Premier Boris Johnson
APA/AFP/John Sibley
Gezerre um Brexit-Handelspakt

Johnson will nach Brüssel reisen

Im Streit über den Brexit-Handelspakt soll ein persönliches Treffen auf höchster Ebene den Durchbruch bringen. Der britische Premierminister Boris Johnson werde in den kommenden Tagen nach Brüssel reisen, um mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die schwierigsten Fragen zu klären, teilte die EU-Kommission am Montagabend nach einem Telefonat Johnsons mit von der Leyen mit.

Damit geht das Ringen um das Abkommen abermals in die Verlängerung. Es soll bereits am 1. Jänner ratifiziert und in Kraft sein. „Die Bedingungen für eine Einigung sind wegen Differenzen bei entscheidenden Punkten noch nicht gegeben“, hieß es in einer von der Kommission verbreiteten gemeinsamen Erklärung. „Wir haben unsere Chefunterhändler gebeten, eine Übersicht über die bleibenden Differenzen vorzubereiten, damit diese persönlich in den nächsten Tagen besprochen werden können.“

„Die Verhandlungen sind genau am gleichen Punkt wie am Freitag“, hieß es am Montagabend aus Regierungskreisen in London. „Wir haben keine greifbaren Fortschritte gemacht.“ Zwar betrachte London die Verhandlungen nicht für beendet, aber es bestehe „jede Möglichkeit“ für ein Scheitern der Gespräche. Die Verhandlungen seien „sehr verzwickt“, sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter in London. Deshalb sei nun ein direktes persönliches Gespräch nötig.

Barnier sieht „kaum Fortschritte“

In der Früh hatte EU-Unterhändler Michel Barnier bei internen Unterrichtungen deutlich gemacht, dass es bei den entscheidenden Knackpunkten auch in der seit Sonntag laufenden jüngsten Verhandlungsrunde kaum Fortschritte gegeben habe. Die drei wichtigsten Punkte sind: Zugang für EU-Fischer zu britischen Gewässern, faire Wettbewerbsbedingungen und Regeln zur Ahndung von Verstößen gegen das Abkommen.

Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen
AP/Julien Warnand
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sieht noch nicht die für eine Einigung nötigen Bedingungen

Der Zeitdruck ist knapp vier Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase enorm. Zum Jahreswechsel scheidet Großbritannien nach dem EU-Austritt auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Ohne Handelsabkommen drohen Zölle und andere Handelshürden.

Beide Seiten betonen Gesprächsbereitschaft

Trotz des weitgehenden Stillstands in den Verhandlungen hatte die EU-Seite auch am Montag auf Einigungschancen gepocht. Die britische Seite zeigte sich vor dem Telefonat zu weiteren Gesprächen bereit. Die deutsche Regierung bekräftigte, es müsse Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten geben. Deutschlands Außenminister Heiko Maas (SPD) betonte, es sei innerhalb der EU klar, dass es keine Einigung um jeden Preis geben werde. „Aber wir wollen definitiv ein Abkommen erreichen.“

Die EU hat Großbritannien freien Warenhandel ohne Zölle und Mengenbegrenzungen angeboten. Dafür fordert sie aber gleiche Umwelt- oder Sozialstandards und Subventionsregeln. Das verbirgt sich hinter dem Punkt faire Wettbewerbsbedingungen – im Verhandlungsjargon „Level Playing Field“. Großbritannien möchte sich aber von der EU möglichst wenige Vorgaben machen lassen.

Das zweite Streitthema Fischerei ist vor allem für Küstenstaaten wichtig, allen voran Frankreich. Die Unterhändler feilschen um die Mengen, die EU-Fischer in britischen Gewässern fangen dürfen. Der dritte Punkt „Durchsetzung des Vertrags“ ist der EU auch wegen eines Manövers der Johnson-Regierung wichtig, das in Brüssel große Empörung hervorrief: ein geplanter Verstoß gegen das bereits gültige EU-Austrittsabkommen. Johnson wollte mit dem Binnenmarktgesetz Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrags aushebeln.

Umstrittene Klauseln wieder eingefügt

Montagabend stellte das britische Unterhaus umstrittene Passagen des Binnenmarktgesetzes wieder her. Die britische Regierung hatte zugegeben, dass es sich dabei um einen Bruch internationalen Rechts handeln würde, hatte das Gesetz aber gleichzeitig als „legales Sicherheitsnetz“ verteidigt. Das Oberhaus entfernte die umstrittenen Klauseln. Nun wurden sie wieder eingefügt.

Dabei hatte die Regierung kurz vor dem Start der Debatte angedeutet, in den kommenden Tagen einzulenken und die Passagen entfernen oder wenigstens entschärfen zu wollen. Der Schritt wurde als Zeichen des guten Willens in den festgefahrenen Gesprächen über einen Brexit-Handelspakt gedeutet.

Voraussetzung für ein Einlenken sei jedoch eine Einigung in dem gemeinsamen Komitee, das für die Umsetzung der Nordirland-Bestimmungen des Austrittsvertrags zuständig ist, teilte die Regierung mit. „Die Gespräche dauern an und abschließende Entscheidungen werden in den kommenden Tagen erwartet“, hieß es in der Mitteilung.

Edtstadler hält Einigung für möglich

Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hält eine Einigung mit Großbritannien noch für möglich. „Die Zeit dafür wird sehr knapp, dennoch halte ich es immer noch für möglich, eine Einigung zu erzielen“, sagte sie im Vorfeld von Beratungen der EU-Europaminister.