Zerstörtes Auto am Ort des Anschlags auf Mohsen Fakhrizadeh
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Remote-Anschlag

Gefährliche Phase in Atomstreit mit Iran

Die Ermordung des führenden iranischen Atomforschers Mohsen Fachrisadeh hat den internationalen Atomstreit mit dem Land und die sicherheitspolitische Lage im Nahen Osten mit einem Schlag gefährlich zugespitzt. Die Führung in Teheran steht nun vor einem taktischen und strategischen Dilemma. Das bis ins Detail geplante Attentat wurde offenbar per Fernbedienung – möglicherweise aus einem anderen Land – ausgeführt.

Denn für Teheran ist es bereits der dritte erfolgreiche Anschlag auf einen hochrangigen Mitarbeiter, den es allein heuer hinnehmen musste. Es hatte im Jänner mit der Ermordung des äußerst populären Generals der Revolutionsgarden, Kassam Suleimani, begonnen, als er, im Autokonvoi vom Flughafen Bagdad unterwegs, von einer US-Drohne tödlich getroffen wurde. Im August wurde Teheran schließlich durch die Ermordung von al-Kaidas Nummer zwei, Abu Muhammad al-Masri, auf den Straßen Teherans blamiert.

Dazu kam im Juli eine Explosion in der Atomanlage in Natans, bei der eine Halle zerstört wurde. Dort wurden offenbar leistungsfähigere Urananreicherungszentrifugen entwickelt.

Ein echter Rückschlag für das iranische Nuklearprogramm waren wohl weder die jüngste Ermordung noch die Attentate davor. Dafür dürfte dieses bereits zu weit entwickelt und institutionalisiert sein. Existenz und Fortführung des Programms würden längst nicht mehr an einzelnen Personen hängen, zitierte die „Financial Times“ namentlich nicht genannte Insider. Allerdings lässt die Kette an Angriffen die Sicherheits- und Abwehrdienste des Landes mehr als schlecht aussehen und Kollaborateure mit dem Westen vermuten. Entsprechend stark ist vor allem bei den Hardlinern die Wut, und die Versuchung ist groß, rasch einen Gegenschlag auszuführen.

Begräbnis von Mohsen Fakhrizadeh
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Am Montag wurde Fachrisadeh feierlich beigesetzt

Anschlag vor allem auf Atomdeal?

Das könnte freilich genau die Absicht des jüngsten Attentats auf Fachrisadeh sein: Denn ein Gegenanschlag – etwa Attacken auf Diplomaten oder Botschaften der USA und Israels im Ausland – würde die Chancen auf eine Änderung des Kurses unter dem künftigen US-Präsidenten Joe Biden zumindest mittelfristig zunichtemachen.

Iran beschuldigt Israel

Der Iran macht Israel für die Ermordung seines Atomprogramm-Chefs verantwortlich, aber hat der Mossad seine Finger wirklich im Spiel?

Eine Rückkehr der USA und damit eine Wiederbelebung des Atomdeals mit dem Iran wollen aber Israel und der im Jänner aus dem Amt scheidende US-Präsident Donald Trump unbedingt vermeiden. Genau das sprach auch der gemäßigte iranische Präsident Hassan Rouhani aus: Teheran werde „zur rechten Zeit und in angemessener Weise“ Rache üben. Der Iran sei aber „klug und weise genug, nicht in die Falle der Zionisten zu tappen“, so Rouhani im Regimesprech über Israel.

Trump war 2018 aus dem Atomvertrag ausgestiegen. London, Frankreich und Berlin hatten versucht, den Deal zumindest irgendwie aufrechtzuerhalten. Nun hoffen sie, dass die USA unter Biden wieder beitreten. Für den Iran geht es vor allem um die Aufhebung der von Trump wieder eingeführten scharfen US-Sanktionen, die das Land schwer treffen.

Der Grundkonflikt

Israel und der Westen warnen vor iranischen Atomraketen, während es Teheran laut eigenen Aussagen nur um die friedliche Nutzung zur Energiegewinnung geht. Israel, derzeit die einzige Atommacht in der Region, will aus Sorge um die eigene Existenz verhindern, dass der Erzfeind Iran hier gleichzieht.

