hürde: Eine Sanktionsempfehlung der Kommission muss mit einer qualifizierten Mehrheit im EU-Rat abgesegnet werden.

Das EU-Parlament hatte einen Automatismus oder zumindest eine einfache Mehrheit gefordert. Trotzdem: Dass diese Möglichkeit nun geschaffen werden soll, ist ein entscheidender Fortschritt und könnte, spätestens wenn der Ernstfall einmal eintritt, auch entsprechend abschreckend wirken.

Kaum zu stoppender Zug

Ungarn und Polen drohten bereits mit einem Veto. Im Rat reicht für den Beschluss eine qualifizierte Mehrheit. Allerdings muss der Siebenjahreshaushalt der EU von den 27 Mitgliedstaaten einstimmig gebilligt werden. Hier könnten Budapest und Warschau blockieren.

Allerdings hat Deutschland derzeit den Ratsvorsitz inne, und neben den Brexit-Verhandlungen steht der Abschluss des EU-Budgets für Kanzlerin Angela Merkel im Zentrum ihrer Agenda. Immerhin brachte sie selbst ein großes Opfer, indem sie sich selbst von ihrem strikten Widerstand gegen EU-Anleihen verabschiedete. Das kann als Hinweis dafür gelten, dass sie auf jeden Fall eine Einigung erzielen will.

Viel wichtiger aus Sicht Orbans: Seinem Land winken hohe Summen aus dem Wiederaufbaufonds und dem regulären EU-Budget. Auf dieses Geld kann Orban nicht verzichten. Vor diesen Zug wird sich Orban daher kaum werfen.

Die passende Konstellation

Die Verhandlungen über EU-Budget und Wiederaufbau beweisen einmal mehr, was gerade im europäischen Einigungsprozess immer wieder gegolten hat: Die Sterne, sprich die Interessen, müssen in der richtigen Konstellation zueinander stehen, und dann braucht es entschlossenes Handeln. So war über das EU-Budget für 2021–27 bereits während Österreichs EU-Vorsitz 2018 intensiv verhandelt worden, aber 2021 war damals noch weit weg. Aber nun haben die Pandemie und die von ihr ausgelöste Wirtschaftskrise die zuvor recht starren Fronten entscheidend in Bewegung gebracht.

EU-Budget steht

Mit 1,8 Billionen Euro ist das ausverhandelte EU-Budget das größte Finanzpaket, das die EU jemals geschnürt hat. Enthalten ist darin auch ein teils schuldenfinanziertes Paket für den Wiederaufbau nach der Coronavirus-Krise.

Dazu kommt, dass die finanzkräftigste Nation, Deutschland, derzeit die traditionell vermittelnde Vorsitzrolle innehat. Nicht zuletzt erwies sich Großbritanniens Abschied in diesem Fall wohl als positiver Faktor: London hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit bei dem EU-Rekordbudget gebremst und damit zumindest indirekt Budapest und Warschau den Rücken gestärkt.