Chicken Nuggets auf einem Teller
Getty Images/Cavan Images
Laborfleisch

Es ist angerichtet

Der erste Schritt ist getan: Künstlich produziertes Fleisch aus tierischen Zellen ist weltweit erstmals für den Verkauf zugelassen und in einem Restaurant in Singapur serviert worden. Die Hoffnungen sind hoch, doch der Weg zu einer Alternative, die preislich und qualitativ mit konventionellem Fleisch mithalten kann und auch angenommen wird, ist trotz aller Forschung noch ein weiter.

„Wir reproduzieren die natürlichen Prozesse, die im Körper eines Tieres ablaufen, im Labor.“ So simpel fasste Didier Toubia, Geschäftsführer des israelischen Start-ups Aleph Farms, zusammen, womit sich sein Vorreiterunternehmen befasst: der Herstellung von In-vitro-Fleisch, Fleisch also, für das kein Tier geschlachtet werden muss. Die erst 2017 gegründete Firma macht schnelle Fortschritte: Im November präsentierte Aleph Farms den Prototyp eines Steaks, das für die industrielle Massenfertigung geeignet ist, berichtete die deutsche Branchenzeitung „absatzwirtschaft“.

Schlagzeilen machte jüngst aber ein Start-up-Konkurrent aus dem Silicon Valley: Das kalifornische Unternehmen Eat Just erhielt Anfang Dezember in Singapur die weltweit erste Erlaubnis, synthetisches Fleisch aus echten Muskelzellen auf den Markt zu bringen. Es handelt sich um Hühnerfleisch, das zunächst in Form von Chicken-Nuggets angeboten wird. Eat-Just-Chef Josh Tetrick sprach von einem „Durchbruch für die Lebensmittelindustrie weltweit“, das Produkt erfülle alle Anforderungen an ein Lebensmittel und sei „umfangreich“ getestet worden.

Mitte dieser Woche gab das Start-up seinen ersten kommerziellen Verkauf bekannt, Samstagabend schließlich servierte das „1880“, ein gehobenes Restaurant in Singapur, das Laborfleisch jungen Menschen, die wegen ihres „Engagements für den Aufbau eines besseren Planeten“ eingeladen worden waren.

Stammzellen als Schlüsselelement

Für Laborfleisch wird aus tierischen Stammzellen Gewebe gezüchtet. Grundlage für dieses Fleisch ist Muskelgewebe, das einem lebenden Spendertier entnommen wird. Anschließend werden die Stammzellen von anderen Zellen getrennt und in einem Bioreaktor mit Hilfe eines Nährmediums kultiviert. Die Technologie befindet sich seit Jahrzehnten in Entwicklung, richtig Aufschwung bekam sie mit der Fokussierung auf Stammzellenforschung.

Aus einer Mikroalge gewonnenes Proteinpulver, das als Fleischersatz dient, in einem Labor in Singapur
APA/AFP/Catherine Lai
Die Zulassung von künstlich hergestellten Chicken-Nuggets könnte ein Wendepunkt für die Zukunft von Fleisch darstellen

Burger um 250.000 Euro

2013 wurde in London ein Burger präsentiert, dessen Fleisch aus Muskelzellen einer lebenden Kuh gezüchtet worden war. Das Urteil der Verkoster und Verkosterinnen war verhalten: Zwar wäre ein ausgeprägter Fleischgeschmack feststellbar, es fehle dem Laborsteak aber an Struktur, Bissfestigkeit und Fett seines natürlichen Pendants. Noch schwerer wogen aber die Kosten – der Preis für den Happen belief sich auf rund 250.000 Euro.

Seitdem flossen Millionen an Investitionen in Dutzende Start-ups für Laborfleisch in Asien, Europa und Amerika. Die Kosten sind damit deutlich gesunken, trotzdem bleibt es eine Herausforderung, Kunstfleisch so effizient herzustellen, dass es preislich und qualitativ mit konventionellem Fleisch mithalten kann. Eat Just versicherte zuletzt, dass diesbezüglich „beträchtliche Fortschritte“ erzielt worden seien. Von Beginn an werde der Preis für die Chicken-Nuggets etwa auf dem Niveau von Hühnerfleisch in einem Oberklasserestaurant liegen, sagte ein Sprecher. Medienberichten zufolge lägen die Kosten für ein Nugget derzeit aber bei rund 50 Euro – was doch etwas überzogen erscheint.