Komponente im Machtkampf

Freilich gibt es auch eine inneriranische Komponente: Im kommenden Jahr steht eine Präsidentschaftswahl an. Präsident Rouhani kann kein weiteres Mal zur Wahl antreten, liberale Kandidaten dürften diesmal kaum Aussicht haben. Der konservative Wächterrat, ein Gremium das der geistliche Führer Ajatollah Ali Chamenei kontrolliert, hatte bereits bei der Parlamentswahl im Vorjahr eine Auswahl getroffen, die eine konservative Mehrheit garantierte. Das Präsidentenamt ist mittlerweile die einzige leitende Position, die nicht von Hardlinern kontrolliert wird.

Rouhani wird nächsten Sommer aus dem Amt scheiden. Dann könnte sich dieses Zeitfenster schließen. Allerdings konnte Rouhani gerade außenpolitisch nie allein entscheiden. Für ihn wie für seinen Nachfolger gilt: Ohne Zustimmung Chameneis geht gar nichts.

Demonstration nach Anschlag auf Mohsen Fakhrizadeh
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Protestaktion in Teheran nach der Tötung von Fachrisadeh: Demonstranten verbrennen Bilder von Trump und Biden

Angriff „mit völlig neuem Stil“

Wer hinter dem Anschlag steckt, ist ungeklärt. Der Iran, aber auch viele westliche Geheimdienstkenner, sehen Israel dahinter. Israel äußert sich – wie üblich in solchen Fällen – nicht offiziell dazu. Sollte es stimmen, könnte es dafür auch grünes Licht von der US-Regierung Trump gegeben haben. Nur wenige Tage vor dem Anschlag war US-Außenminister Mike Pompeo zu Besuch in Israel – und er soll ein Geheimtreffen zwischen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu mit dem saudischen De-facto-Herrscher Mohammed bin Salman vermittelt haben. Die beiden offiziell verfeindeten Staaten bilden seit Längerem eine gemeinsame Phalanx gegen den gemeinsamen Feind Iran.

ZIB-Korrespondent Jörg Winter

Hardliner im Iran fordern eine harte Reaktion des Iran – wie könnte diese aussehen? Jörg Winter antwortet.

Teheran wirft neben Israel nun jedenfalls auch der Exiloppositionsbewegung der Volksmudschahedin eine Beteiligung am tödlichen Anschlag auf Fachrisadeh vor. Wer immer es war – ein so ausgeklügeltes Attentat ist ohne Helfer an Ort und Stelle nicht vorstellbar. Bei dem Attentat habe es sich um eine Operation mit „einem völlig neuen Stil und einer völlig neuen Methode“ gehandelt, erklärte der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrates, Ali Schamchani, am Montag. Es sei ein Angriff „mit elektronischer Ausrüstung“ gewesen, bei der „niemand am Tatort anwesend war“.

Teheran: Schüsse per Fernsteuerung

Fachrisadeh, stets begleitet von mehreren Bodyguards, befand sich laut „New York Times“ auf einer eigens ausgewählten Route. In einem am Straßenrand geparkten Pick-up waren offenbar eine oder mehrere Schusswaffen so positioniert worden, dass sie auf das vorbeikommende Auto feuern konnten. Laut Angaben von Teheran geschah das ferngesteuert, möglicherweise via Satellit aus einem anderen Land. Am Wochenende war in Medienberichten noch von bis zu zwölf Schützen, die am Tatort auf den 59-Jährigen schossen, die Rede. Wie sich das Attentat tatsächlich abspielte, ist bisher nicht unabhängig rekonstruiert.

Den Leiter der Forschungs- und Innovationsabteilung des iranischen Verteidigungsministeriums bezeichnete Israels Regierungschef in der Vergangenheit als Vater des iranischen Atomprogramms. Als er 2018 vom Mossad in Teheran entwendete Atomunterlagen präsentierte, sagte er zu anwesenden Journalisten: „Merken Sie sich diesen Namen!“