Handydisplay mit diversen Google-Diensten und der Facebook-App
ORF.at/Carina Kainz
Plattformen im Visier

EU gibt neue Spielregeln im Netz vor

Nach 20 Jahren hat die EU am Mittwoch eine komplette Überarbeitung ihrer Spielregeln für Internetriesen und digitale Plattformen vorgestellt. Mit dem Paket trägt man der Tatsache Rechnung, dass Konzerne wie Facebook, Google und Co. in den vergangenen Jahren eine enorme Marktmacht aufgebaut haben. Doch auch auf Produktfälschungen, Hassreden und andere illegale Inhalte soll künftig besser reagiert werden können.

Mit zwei Gesetzen sollen nun Regeln, die zum Teil auf das Jahr 2000 zurückgehen, abgelöst werden: Der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) würden den Ton im Internet „zumindest für das kommende Jahrzehnt“ angeben, hieß es im Vorfeld der Ankündigung von einem hochrangigen EU-Vertreter.

Bei der Präsentation von Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager sowie Binnenmarktkommissar Thierry Breton, sagte Vestager, dass die zwei „komplexen Vorschläge“ wie die „Erfindung der Verkehrsampel“ sei, die damals, nach der Erfindung des Autos, den Verkehr regelte. Jetzt habe man einen starken Anstieg beim Internetverkehr und Chaos müsse in Ordnung übergeführt werden.

Plattformen sollen illegale Inhalte eindämmen

Ziel sind vor allem die ganz großen Internetkonzerne, also Facebook, Google, Amazon, Microsoft und Apple. Was eine große Plattform ausmacht, ist nun auch festgeschrieben: So wird alle paar Monate unter anderem die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer einer Plattform erhoben. Überschreitet diese 45 Millionen, also rund zehn Prozent der EU-Bevölkerung, handelt es sich um eine große Plattform, für die entsprechend strengere Regeln gelten sollen.

EU-Kommissarin für Wettbewerb und geschäftsführende Vizepräsidentin und Kommissarin für Digitales Margrethe Vestager und der  EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen Thierry Breton bei einer Pressekonferenz
APA/AFP/Stephanie Lecocq
Vestager (li.) und Breton, hier auf einem Archivbild, traten erst mit deutlicher Verzögerung auf

Vor allem bei der Beseitigung illegaler Inhalte soll künftig schneller reagiert werden. Konkret geht es etwa um „Hassrede, Verleumdung, illegale Produkte“, so der EU-Beamte. Die Plattform Euractiv zählt auch Kindesmissbrauch, Teilen von Bildern gegen den Willen der Fotografierten, und die widerrechtliche Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material.

Plattformen müssten beweisen können, dass sie nichts von derartigen Inhalten wissen – und dass sie entsprechend handeln, wenn derartiges Material beanstandet wird. Außerdem sollen Plattformen dazu verpflichtet werden, Überlegungen anzustellen, wie man die Verbreitung illegaler Inhalte vermeiden könne. Dazu zähle etwa die Kürzung von Werbeeinnahmen für bestimmte Inhalte, so Euractiv. Nach der Löschung von Inhalten müsse es User unterdessen die Möglichkeit geben, gegen diese Entscheidung Beschwerde einzulegen.

„Gatekeeper“ sollen eingeschränkt werden

Der DMA soll ganz besonders „Gatekeeper“ adressieren: Jene enorm großen Plattformen, die zwischen Unternehmen und Nutzern stehen, also Suchmaschinen, Soziale Netzwerke und etwa auch Betriebssysteme. Für diese „Gatekeeper“ gibt es eine Liste mit Dingen, die entweder befolgt oder vermieden werden sollen.

So wird etwa festgehalten, dass Dienste verpflichtend mit anderen Diensten kompatibel sein müssen („Interoperability", beispielsweise wenn Messenger verschiedener Hersteller untereinander Nachrichten austauschen“). Werbetreibende müssten denselben Zugang zu Daten haben wie die Plattformen selbst.

