US-Justizminister William Barr
AP/Jeff Roberson
„Kein entscheidender Wahlbetrug“

US-Justizminister widerspricht Trump

Die Weigerung von US-Präsident Donald Trump, die eigene Niederlage bei der Wahl gegen Joe Biden anzuerkennen, wird immer grotesker. Nun wenden sich auch seine engsten Verbündeten von ihm ab: Sein Justizminister, William Barr, widersprach der Behauptung Trumps, es habe Wahlbetrug im großen Stil stattgefunden. Und der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sprach erstmals von „der neuen Regierung“.

Barr betonte in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP wörtlich: „Bis heute haben wir keinen Betrug in einem Ausmaß gesehen, der zu einem anderen Wahlergebnis hätte führen können.“

Die Äußerungen des Justizministers kommen überraschend: Barr gilt als Trump-Loyalist und hatte dem Präsidenten in der Vergangenheit immer wieder den Rücken freigehalten. Kurz nach Veröffentlichung des AP-Interviews wurde Barr bei seiner Ankunft im Weißen Haus gesehen.

Trumps Anwälte wiesen Barrs Darstellung zurück. Es habe „nicht den Anflug“ einer Untersuchung durch das Justizministerium gegeben, teilten die Trump-Anwälte Rudy Giuliani und Jenna Ellis am Dienstag mit. „Wir haben umfangreiche Beweise für illegale Stimmenabgaben in mindestens sechs Bundesstaaten gesammelt.“

Giuliani gibt sich empört

Diese Beweise und Zeugenaussagen habe das Ministerium nicht überprüft, hieß es. Barr scheine sich seine Meinung „ohne jegliche Kenntnis oder Untersuchung der substanziellen Unregelmäßigkeiten und Beweise für systematischen Betrug“ gebildet zu haben. Barr sagte der AP, Staatsanwälte und Ermittler der Bundespolizei FBI seien Beschwerden im Zusammenhang mit der Wahl nachgegangen. Sie hätten aber keine Beweise gefunden, die das Ergebnis verändert hätten.

Die „New York Times“ berichtete, Giuliani habe mit Trump in den letzten Tagen eine auch in die Zukunft wirkende Amnestie für seine Person besprochen. Gegen Giuliani laufen Ermittlungen wegen seiner Geschäfte in der Ukraine.

Barrs Tabubruch brachte nichts

Vor rund drei Wochen hatte Barr in einer gegen die Tradition verstoßenden Anweisung Staatsanwälten die Erlaubnis erteilt, Vorwürfe über Wahlbetrug noch vor Bekanntgabe der Endergebnisse zu untersuchen. Solche Verfahren dürften aufgenommen werden, wenn es „klare und offenbar glaubwürdige Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten“ gebe, die den Wahlausgang in einem Bundesstaat beeinflusst haben könnten, hieß es damals in einem Schreiben Barrs an Staatsanwälte.

Die Bundesstaaten müssen ihre beglaubigten Endergebnisse bis spätestens nächsten Dienstag nach Washington gemeldet haben. Üblicherweise dürfen Staatsanwälte erst tätig werden, sobald Endergebnisse vorliegen. Barrs ungewöhnlicher Schritt veranlasste den für die Prüfung von Wahlbetrug zuständigen Chefbeamten zum Rücktritt.

William Barr und Donald Trump
APA/AFP/Mandel Ngan
Barr hielt Trump in vielen Bereichen den Rücken frei

McConnell erkennt indirekt Bidens Sieg an

Unterdessen scheint sich auch McConnell mit den neuen Realitäten anzufreunden. Nach einem Aufruf Bidens an den Kongress, ein neues CoV-Hilfspaket zu verhandeln, räumte McConnell ein, dass es mit Jahresbeginn wahrscheinlich eine Debatte über ein zusätzliches Hilfspaket geben werde, „abhängig von den Plänen der neuen Regierung“. Barrs und McConnells Aussagen sind ein schwerer Rückschlag für Trumps Bemühungen, das Wahlergebnis nachträglich zu ändern. Beide gehören zu Trumps engsten Alliierten.

McConnell sprach weiterhin sehr vorsichtig und betonte mehrmals, dass die Trump-Regierung die nächsten Wochen jedenfalls weiter im Amt sei. Wahlverlierer Trump spricht seit Wochen von angeblichem Wahlbetrug, der seinem Herausforderer Biden zum Sieg verholfen haben soll. Wahlverantwortliche und Experten widersprechen entschieden. Das Trump-Lager ist zudem mit einer Reihe von Klagen gegen die Wahl gescheitert.

Kurz vor den Äußerungen Barrs und McConnells hatte Trump einen neuen Anlauf unternommen, das Ergebnis der von ihm verlorenen Präsidentenwahl im US-Bundesstaat Wisconsin zu kippen. Die Anwälte des US-Präsidenten forderten in einer am Dienstag eingereichten Klage, mehr als 220.000 per Post eingeschickte Stimmzettel nicht zu berücksichtigen, weil sie unrechtmäßig eingereicht worden seien. Wisconsin hatte Bidens Sieg am Dienstag offiziell bestätigt.

Ermittlungen rund um Begnadigungen

Die US-Justiz untersucht indes einen Fall, in dem es um den Verdacht von Schmiergeld für eine Begnadigung geht. Wer an der potenziellen Straftat beteiligt sein könnte, geht aus einem 20-seitigen Gerichtsdokument nicht hervor, das ein Bundesgericht in der Hauptstadt Washington veröffentlichte. Namen und weite Teile des Dokuments sind geschwärzt.

Anklage wurde in dem Fall bisher nicht erhoben. Der US-Präsident hat nach der Verfassung beinahe unbegrenzte Befugnisse, Begnadigungen auf Bundesebene zu erlassen. In dem nun in Teilen veröffentlichten Dokument von Ende August verfügt Bundesrichterin Beryl A. Howell unter anderem, dass mehr als 50 beschlagnahmte digitale Speichermedien nicht unter die geschützte Kommunikation eines Anwalts mit dessen Mandanten fallen.

„Vorsorgliche Begnadigungen“ für Trumps Kinder?

Die „New York Times“ berichtete unterdessen, Trump habe mit Beratern über „vorsorgliche Begnadigungen“ seiner drei ältesten Kinder Donald Trump Junior, Eric und Ivanka Trump sowie seines Schwiegersohns und Beraters Jared Kushner gesprochen.

Trump habe seinen Beratern gegenüber die Sorge geäußert, dass das Justizministerium unter Biden „Vergeltung“ üben könnte. Biden hatte erst kürzlich gesagt, er werde anders als Trump nicht das Justizministerium dazu nutzen, um Untersuchungen gegen seinen politischen Gegner anzustrengen.