EU soll wieder „Visionen für Zukunft“ entwickeln

Die EU braucht nach dem schwierigen Coronavirus-Jahr 2020 wieder Visionen und mehr Gemeinsamkeiten – in diesem Punkt waren sich heute österreichische Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker bei einer Onlinediskussion des „Europa Club Wien“ einig. Das Wichtigste sei jetzt der Start der EU-Zukunftskonferenz, sagte Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP). Für Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) ist die Umsetzung des Green Deal eine der größten Aufgaben Österreichs in der EU.

Edtstadler hofft, dass das Interesse an der EU wieder gestiegen ist. Sie wolle die Bürger und Bürgerinnen mitnehmen und auch, dass die EU ein entscheidender Faktor in der Innenpolitik werde. Edtstadler räumte ein, sie habe im Zuge des EU-Budgetstreits um die Rechtsstaatlichkeit und den Vetos von Polen und Ungarn befürchtet, dass das der Beginn des Auseinanderfallens der EU wäre. Nun seien zwar Fragen wie die EU-Erweiterung und der Brexit noch ungelöst, doch habe die EU große Lösungen beim Budget und bei der Entwicklung und Beschaffung von Coronavirus-Impfstoffen zustande gebracht.

Klimaschutz „größte Herausforderung“

Gewessler sieht in der Umsetzung der EU-Klimaschutzziele die größte Herausforderung. In der Coronavirus-Krise habe sich gezeigt, wie fragil das gemeinsame Europa sei. Man habe aber auch gesehen, dass Europa handlungsfähig sei. „Die Klimakrise ist die große Krise“, sie habe Auswirkungen auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Bildung und Außenpolitik. Wenn Europa die Transformation und die Sicherung von Wohlstand gelinge, habe das auch eine Strahlkraft auf andere Kontinente. Dabei dürfe die EU niemanden zurücklassen.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sagte, die EU sei besser als von populistischen Politikern dargestellt. Die Politik müsse wieder stärker ein europäisches Wir-Gefühl in den Vordergrund rücken anstelle von nationalen Egoismen. „Wenn wir das nicht machen, werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können.“ Ludwig wünscht sich, dass die Städte noch mehr Gehör in der EU finden.

Uneins bei Asylpolitik

Uneins zeigten sich die Teilnehmer der Diskussion beim Thema Asyl- und Migrationspolitik. Wenn die EU nicht verhindere, dass in Griechenland Flüchtlingskinder „von Ratten angenagt werden“, stelle sich die Frage, ob sie dann das Ziel der Klimaneutralität schaffe, wandte die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon ein. Dass in der EU-Asyl- und Migrationspolitik nichts weitergehe, zeige die „dysfunktionale Entscheidungsmechanismen“ in der EU. Österreich sollte eine noch proaktivere europäische Politik gestalten, forderte Gamon.

Edtstadler forderte, es brauche zuerst eine Lösung für den europäischen Außengrenzschutz, dann erst müsse man über die Neuansiedlung (Resettlement) von Flüchtlingen reden. „Wir werden es nicht schaffen, alle in Europa aufzunehmen.“

„Kein US-Präsident wird mehr den Job für Europa machen. Wir müssen unser Schicksal ein Stück weit selbst in die Hand nehmen“, forderte EU-Kommissionsvertreter Martin Selmayr. Zudem verändere sich die Geopolitik durch das wirtschaftliche Aufstreben Chinas und das Erstarken autoritärer Mächte in der unmittelbaren Nachbarschaft Europas.