Medizinisches Personal entnimmt mit einer Greifzange Covid-19-Impfdosen aus einem Behälter
APA/AFP/Graeme Robertson
„Reiche Länder horten“

Sorge über unfaire Impfstoffverteilung

Neun von zehn Menschen in 70 einkommensschwachen Ländern können im nächsten Jahr wahrscheinlich nicht gegen Covid-19 geimpft werden. Die meisten der vielversprechendsten Impfstoffe, die auf den Markt kommen, werden nämlich von westlichen Ländern aufgekauft. Eine Allianz mehrerer NGOs sieht schon jetzt eine ungerechte Verteilung von CoV-Impfstoffen: Reiche Länder würden Impfstoffe horten.

Dem NGO-Bündnis gehören neben Amnesty International und Oxfam auch die Organisationen Frontline Aids und Global Justice Now an. Der Allianz zufolge haben sich die reichen Länder der Erde, in denen rund 14 Prozent der Weltbevölkerung leben, bereits 53 Prozent der Impfstoffe, etwa von Pfizer und Biontech, Moderna und AstraZeneca, gesichert.

„Niemand sollte daran gehindert werden, einen lebensrettenden Impfstoff zu erhalten, sei es wegen des Landes, in dem er lebt, sei es wegen des Geldbetrags in seiner Tasche“, sagte Anna Marriott, die Leiterin der Gesundheitspolitik bei Oxfam. „Aber wenn sich nicht etwas dramatisch ändert, werden Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt auf Jahre hinaus keinen sicheren und wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 erhalten.“

Teure Impfstoffe, schwierige Lagerung

Der Impfstoff von Pfizer und Biontech, die letzte Woche in Großbritannien zugelassen wurde, sei zu 96 Prozent vom Westen gekauft worden, rechnete die NGO-Allianz vor. Der Moderna-Impfstoff gehe sogar ausschließlich in reiche Länder. Die Wirksamkeit des Pfizer-Biontech- und des Moderna-Impstoffes liegt laut Testphase bei 95 Prozent. Die Preise für beide Impfstoffe sind allerdings sehr hoch – zwischen 20 und 37 US-Dollar (zwischen 16 und 30 Euro) – pro Dosis. Der Zugang für einkommensschwache Länder wird durch die extrem niedrigen Temperaturen, bei denen sie gelagert werden müssen, außerdem erschwert.

Grafik zeigt eine Auflistung von Covid-19-Impfstoffen und deren Kosten
Grafik: ORF.at; Quellen: Statista, Reuters, Financial Times, CNBC, Russ. Gesundheitsministerium

Im Gegensatz dazu ist der Impfstoff der Universität Oxford und von AstraZeneca, der eine Wirksamkeit von 70 Prozent hat, bei normalen Kühltemperaturen stabil. Der Preis ist mit rund vier US-Dollar (drei Euro) pro Impfdosis auch wesentlich günstiger. Die Uni Oxford kündigte an, dass 64 Prozent der AstraZeneca-Dosen an Menschen in Entwicklungsländern gehen würden. Befürworterinnen und Befürworter begrüßten dieses Engagement, sagten jedoch auch, ein Unternehmen allein könne nicht alle Entwicklungsländer beliefern. Oxford und AstraZeneca können der NGO-Allianz zufolge im nächsten Jahr höchstens 18 Prozent der Weltbevölkerung erreichen.

Das NGO-Bündnis verwendete die Daten des Wissenschaftsinformations- und -analyseunternehmens Airfinity, um die globalen Geschäfte mit den acht führenden Impfstoffkandidaten zu analysieren. Durch die Daten wurde weiters festgestellt, dass 67 Länder mit niedrigem und mittlerem Durchschnittseinkommen Gefahr laufen zurückzubleiben. Die NGOs schätzen das Risiko für Kenia, Myanmar, Nigeria, Pakistan und die Ukraine besonders hoch ein.

