Polens Premierminister Mateusz Morawiecki und Ungarns Premierminister Viktor Orban
APA/AFP/Francois Lenoir
Durchbruch in Sicht

Kompromiss soll EU-Budgetstreit lösen

Ein Ende der Blockade von Ungarn und Polen beim EU-Budget könnte unmittelbar bevorstehen. Der deutsche Ratsvorsitz legte am Mittwoch einen mit Warschau und Budapest ausgehandelten Kompromissvorschlag vor, was die Kürzung von Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit anbelangt. Damit könnte es schon am Donnerstag beim EU-Gipfel grünes Licht für das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket geben.

Schon den ganzen Mittwoch wurde über Annäherungen zwischen den anderen EU-Staaten und den zwei blockierenden Ländern Ungarn und Polen berichtet. Am Nachmittag kursierte in EU-Kreisen dann ein Dokument mit dem ausgehandelten Kompromiss. Damit soll den Bedenken der beiden Länder Rechnung getragen werden.

In dem Vorschlag wird etwa konkret darauf hingewiesen, dass die Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit „objektiv, fair, unparteiisch, faktenbasiert“ sein wird. Es werde ein „ordnungsgemäßes Verfahren, Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung der Mitgliedsstaaten gewährleisten“, heißt es in dem Entwurf für die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels, der Donnerstagmittag startet.

Mechanismus soll nicht rückwirkend gelten

Die Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass die Kürzung oder Streichung von EU-Geldern nicht wirksam werde, solange bei einer Klage gegen diese noch kein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vorliegt. Solche Verfahren dauern in der Regeln ein bis eineinhalb Jahre.

Das EU-Ratsgebäude in Brüssel
Reuters/Yves Herman
Beim Gipfel der EU-Staats- und -Regierungsspitzen muss dem Kompromiss zugestimmt werden

Und: Die EU-Kommission soll keine derartige Entscheidung fällen, bevor sie nicht Leitlinien zur Umsetzung verabschiedet hat, heißt es. Auch das dürfte noch mehrere Monate dauern und soll in Abstimmung mit den Mitgliedsstaaten erfolgen. Weiters soll der neue Mechanismus erst für das kommende EU-Budget und das zugehörige Finanzpaket für die Jahre 2021 bis 2027 gelten. Zahlungen aus dem bisherigen Topf der vergangenen Jahre wären damit nicht betroffen.

Weißer Rauch kündigte sich schon am Dienstag an

Die Grundsatzeinigung auf den Kompromissvorschlag war am Mittwochvormittag unter anderem von Polens Vizeregierungschef Jaroslaw Gowin bestätigt worden. Bereits am Dienstagabend hatte Ungarns Regierungschef Viktor Orban nach Gesprächen in Warschau gesagt, man sei nur noch „einen Zentimeter“ von einer Lösung entfernt. Am späten Mittwochnachmittag führten dann die ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel bei einer Sondersitzung eine erste Diskussion darüber.

Auf den neuen Rechtsstaatsmechanismus hatte sich eine Mehrheit der EU-Staaten Ende Oktober gegen den Willen von Ungarn und Polen verständigt. Das Verfahren soll es ermöglichen, künftig bei bestimmten Verstößen gegen Grundwerte EU-Mittel zu kürzen. Die Regierungen in Budapest und Warschau befürchten, dass das neue Verfahren vor allem gegen sie eingesetzt werden soll.

Andere Staaten müssen noch zustimmen

Freilich ist der Kompromiss zwar ein großer Schritt – doch das Budget ist damit noch nicht abgehakt. Erst müssen die restlichen EU-Staaten dem Kompromiss zustimmen. Das könnte bereits am Donnerstag der Fall sein – den großen Themen wolle man sich nämlich bereits am ersten Tag des Gipfels widmen, hieß es aus EU-Kreisen.

Eigentlich war die Budgetfrage gar nicht Teil der Tagesordnung des zweitägigen Gipfels. Stattdessen sollten Themen wie die Bekämpfung des Coronavirus, vor allem im Hinblick auf die Entwicklungen bei der Impfung, und das Klimaziel der EU behandelt werden. Nun dürfte der Budgetstreit einen wesentlichen Teil des Gipfels einnehmen. Im Einladungsschreiben von Ratspräsident Charles Michel als Thema explizit ausgenommen: der Brexit, der aber zweifellos dennoch debattiert werden wird.

Einige Länder warnten vor Verwässerung

Vor allem Länder wie die Niederlande und Luxemburg hatten zuletzt gewarnt, eine Einigung dürfe nicht zu einer Verwässerung des geplanten neuen Verfahrens zur Ahndung von Rechtsstaatsverstößen in der EU führen. Im Vorfeld sagte auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), er hoffe, dass die deutsche Ratspräsidentschaft gegenüber Ungarn und Polen „hart bleibt und keine faulen Kompromisse“ eingeht – abzuwarten bleibt, wie der nunmehrige Vorschlag aufgenommen wird.

Sollte es zu keiner Einigung kommen, steht die EU vor einer großen Aufgabe – schon ab Jänner könnte damit nur noch ein Nothaushalt zur Verfügung stehen. Und: Das geplante 750-Mrd.-Euro-Rettungsprogramm für die Folgen des Coronavirus müsste ohne Polen und Ungarn beschlossen werden.