Collage verschiederner CD-Covers
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Frisch erschienen

Newcomer und Geheimtipps

Rund um den Jahreswechsel ist im Musikjournalismus Listenzeit: die besten Alben des Jahres, die besten Singles – und auch die kommenden Stars. Tatsächlich gab es in den vergangenen Wochen einige vielversprechende Neuerscheinungen von Künstlerinnen und Künstlern, die genau auf diesen Listen bereits vor Kurzem standen – oder heuer stehen werden.

Megan Thee Stallion: Scharfzüngig und selbstbewusst

Nach drei EPs und einem Mixtape hat die texanische Rapperin Megan Thee Stallion im November ihr Debütalbum „Good News“ releast. Darauf treffen lyrische Finesse und authentische Self-Confidence zusammen, ohne dabei an Referenzen zu Rap-Legenden aus früheren Jahrzehnten zu sparen.

Megan Thee Stallion gibt alten Klassikern wie „Boyz-n-the-Hood“ (Eazy-E) inhaltlich einen zeitgenössischen Spin, aber auch der aktuelle Zeitgeist des Hip-Hop kommt mit Afrobeat-, Trap- und Synth-Pop-Elementen auf „Good News“ nicht zu kurz. Begleitet wird das Ganze von ihrer scharfzüngigen und selbstbewussten Art, mit der sie das konservative Bild weiblicher Sexualität einmal mehr auf den Kopf stellt – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Melissa Erhardt, FM4)

Megan Thee Stallion: „Good News“, 300 Entertainment

Antirassistische Kommunion

Wer hinter diesem vermutlich londonbasierten Kollektiv steckt, weiß niemand so ganz genau. Zwei Alben, die kaum getrennt voneinander gehört werden können, sind 2020 herausgekommen, beide unbetitelt, auf den Covern einmal nur eine schwarze Faust, einmal gefaltete Hände. Es sind beides Manifeste wie Zeitkapseln der Black-Lives-Matter-Bewegung und gerade auf vielen Jahresbestenlisten ganz vorn zu finden. Aus dem ersten unter dem Motto „black is“ blubbern minimalistische Soul-Collagen, die über Doppelalbumlänge fast meditativ die Themen Tod, Trauer und schwarze Identität umstreifen – ein kathartisches Album. Das zweite („rise“) zieht im Tempo an und ruft repetitiv und vor einer Wand aus panafrikanischen Beats wenn nicht zum Aufstand, dann zum Aufstehen auf. „It’s not over, till they hear us now.“ (Harald Lenzer, ORF.at)

Sault: „Untitled (rise)“, Forever Living Originals

Ein Debüt wie eine 1990er-Jahre-Hommage

Wenn die 20-jährige Musikerin Beabadoobee auf ihrer E-Gitarre loslegt, klingt das stark nach grungiger 90er-Jahre-Nostalgie. Die philippinisch-britische Künstlerin gilt in Großbritannien mittlerweile als neueste Indie-Rock-Hoffnung. Für das Debüt „Fake it Flowers“ dreht Beabadoobee den Regler am Verstärker ordentlich auf und lässt dabei ihre musikalischen Vorbilder auferstehen. Sie blickt zurück in die Musikgeschichte, zurück in die 1990er Jahre, liebäugelt mit den Smashing Pumpkins, Veruca Salt oder Alanis Morissette. Es hagelt Powerchords, während der adoleszenten Melancholie Luft gemacht wird. „Fake it Flowers“ ist eine kraftvolle Hommage, mit der die gefeierte Newcomerin Beabadoobee einen nostalgischen Nerv trifft – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Michaela Pichler, FM4)

Beabadoobee: „Fake it Flowers“, Dirty Hit

Vom YouTube-Comedian zum Popstar

Bekannt geworden als Mitbegründer der Social-Media-Challenge „Harlem Shake“ im Jahr 2013, hat Joji mit seinem Debütalbum vor zwei Jahren bewiesen, dass mehr in ihm steckt als sein Talent für Comedy: Ausgeprägtes Fingerspitzengefühl für eindringliche Popmusik und die Gabe, aus seiner eigenen Stimme ausdrucksstarke Beats zu kreieren. Emotionale Texte und raffinierte Produktionen aus Lofi-Pop und R’n’B, gespickt mit einem Hauch von Selbstironie und Situationskomik wurden zur Jojis musikalischer Signatur. Mit seinem zweiten Album „Nectar“ hat sich das Multitalent endgültig zu einem der spannendsten Popstars der heutigen Zeit gemausert und den perfekten Soundtrack für melancholisch-kalte Tage geliefert – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Alica Ouschan, FM4)

