Anna Netrebko als Floria Tosca
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
„Tosca“ live

Beziehungsprobe für Anna Netrebko

Ist die Darstellung der „Tosca“ beziehungsfördernd? Am Sonntagabend haben sich Anna Netrebko und ihr Ehemann Yusif Eyvazov auf der Bühne der Wiener Staatsoper dieser Frage bei der großen Liveübertragung der legendären Inszenierung von Margarete Wallmann gewidmet. „E lucevan le stelle“ gibt es auf ORF.at als Oper für die Couch.

Lange hat es gedauert, bis man die Netrebko in Wien auch als Tosca auf der Bühne sehen darf. Und nun war es endlich so weit. Sie und ihr Ehemann Eyvazov haben nun auch in Wien eines der großen (und dabei wie immer natürlich auch tragischen) Paare der Opernbühne dargestellt. Zwischen Eifersucht und Machtintrige kommen Tosca und der Altarbildmaler Cavardossi am Ende doch nicht zusammen, denn die von Tosca erhoffte Scheinhinrichtung auf der Engelsburg, sie wird schließlich mit „echten“ Kugeln vollzogen – so echt, wie nun Kugeln auf der Bühne der Oper eben sein können. Die musikalische Leitung des Abends hatte Bertrand de Billy inne. Auch sonst war Bestbesetzung garantiert.

Anna Netrebko als Floria Tosca und Yusif Eyvazov als Mario Cavaradossi
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Liebe, Sehnsucht, Eifersucht in der Kirche Sant’Andrea della Valle: Anna Netrebko als Floria Tosca und ihr Ehemann Yusif Eyvazov als Altarbildmaler Mario Cavaradossi. Zuletzt trug Placido Domingo diesen Malerkittel.

Das Tragische fällt bei der „Tosca“ mit einem „Blöd gelaufen“ zusammen. Zu viel Täuschung und unterdrückte Leidenschaft liegt dieser Oper von Giacomo Puccini zugrunde, die ja bei ihrer Premiere die Musikkritiker wegen der ungezügelten Formensprache überforderte, mittlerweile aber einer der Klassiker der Opernliteratur ist.

Auf der Couch leuchten die Sterne

Für die ganze Tragik und das Spiel aus Machtrausch, Eifersucht und Leidenschaft wird man mit einem der schönsten und sicher auch am öftesten zitierten Momente der Operngeschichte entlohnt. Die in dem Fall mit „E lucevan le stelle“ eine Männerpartie ist.

100 Pieces mit Wallmann

Interview mit Margarete Wallmann im Rahmen von ORF.at/100pieces, in dem sie sich an die Arbeit mit Max Reinhardt bei den Salzburger Festspielen erinnert.

Dennoch prägte Netrebko diesen Abend in einer Inszenierung, die zwar sehr viele Jahrzehnte auf dem Rücken hat, aber schon insofern als legendär gelten darf, als unzählige Größen der Operngeschichte bereits in diesen Kostümen gesteckt sind. Über 600-mal hat man diese „Tosca“ an der Staatsoper gesehen – sie ist nicht am längsten im Repertoire, aber vielleicht ist es doch so etwas wie die legendärste Inszenierung, bedenkt man die Umstände ihrer Entstehung. Und das hat viel mit der Lebensgeschichte der Regisseurin Wallmann zu tun, die in ihrem über 90-jährigen Leben als Tänzerin, Choreografin und schließlich auch Opernregisseurin alle Höhen und Tiefen der Zeitgeschichte erleben musste – und am Entstehen großer Kunstströmungen partizipiert hatte.

Anna Netrebko als Floria Tosca und Wolfgang Koch als Baron Scarpia
Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Wolfgang Koch als Baron Scarpia mit Netrebko als Tosca: „Tosca, mi fai dimenticare Iddio!“ („Tosca, dein Reiz macht, dass ich Gott vergesse“)

Margarete Wallmann, eine Ausnahmefrau auf der Bühne

Wallmann prägte vor dem Zweiten Weltkrieg den expressiven Ausdruckstanz entscheidend mit, ihre Auftritte bei den Salzburger Festspielen und ihre Zusammenarbeit mit Max Reinhardt haben sie in den 1920er und 1930er Jahren weltberühmt gemacht. Sie war Ballettchefin der Staatsoper, wurde aber nach dem Einmarsch der Nazis als Jüdin gekündigt. Über viele Stationen gelang ihr die Flucht ins Exil – bis nach Argentinien, wo sie in Buenos Aires am Teatro Colon ein eigenes Ballettensemble aufbaute.

