Sitzungsteilnehmer im EU-Parlament in Brüssel
APA/AFP/Olivier Hoslet
Nach Budgeteinigung

Klimathema sprengt EU-Gipfel

Nach der schnellen Einigung im Budgetstreit am Donnerstagabend ist auf dem Gipfel der EU-Staats- und -Regierungschefs in der Nacht auf Freitag ein anderes Thema zur Zerreißprobe geworden. Seit Stunden wird das EU-Klimaziel diskutiert, auch in der Früh war keine Einigung in Sicht. Offenbar fordern einige osteuropäische Staaten größere finanzielle Unterstützung.

Auslöser für den Stillstand ist das ambitionierte Klimaziel der EU: Der Vorschlag der Kommission sieht vor, dass die EU ihre Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent unter den Wert von 1990 senkt. Aus EU-Kreisen hieß es in der Nacht, dass Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn aber mehr finanzielle Hilfe für den Übergang von ihrer kohlegestützten Energieerzeugung zu nicht fossiler Stromproduktion fordern. Vor allem Polen hatte bereits vor dem Treffen eine harte Haltung eingenommen.

Dass das Klimaziel keine leichte Hürde wird, zeichnete sich schon im Vorfeld des Gipfels ab. Zwar hörte man prinzipiell von vielen Seiten Zustimmung zu dem neuen Ziel der EU, Uneinigkeit gab es jedoch darüber, wie der Weg dorthin aussehen solle.

Gebremste Zuversicht im Vorfeld

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel etwa bekräftigte die deutsche Unterstützung für das 55-Prozent-Ziel, räumte aber ein: „Hierzu gibt es noch keinen Beschluss des Europäischen Rates, und das wollen wir während dieser Tagung natürlich auch versuchen.“ Auch der französische Präsident Emmanuel Macron machte sich für das höhere Ziel stark. „Wir müssen unsere Zusagen mit Blick auf 2030 erhöhen. Das wird von Europa erwartet.“ Noch blieben viele Diskussionen zu führen, es sei aber zu hoffen, dass es eine klare und entschiedene Position geben werde.

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte im Vorfeld, dass man sich zu den „ambitionierten“ Klimazielen „bekennt“. Er zeigte sich zuversichtlich, dass man sich auf das neue Ziel einigen werde. Gleichzeitig verwies er auf notwendige „Schritte zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit“. Man habe in Europa „Gott sei Dank“ auch „energieintensive Produktion und Industrie“, Kurz verwies hier etwa auf die voestalpine. Wenn anderswo nicht dieselben Kriterien gelten wie in Europa, würde das bedeuten, dass die Industrie abwandert.

Lösung in Budgetstreit gefunden

Dass die Klimafrage den ersten Gipfeltag praktisch sprengt, war im Vorfeld nicht abzusehen. Vor allem, weil schon am Abend eine Einigung im Budgetstreit vermeldet wurde – immerhin eine Frage, die in den vergangenen Wochen in der EU für Unruhe gesorgt hatte. Auch hier stand Polen – an der Seite von Ungarn – im Mittelpunkt. Mit einem von Deutschland ausgehandelten „Kompromiss“ konnte man den Konflikt nun beilegen, der Weg für das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket der EU ist damit frei.

„Deal beim mehrjährigen EU-Finanzrahmen und dem Wiederaufbaupaket“, schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstagabend auf Twitter. „Nun können wir mit der Implementierung anfangen und unsere Wirtschaft wieder sanieren“, so Michel. „Unser richtungsweisendes Konjunkturpaket wird unsere grüne und digitale Transformation vorantreiben.“

Der Kompromiss sieht eine Zusatzerklärung zu dem neuen Mechanismus vor, mit dem bestimmte Rechtsstaatsverstöße durch Kürzung von EU-Mitteln geahndet werden können. Darin sind Möglichkeiten festgelegt, wie sich Ungarn und Polen gegen die Anwendung der Regelung wehren könnten. Dazu gehört eine Überprüfung durch den EuGH, was die Anwendung des Verfahrens deutlich hinauszögern könnte.

Polen und Ungarn erfreut – und stellen Klage in Aussicht

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte den ausgehandelten Kompromiss zur neuen Rechtsstaatsklausel einen „doppelten Sieg“. „Zum einen kann der EU-Haushalt starten, und Polen bekommt daraus 770 Milliarden Zloty (rund 174 Mrd. Euro). Zum anderen sind diese Gelder gesichert, denn der Mechanismus der Bedingungen wurde durch sehr genaue Kriterien begrenzt“, sagte Morawiecki. Die Vereinbarung verhindere, dass die Regeln später gegen Polens Interessen geändert werden könnten.

Kompromiss im EU-Budgetstreit

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel hat der Streit über das 1,8 Billionen Euro schwere EU-Budget mit einem Kompromiss geendet.

Auch Ungarn wertete die Einigung als Erfolg für sich. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sagte in einem kurzen Video, das auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht wurde: „Wir haben die Interessen Ungarns geschützt. Die Landung war erfolgreich.“

Umgehend kündigten die beiden Mitgliedsstaaten auch eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. „Natürlich werden wir das tun, denn wir glauben, dass überprüft werden muss, ob das im Einklang mit den (europäischen) Verträgen ist“, so Polens Regierungschef. In der EU war man auf diese Ankündigung offenbar vorbereitet. Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova sagte gegenüber „Politico“, dass man durch diesen Prozess keine wesentliche Verzögerung erwarte. Es sei „ihr Recht“, den Mechanismus auf seine Rechtmäßigkeit prüfen zu lassen. „Es wird sich meiner Ansicht nach hier eher um Monate als um Jahre handeln.“

Coronavirus als erster Punkt auf Tagesordnung

Nach einigen Planänderungen machte den Auftakt am frühen Nachmittag die Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie, besonders im Hinblick auf die bevorstehende Impfung. Kurz lobte den „hochprofessionellen“ Prozess, um einen Impfstoff in der EU zu erwerben. Jetzt gehe es um die entsprechende Zulassung – dabei müssten „alle wissenschaftlichen Kriterien“ erfüllt sein. Er hoffe auf eine „rasche und unbürokratische“ Zulassung durch die EMA.

In der Abschlusserklärung heißt es, dass man die bisherige Koordinierung begrüße. Insbesondere bei den möglichen Lockerungen der bisherigen Reisebeschränkungen wolle man zusammenarbeiten – sobald es die gesundheitliche Situation erlaube. Wenn bald Impfstoffe eingesetzt werden könnten, heiße das nicht, „dass die Pandemie vorbei ist“. Die epidemiologische Situation in Europa bleibe besorgniserregend.

Weitere Maßnahmen gegen Türkei beschlossen

Die schwierigen Beziehungen zur Türkei wurden am Abend besprochen – lange nach Mitternacht wurden dann neue Sanktionen beschlossen. Grund sind die nicht genehmigten türkischen Erdgaserkundungen vor Zypern. Die Sanktionen könnten sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen treffen, die an als illegal erachteten Probebohrungen beteiligt sind. Sie sollen vom Ministerrat endgültig beschlossen werden und Einreiseverbote und Vermögenssperren umfassen.

Sanktionen gegen ganze Wirtschaftszweige oder ein EU-Waffenembargo wird es hingegen vorerst nicht geben. Entsprechende Forderungen wegen der anhaltend konfrontativen Politik der Regierung in Ankara fanden nicht die erforderliche einstimmige Unterstützung.