Joji: „Nectar“, 88rising/ 12Tone

Funkiger Neo-Soul trifft auf Latino-Herzschmerz

Der 23-jährige Omar Apollo ist als jüngster Sohn mexikanischer Einwanderer Teil einer stolzen Generation von Latinx Musiker*innen, die mit ihrer bi-kulturellen Mischung die amerikanische Popkultur gerade neu definieren. Sein Debütalbum „Apolonio“ ist eine unaufdringliche Abwechslung zwischen funkigen Indie-Nummern und souligen Balladen voller Spätsommer-Melancholie, in denen Apollo einer verflossenen, aber toxischen Liebe nachtrauert. Mit seiner Falsetto-Stimme, patschenden Bass-Lines und verzerrten Gitarrensoli eifert er auf Songs wie „Stayback“ seinem großen Idol Prince nach, während er auf „Dos Uno Nueve“ seine mexikanischen Wurzeln hörbar macht. Herzschmerz ist hier garantiert – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Melissa Erhardt, FM4)

Omar Apollo: „Apolonio“, AWAL

Optimismus und Hoffnung mit Yungblud

Fans des Musikers Dominic Harrison alias Yungblud bezeichnen sich als der „Black Hearts Club“, und dieser Club ist Inspirationsquelle zur neuen Platte des Briten gewesen. „Weird!“ also wunderlich oder seltsam heißt Album Nummer zwei von Yungblud, auf dem er eigene Erfahrungen mit Geschichten, die ihm seine Fans erzählt haben, kombiniert, und daraus über 40 Minuten kontemporären Rock bastelt. Eine Platte über die seltsamsten Jahre in unseren Leben wollte Harrison damit veröffentlichen, über eine Zeit der gesellschaftlichen Veränderung, ein Album über Optimismus und Hoffnung. Besonders herausragend dabei: Yungbluds liebevolle David Bowie-Hommage namens „Mars“. (Christoph Sepin, FM4)

Yungblud: „Weird!“, Locomotion, Geffen, Interscope

Organisiertes Chaos mit Benee

Obwohl das Lied „Supalonely“ der neuseeländischen Musikerin Stella Rose Benett alias Benee bereits 2019 erschienen ist, wurde ihr fröhlicher Song über das traurige Daheimsitzen im Frühling zum globalen Superhit. Das im November erschienene Debüt „Hey u x“ folgt dem ersten Erfolg als vielseitige Sammlung von kurzweiligen Elektropopsongs, die sich auch nicht vor Widersprüchen scheuen. „Hey u x“ beschäftigt sich mit Gedanken über Existenzängste und das Älterwerden, über verwirrte Liebe, Erfolgsdruck und Selbstzweifel. Außerdem mit dabei auf dieser Platte des „organisierten Chaos“, wie Benee sie beschreibt, sind Popgrößen wie Grimes und Lily Allen – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Christoph Sepin, FM4)

Benee: „Hey u x“, Republic

Deutschsprachige Hits auf Italienisch

Eine neu formierte Band namens Crucchi Gang fordert einen „musikalischen Alpenpass“. Die Idee: Deutschsprachige Bands spielen ihre Songs auf Italienisch ein – textlich wie musikalisch. Da bekommt etwa der Bilderbuch-Hit „Bungalow“ eine Flötenmelodie und cheesy E-Gitarren verpasst und Von Wegen Lisbeths Song „Meine Kneipe“ heißt plötzlich „Al mio Locale.“ Es ist ein authentischer Sound, der an italienischen Musik-Größen wie Ennio Morricone, Gianna Nannini und Paolo Conte erinnert. Dazu Interpret*innen, die auf sympathische Weise mit den italienischen Übersetzungen ihrer eigenen Songtexte kämpfen. Ein gelungener musikalischer Beitrag zur Völkerverständigung – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Felix Diewald, FM4)

Crucchi Gang: „Die Italo Compilation“, Vertigo Berlin

Rapperin Ace Tee mit viel Wut und Energie

„Bist du down?“ Mit diesem Song wird die Hamburgerin Ace Tee 2017 bekannt. Und zwar nicht nur im deutschsprachigen Raum. Auch internationale Musikmagazine feiern die Newcomerin trotz Sprachbarriere für ihren entspannten Nostalgie-Sound aus den 90ern. Aber dann passiert irgendwie nichts. Drei Jahre lang ist es still um die Rapperin. Jetzt ist Ace Tee zurück. Und zwar mit einem komplett neuen Stil, der sich an zeitgemäßem Trap orientiert. Sie selbst nennt es „Future-R&B“. Das Zurückgelehnte in der Musik ist verschwunden, stattdessen hat Ace Tee viel Wut und Energie im Gepäck. Am Ziel ist die Rapperin aber noch lange nicht. Sie will ihren eigenen Kosmos im deutschen Rap erschaffen – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Felix Diewald, FM4)