Nachfrage nach Fleisch wächst weiter

Nach der Zulassung in Singapur scheint es wahrscheinlich, dass andere Länder diesem Beispiel folgen werden, schrieb die Wissenschaftsplattform The Conversation. In Europa und den USA sei die Diskussion darüber in vollem Gang. Als Hauptargument gilt der ökologische Nutzen: Weltweit wird nach UNO-Angaben bereits rund ein Drittel der gesamten Landfläche für die Nutztierhaltung oder den Futtermittelanbau verwendet – und die Nachfrage nach tierischem Eiweiß wird mit steigender Weltbevölkerung Prognosen zufolge weiter zunehmen.

Für 2020 wird ein weltweiter Verzehr von 33,7 Kilogramm pro Person vorhergesagt. Im Jahr 2029 soll der Pro-Kopf-Konsum bei 34,9 Kilogramm Fleisch liegen. Dabei liegt der Konsum in den Industrieländern um einiges höher als in weniger entwickelten Ländern. In Österreich etwa lag der Pro-Kopf-Verbrauch 2019 im Schnitt bei 62,6 Kilogramm, im Jahr davor waren es 63,6 kg. Der Verzehr von Schwein, Rind und Kalb ist seit dem Jahr 1995 deutlich gesunken, von Geflügel merkbar gestiegen. Der durchschnittliche Verbrauch in weniger entwickelten Ländern wird 2020 laut der Datenplattform statista bei 25,6 kg pro Person und Jahr liegen.

Schweinefarm in Buenos Aires
APA/AFP/Ronaldo Schemidt
Die Massentierhaltung ist auch vielen Fleischessern ein Dorn im Auge – speziell auf sie setzen die Hersteller von Laborfleisch

Für Laborfleisch spricht primär, dass dafür kein Tier sein Leben lassen muss, und auch die Diskussion um Antibiotikaeinsatz in der Haltung oder die mögliche Belastung von Fleisch mit multiresistenten Keimen fällt dadurch flach. Zoonosen wie etwa Covid-19, also Pandemien und Epidemien, die ihren Ursprung bei Tieren haben, könnten damit ausgeschaltet werden.

„Voraussichtlich große Umweltvorteile“

Die Umweltauswirkungen von Laborfleisch sind derzeit nur schwer abzuschätzen. Aktuelle Bewertungen gehen von großen Entlastungen beim Land- und Wasserverbrauch gegenüber allen konventionellen Fleischsorten aus. Gleichzeitig würde der Energieverbrauch den bei der herkömmlichen Fleischproduktion übertreffen. Sollte sich die Technik weiterentwickeln, würden sich aber „voraussichtlich große Umweltvorteile“ ergeben, hieß es in der Studie „Fleisch der Zukunft“ des deutschen Umweltbundesamtes. Aktuell seien aber Fleischalternativen auf pflanzlicher Basis die beste Lösung.

Zwar sind die Fleischesser noch in der Überzahl, aber ethische und ökologische Bedenken mehren sich. Entsprechend groß ist das Interesse an Laborfleisch, berichtete The Conversation – Umfragen zufolge möchte mehr als die Hälfte der europäischen Verbraucher und Verbraucherinnen es zumindest probieren, in den USA sind es etwa zwei Drittel. In Asien ist die Akzeptanz sogar noch höher. Ein weiteres Plus des In-vitro-Fleisches: Es könnte sowohl als koscher als auch als halal anerkannt werden, der mögliche Bezieherkreis wäre damit weiter als bei herkömmlichem Fleisch.

Auf andere wirkt das Konzept verstörend, sie empfinden das Laborfleisch als „unnatürlich“ und haben Bedenken hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit. Theoretisch aber hätte die Technologie das Potenzial, die Nachfrage nach konventionellem Fleisch erheblich zu reduzieren, schrieb The Conversation – möglicherweise weit mehr als pflanzliche Fleischalternativen.

„Industrie noch im Aufbau“

An einen raschen Siegeszug glaubt aber selbst Laborfleisch-Pionier Toubia nicht: „Die Industrie ist noch im Aufbau. (…) Es geht ja nicht nur darum, Fleischzellen herzustellen. Sie müssen auch in attraktive Produkte verwandelt werden“, zitierte „absatzwirtschaft“ den Unternehmer. Ein fertiges Steak bekommt man derzeit noch nicht aus dem Labor, berichtete unlängst auch die deutsche ARD. Die künstlichen Muskelzellen wachsen in einer einzelnen dünnen Schicht zu Muskelfasern heran. Presst man viele dieser Zellschichten zu Zellverbänden zusammen, können Fleischlaberl, Würste oder Nuggets hergestellt werden. Um dreidimensionale Fleischstrukturen zu kreieren, werden Gerüste aus Kollagen oder Vielfachzuckern benötigt, an denen die Zellen wachsen können – daran forscht die Wissenschaft noch.