Charles Michel
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Budgetfrage vertagt

EU-Gipfel kann Blockade nicht lösen

Der virtuelle Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs hat am Donnerstag keine Fortschritte im Budgetstreit mit Ungarn und Polen gebracht. Der Frage, wie man die Blockade durch die zwei Länder löst, widmete man nur wenige Minuten – der virtuelle Gipfel sei nicht das angemessene Format, um eine derart komplexe Frage zu behandeln, hieß es von einem EU-Vertreter.

Mit Spannung wurde die Diskussion über Ungarn und Polen erwartet, in Brüssel bereitete man sich auf einen langen Abend vor. Doch nach nur knapp 20 Minuten war das große Thema des Abends schon abgeschlossen. Nur wenig später hieß es aus Ratskreisen, dass man schon im Vorfeld darauf geachtet habe, die Diskussion „unter Kontrolle“ zu halten. Mit Verweis auf das falsche Format für derart große Entscheidungen gingen die Staats- und Regierungsspitzen zu Fragen zum Coronavirus über.

Man unterschätze die Ernsthaftigkeit der Lage nicht, hieß es von dem EU-Vertreter – man sei überzeugt davon, dass man die Vereinbarung vom Juli so bald wie möglich umsetzen müsse. Damals wurde beschlossen, dass die Auszahlung von EU-Geldern künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit gebunden seien. Ungarn und Polen blockieren dieses Vorhaben – und damit das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket der EU.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte im Anschluss an den Gipfel, dass man im Hinblick auf das Finanzpaket „geeint“ bleiben müsse. Das Paket sei „wesentlich“ für „unsere wirtschaftliche Erholung“, so Michel. „Manche Mitgliedsstaaten“ hätten jedoch zu verstehen gegeben, dass man die „Mehrheit nicht unterstützen“ könne, sagte Michel.

Nur Ungarn, Polen und Slowenien am Wort

Zu Beginn des Gipfels gab es eine Einführung des Ratspräsidenten, gefolgt von einem Überblick zur aktuellen Lage durch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Laut EU-Kreisen kamen nach Merkel nur drei Politiker zu Wort: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und der slowenische Regierungschef Janez Jansa, der sich zuletzt hinter Ungarn und Polen gestellt hatte.

Videokonferenz beim EU-Gipfel
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Bei einem Videogipfel trafen die Staats- und Regierungschefs zusammen – Einigung gab es keine

Kurz: Rechtsstaatlichkeit als „Basis“ für EU-Gelder

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte vor dem EU-Videogipfel „Reformen und Rechtsstaatlichkeit“ als „Basis“ für die Auszahlung von EU-Geld bezeichnet. „Jetzt wird in der EU sehr viel Steuergeld in einem noch nie da gewesenen Ausmaß in Anspruch genommen. Es wird aber nur dann europäisches Geld fließen, wenn Reformen durchgeführt werden und die Rechtsstaatlichkeit eingehalten wird“, sagte er. Der Bundeskanzler sprach sich zudem gegen Kompromisse und für eine genaue Kontrolle aus, „wofür das Geld in weiterer Folge ausgegeben wird“.

Deutsche Ratspräsidentschaft sucht nach Lösung

Appelle kamen aus zahlreichen Ländern, darunter auch aus Deutschland, das bis zum Jahresende noch die Ratspräsidentschaft innehat. Außenminister Heiko Maas sagte, Deutschland suche in seiner Rolle als EU-Vorsitzland eine Lösung. Das werde aber nicht öffentlich getan. Maas sagte, viele EU-Staaten seien nicht bereit, beim Thema Rechtsstaatlichkeit noch große Kompromisse einzugehen. „Das ist eine sehr schwierige Situation, in der wir uns befinden“, sagte der SPD-Politiker.

EU-Krisengipfel per Videoschaltung

Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union tagen am Donnerstagabend in Form einer Videoschaltung. Weil Ungarn und Polen alle künftigen Budgetmaßnahmen der EU blockieren, wird die Videokonferenz wieder zu einem Krisengipfel.

Parlament lehnt Änderungen ab

Die neue Rechtsstaatsklausel wurde zwar im Prinzip bereits im Juli vereinbart, doch war die Formulierung damals sehr vage. Ungarn und Polen bemängeln, die damaligen Absprachen seien nicht korrekt umgesetzt worden. Die Details hatte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft mit dem Europaparlament ausgehandelt.

Das EU-Parlament will davon nicht mehr abrücken, wie Präsident David Sassoli gemeinsam mit den Fraktionschefs erklärte. Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, sagte, er könne nicht verstehen, warum sich Polen und Ungarn über die Klausel beklagten. Am Ende habe jedes Land die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Kürzung von Geldern zu klagen.

Auch Coronavirus auf der Tagesordnung

Wie schon in den vorigen Wochen war die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie das Hauptthema des Gipfels. Dabei ging es um die gegenseitige Anerkennung von Coronavirus-Tests, die Vorbereitungen für Impfungen und einen gemeinsamen Ansatz bei der Aufhebung von Coronavirus-Beschränkungen. Das Virus bleibe „ernst und besorgniserregend“, sagte Michel und betonte einmal mehr, dass man die Pandemie koordiniert bekämpfen müsse.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte unterdessen an, dass man zwei Impfstoffe bereits in der zweiten Dezember-Hälfte in Europa zulassen könnte – unter der Voraussetzung, dass alles gut laufe. Merkel sagte, dass sie mit einer Zulassung im Dezember oder „sehr schnell nach der Jahreswende“ rechne. „Und dann wird das Impfen natürlich beginnen“, so Merkel.

Auch Terror wurde im Zuge des Gipfels diskutiert. Michel betonte „Solidarität mit Frankreich und Österreich“. Man werde weiterhin „Hass und vor allem auch Hass im Netz“ bekämpfen, so Michel. Schon im Vorfeld hatte es geheißen, dass Kanzler Kurz im Rahmen des Gipfels den EU-Staats- und Regierungschefs für ihre Solidarität danken wolle.