Ace Tee: „Ace X“, Four Music

Der kommende Star aus dem Kinderzimmer

Der Brite Alfie Templeman ist 17 Jahre alt, wohnt noch bei seinen Eltern und kreiert dort seinen ganz eigenen Alternative-Pop. Zuletzt legte er mit dem Minialbum „Happiness In Liquid Form“ seine bisher stärksten Songs vor. Orangensaft ist für diesen jungen Mann eine Art Glück in flüssiger Form. Seine erste EP hieß „Orange Juice“. Die musikalische Farbenpalette des Alfie Templeman ist groß und kann auch schon einmal neonfarben sein. Eskapismus mit Mitsing-Refrains. Das Songwriting des Alfie Templeman ist aber insgesamt eklektisch und beeindruckend. Seine Songs sind verspielt, modern, aber immer auch etwas nostalgisch, mit solidem Groove, verschachtelten Beats und einem federleichten Herzschlag – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Alfie Templeman: „Happiness In Liquid Form“, Chess Club Records

Elderbrook, der außergewöhnliche Elektroniker

Der Brite Alexander „Elderbrook“ Kotz ist Sänger, Songschreiber, Multi-Instrumentalist und Produzent. Elderbrook ist ein feinsinniger Electronic-Pop-Geschichtenerzähler. Im Alter von 14 Jahren spielte Alex Kotz in einer Gitarrenpopband. Mit 19 begann er als Singer/Songwriter im Stil des Indie-Folk. Erst als Alex Kotz zu studieren begann, entdeckte er elektronische Musik für sich. Der Titel seines Debütalbums „Why Do We Shake In The Cold“ handelt davon, dass wir rein wissenschaftlich betrachtet in der Kälte zittern, um durch die Reibung unseren Körper aufzuwärmen. Was Elderbrook sich jedoch vorstellt, ist, dass Menschen vielleicht deshalb zittern, um anderen zu zeigen, dass sie sie brauchen – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Elderbrook: „Why Do We Shake In The Cold“, Parlophone

Babeheaven spielen neuen Trip-Hop

Das Londoner Duo Babeheaven spielt Indie-Soul, neuen Trip-Hop. Das Debütalbum der Band heißt „Home For Now“, ein Titel, der mit den vielen Umzügen von Nancy Andersen und Jamie Travis zu tun hat. Ein Zuhause, das nur ein temporäres ist. „Home For Now“ ist ein urbanes Album, aber eines mit melancholischer Grundstimmung. Songs zum Tagträumen. Der Vergleich mit Trip-Hop stört Babeheaven nicht, ganz im Gegenteil, Jamie und Nancy lieben Bands wie Massive Attack und Portishead, aber auch den Dreampop der legendären britischen Band The Cocteau Twins. Das warmherzige und authentische „Home For Now“ von Babeheaven ist ein fesselndes, hypnotisches und hinreißendes Alternative-Pop-Album – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Babeheaven: „Home For Now“, AWAL

Adrianne Lenker und die ächzende Waldhütte

Eine Waldhütte, eine Gitarre, eine Stimme. Die Entstehung von Adrianne Lenkers neuem Album erfüllt so manche Klischeevorstellung von Folk. Dabei wollte sich die Sängerin der Rockband Big Thief aus Brooklyn bloß etwas erholen von den Strapazen der letzten Tour. Lenker wählte die Einsamkeit der Wälder von Massachusetts. Dann per Telefon das Beziehungs-Aus. Gut, dass die Musikerin ihre Akustikgitarre dabeihatte. So konnte sie den Schmerz in jenen Stücken verarbeiten, die im Herbst als Doppelalbum veröffentlicht wurden. „Songs & Instrumentals“ ist trotzdem kein traniges Werk zum Heulen geworden. Adrianne Lenker formte aus dem Trennungsschmerz, der Naturerfahrung und der kärglichen Instrumentierung ein großes Ganzes. Es sind einprägsame, teils absurd poetische Bilder über das Werden und Vergehen der Liebe und des Lebens, die Lenker auf „Songs & Instrumentals“ zeichnet. Ein Freund besorgte einen alten Achtspurrekorder. Sogar das Ächzen der Waldhütte ist zu hören – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Christian Lehner, FM4)

Adrianne Lenker: „Songs & Instrumentals“, 4AD

„Orca“ als tiefsinniger Melancholie-Pop

Der New Yorker Gus Dapperton nennt sein zweites Album „Orca“. Wie der Schwertwal, dem der Film „Free Willy“ ein Denkmal setzte. Die Produktion auf „Orca“ klingt kristallklar und voller Raum, obwohl die Songs auch eine gewisse Rohheit aufweisen. Gus Dapperton spielte alle Instrumente selbst, von den fiebrigen Gitarren bis zum warmherzigen Piano, und er produzierte auch selbst. Seine Stimme wirkt nun selbstbewusster, sie ist mal voll, mal kratzig, flüsternd oder in Falsetthöhen. Der Bass auf „Bluebird“ ist richtig toll, „Grim“ – ein Amalgam aus Country und Trip-Hop – hat eine herrlich misstönende Gitarre, und das sehnsuchtsvolle „Bottle Opener“ setzt fort, wo Gus Dapperton auf dem ersten Album aufhörte – mehr dazu in fm4.ORF.at. (Eva Umbauer, FM4)

Gus Dapperton, „Orca“, AWAL