Schwarz-Weiß-Bild von Margarete Wallmann
Willinger, Wilhelm / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com
Aufnahme von Margarete Wallmann in ihrer Zeit als Tänzerin vor dem Zweiten Weltkrieg

1949 kehrte sie tatsächlich nach Europa zurück und wurde vor allem über ihre Arbeit an der Mailänder Scala zu einer der prägenden Opernregisseurinnen nach dem Krieg – alles andere als eine Selbstverständlichkeit für eine Frau. Aus der Zeit ihrer Etablierung als Regisseurin und Gestalterin von italienischen Referenzopern für die Scala stammt auch ihre „Norma“ für die Wiener Staatsoper, die am 3. April 1958 Premiere hatte. Bedenkt man, dass dabei Herbert von Karajan am Pult stand, so darf man zeithistorisch daran erinnern, dass hier die Arbeiten von zwei Künstlern im Rampenlicht standen, deren Erfahrung der Nazi-Zeit konträrer nicht sein konnten.

Abendzettel zur ersten Tosca in Wien nach dem Krieg
Wiener Staatsoper

Renata Tebaldi, Giuseppe Zampiere und Tito Gobbi standen damals in den Titelrollen. Seitdem, so hält es die Plattform „Onlinemerker“ treffend fest, sind alle großen Sängerinnen und Sänger der Welt durch diese Inszenierung „durchmarschiert“. Am Sonntag war nun also endlich auch Anna Netrebko an der Reihe. Mit dabei waren auch Wolfgang Koch als Baron Scarpoa und Evgeny Solodovnikov, der gerade Ensemblemitglied der Staatsoper wurde, als Cesare Angelotti.

Herbert von Karajan Ende der 1950er Jahre an der Wiener Staatsoper
Erich Lessing / picturedesk.com
Herbert von Karajan Ende der 1950er Jahre an der Staatsoper, gesehen von Erich Lessing – und wohl auch so, wie sich Karajan selber gerne sah.

Die Oper will weiter spielen

Dass der Lockdown für die großen Bühnen kein Aus für die Lust auf Oper sein muss, zeigte dieser Sonntagabend. Denn in der Serie von Neuauflagen großer „Für uns ist es keine Option, den Opernbetrieb geschlossen zu halten“, hat sich Opernchef Bogdan Roscic programmatisch festgelegt und gemeinsam auch mit dem ORF gleich sechs Produktionen umgesetzt, von denen vier aus dem Repertoire (inklusive einer musikalischen Neufassung des „Rosenkavaliers“) stammen und zwei gänzlich neu auf die Bühne kommen.

Die Staatsoper für die Couch

Ö1, ORF III und ORF.at bringen noch eine Reihe von Opernstreams aus der Wiener Staatsoper.

„Das verratene Meer“

Aufzeichnung: 14. Dezember 2020

Ausstrahlung: 14. Dezember 2020, 19.00 Uhr als Livestream auf play.wiener-staatsoper.at, 15. Dezember 2020, 19.30 Uhr, Ausstrahlung auf Ö1

„Der Rosenkavalier“

Aufzeichnung: 18. Dezember 2020

Ausstrahlung am 27. Dezember 2020, 20.15 Uhr, auf ORF III und ORF.at

„Die Fledermaus“

Aufzeichnung: 31. Dezember 2020

Ausstrahlung: 31. Dezember 2020, 20.15 Uhr in ORF III und ORF.at

„Werther“

Aufzeichnung: 10. Dezember 2020

Ausstrahlung: 10. Jänner 2021, 20.15 Uhr auf ORF III und ORF.at