Forderung: Geistiges Eigentum allen zur Verfügung stellen

Oxfam, Amnesty und Co. fordern, dass die Impfstoffhersteller ihre Technologie und ihr geistiges Eigentum über den Covid-19-Technology-Access-Pool der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Verfügung stellen. Das würde es ermöglichen, Milliarden weiterer Dosen zu niedrigen Preisen für Entwicklungsländer herzustellen.

AstraZeneca/Oxford, Moderna und Pfizer/Biontech hätten mehr als fünf Milliarden Dollar an öffentlichen Geldern für die Entwicklung ihrer Impfstoffe erhalten, so die NGOs, was bedeute, dass sie die Verantwortung tragen würden, im weltweiten öffentlichen Interesse zu handeln. „Reiche Länder verfügen über genügend Dosen, um alle Menschen fast dreimal zu impfen, während arme Länder nicht einmal genug haben, um Gesundheitspersonal und gefährdete Menschen zu erreichen“, sagte Mohga Kamal Yanni von Oxfam.

„Auch Österreich gefordert“

„Das gegenwärtige System, in dem Pharmakonzerne staatliche Mittel für die Forschung verwenden, Exklusivrechte behalten und ihre Technologie geheim halten, um ihre Gewinne zu steigern, könnte viele Menschenleben kosten“, so Yanni weiter. Besonders aus der Liste sticht Kanada heraus. Das Land kaufte mehr Dosen pro Kopf als jedes andere Land – genug, um jeden Kanadier und jede Kanadierin fünfmal zu impfen.

„Das Horten von Impfstoffen untergräbt aktiv die weltweiten Bemühungen, dafür zu sorgen, dass alle Menschen überall vor Covid-19 geschützt werden können“, so Steve Cockburn, der Leiter für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International in London. Dem schloss sich auch Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, an.

„Milliarden von Menschen sind in den nächsten Monaten mit der Frage konfrontiert, unter welchen Bedingungen und zu welchem Preis sie Zugang zu Impfstoffen bekommen. Regierungen weltweit, auch die in Österreich, sind gefordert, menschenrechtskonforme Lösungen (…) zu finden“, so Schlack im Vorfeld zum Tag der Menschenrechte am Donnerstag.

Schlack: Nachteil für Menschen in prekären Verhältnissen

Die Pandemie sei das bestimmende Menschenrechtsthema 2020 gewesen, die Krise habe bestehende Menschenrechtsprobleme verschärft, führte sie aus. Der Zugang zu den Impfstoffen dürfe sich nicht danach richten, wer am meisten bezahle. „Alle Menschen, egal ob sie ihn sich leisten können oder nicht, müssen rasch und unkompliziert Zugang zu diesen überlebenswichtigen Gesundheitsmaßnahmen haben“, so die Amnesty-Geschäftsführerin. Ferner müsse die Impfung grundsätzlich freiwillig sein.

In Österreich hätten Menschen in prekären (Arbeits-)Verhältnissen wie Erntehelferinnen und -helfer, Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sowie Asylberechtigte nicht die Möglichkeit, sich bei der Arbeit angemessen vor dem Coronavirus zu schützen. „Österreich zählt ohne Zweifel zu den höchstentwickelten Sozialstaaten weltweit. Dennoch zeigt die Pandemie, dass die sozialen Rechte von besonders schutzwürdigen Menschen nicht ausreichend abgesichert sind“, sagte Schlack.

In Österreich seien auch viele Menschen, die die Pandemie besonders treffe, wie armutsgefährdete Menschen, Alleinerzieherinnen und 24-Stunden-Betreuerinnen von Unterstützungsleistungen ausgeschlossen worden, oder Unterstützungen seien aufgrund bürokratischer oder sprachlicher Hürden schwer zugänglich gewesen. Das zeige eine Analyse von Amnesty International, die die Folgen der Pandemie für das Recht auf soziale Sicherheit und angemessene Arbeitsbedingungen der Menschen in Österreich beleuchtet.