Umgekehrt dürften „Gatekeeper“ nicht mehr verhindern, dass Anwenderinnen und Anwender etwa vorinstallierte Applikationen auf Handys löschen. Gleichzeitig muss es erlaubt sein, dass User auch auf Dienste zugreifen können, die außerhalb der Plattform des Konzerns erworben wurden.

Strafen bis zu zehn Prozent des weltweiten Umsatzes

Auch entsprechende Strafmaßnahmen sind in dem neuen Paket vorgesehen. Und diese können saftig ausfallen: Wer bewusst gegen die Wettbewerbsregeln verstößt, muss dafür bis zu zehn Prozent des weltweiten Umsatzes Strafe zahlen. Internetriesen, die ihre Plattformen nicht ausreichend überwachen und entsprechend bereinigen, können immer noch Strafen bis zu sechs Prozent des Umsatzes ausfassen.

Für „Wiederholungstäter“ sind weitere Maßnahmen vorgesehen, hieß es schon im Vorfeld. Wer mehrmals bestraft wird, muss mit „strukturellen Gegenmaßnahmen“ rechnen. In den Dokumenten der Kommission wird erläutert, dass das etwa ein Verkauf von Unternehmensteilen sein könnte. Die „Financial Times“ schreibt, dass das bedeuten könnte, dass nach drei Verstößen ein Konzern etwa aufgeteilt wird. Das Blatt beruft sich auf mit der Sache vertraute Quellen.

Die Zerschlagung von Konzernen ist ein besonders heikles Thema, denn es ließ in der Vergangenheit die zwei federführenden Personen in der Kommission aufeinanderprallen: Ende Oktober sagte Vestager nämlich noch, dass sie derzeit keinen Bedarf sehe, Internetriesen zu zerschlagen. Unmittelbar davor sagte Breton hingegen, dass er sich eine Aufteilung von Unternehmen durchaus vorstellen könne.

Koordinationsstelle für digitale Dienste

Künftig soll es auch einen Koordinator für digitale Dienste geben, der von den Mitgliedsstaaten bestimmt wird. Dieser ist etwa dafür verantwortlich, die Größe von Plattformen zu überwachen, um gegebenenfalls sicherzustellen, dass für diese Konzerne die strengeren Regeln der EU gelten. Außerdem sollen sie in der Lage sein, Plattformen zur Herausgabe von Daten zu zwingen, die für die Überwachung und korrekten Einschätzung der Konzerne notwendig ist.

Verkündung ließ auf sich warten

Die Verkündung des neuen Pakets verlief für Brüsseler Verhältnisse äußerst ungewöhnlich: Den normalerweise vorab an Journalistinnen und Journalisten übermittelten Text gab es nicht, eine für ungefähr 15.00 Uhr geplante Pressekonferenz verzögerte sich deutlich. Ausgerechnet Facebooks europäische Cheflobbyistin teilte offenbar einen Auszug aus dem fertigen Dokument – per Twitter.

Um 16.00 Uhr ging die zugehörige Informationsseite der Kommission online – aber eben ohne vorhergehende Erläuterung der zuständigen EU-Beamten. Dennoch drangen schon in den vergangenen Tagen einige Eckpunkte der Gesetze an die Öffentlichkeit – und auch die allgemeinen Ziele waren bekannt.

Endgültige Einigung könnte dauern

Mit dem Vorschlag der Kommission ist nun der erste Schritt in Richtung neuer Spielregeln für das Netz getan. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) begrüßte den Vorschlag. Gleichzeitig sagte sie im Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen, dass man „einen Minimalkompromiss“ in „diesem, für unsere Zukunft so bedeutenden Bereich einfach nicht leisten“ könne.

Denn bis die neuen Regeln umgesetzt werden, könnte es noch länger dauern: Nun wandern die Gesetze zum Parlament und zu den zuständigen Ministerinnen und Ministern der jeweiligen Mitgliedsstaaten. Dort wird es noch zu einigen Änderungen an dem Paket kommen – nicht zuletzt, weil wohl auch die Internetriesen selbst lobbyieren werden. Bis zur endgültigen Einigung könnten noch einige Jahre vergehen.