Szene des Films „The Midnight Sky“ mit George Clooney
2020 NETFLIX, INC.
„The Midnight Sky“

Clooneys Endzeitszenario im Eis

Eis und Schnee, ein glitzernder Nachthimmel, George Clooney mit Nikolobart und ein kleines, vertrauensvolles Mädchen: Mit „The Midnight Sky“ startet am Mittwoch das Gegenteil eines Weihnachtsfilms auf Netflix. Ein Film als große Metapher – allein, die vielen kleinen und die eine große Katastrophe wollen darin nicht glaubhaft werden.

Die Menschheit ist einer globalen Bedrohung ausgesetzt. Alle bisherigen Sicherheiten scheinen außer Kraft gesetzt. Nun heißt es zusammenhalten, nur die Wissenschaft kann helfen – was als Ausnahmesituation für das Kino gedacht war, kommt der Situation während der CoV-Pandemie in groben Zügen recht nahe, ist dennoch deutlich zugespitzter. Eine klassisch apokalyptische Grundkonstellation herrscht also in „The Midnight Sky“, nach dem Zweiter-Weltkrieg-Kunstkrimi „The Monuments Men“ und der Vorstadtsatire „Suburbicon“ Clooneys siebente Regiearbeit.

In dem Thriller ist es allerdings kein Virus, sondern eine ungenannte, menschengemachte Bedrohung, die die Erde unbewohnbar macht und immer mehr Gebiete radioaktiv verseucht. Die meisten Menschen versuchen, in Schutzräume unter die Erde zu flüchten. Nur der Wissenschaftler Augustine (gespielt von Clooney mit wärmendem Rauschebart) bleibt zurück, um von seiner Forschungsstation in der Arktis aus die rückkehrenden Astronautinnen und Astronauten einer Jupitermission zu warnen.

Einmal noch Held sein

Das Raumschiff Aether war mit seiner Crew um Weltraumpilotin Sully (Felicity Jones) und ihren Kommandanten Adewole (David Oyelowo) auf einem Jupitermond, um dessen Tauglichkeit als menschlichen Lebensraum zu erkunden. Während der mehrjährigen Forschungsreise war jedoch kein Kontakt mit der Erde herzustellen, und offenbar ist hier herunten in dieser Zeit alles schiefgegangen – eine sichere Landung ist nicht mehr möglich.

Augustine, dem aufgrund einer Krankheit ohnehin nicht mehr viel Lebenszeit bleibt, hat die selbstmörderische Aufgabe übernommen, das Raumschiff zur Umkehr zu bewegen. Doch das erweist sich als schwierig, zumal er nach einigen kleinen Unfällen auf der Forschungsstation die Verursacherin entdeckt: ein kleines Mädchen, das sich offenbar versteckt hat, weil es vor der Evakuierung Angst hatte. Doch wie rettet ein Todgeweihter mitten in der Apokalypse ein Kind aus dem Ewigen Eis?

„The Midnight Sky“ ist Clooneys erster Film für Netflix, er behielt in allen Bereichen die kreative Kontrolle: Er hat nicht nur die Regie und Hauptrolle übernommen, sondern mit seinem bewährten Partner Grant Heslov auch produziert. Der wesentliche Beitrag zu diesem Film kommt allerdings von Drehbuchautor Mark L. Smith, der den Roman „Good Morning, Midnight“ der Autorin Lily Brooks-Dalton adaptiert hat. Schon der Roman ist eine poetische Version des Weltuntergangs, die untersucht, was von einem Menschen bleibt, wenn alles notwendig Geglaubte verloren ist.

Kleine Katastrophen während der Apokalypse

In den Händen Smiths, der auch für Alejandro Gonzalez Inarritus oscargekrönten Überlebenswestern „The Revenant“ das Drehbuch schrieb, wird die Geschichte nicht weniger metaphorisch und bedeutungsschwer. „Hier gab es einige Ideen, die mir auch an ‚The Revenant‘ gefallen haben – eine Reise, Mensch gegen Natur, Dinge, die es zu überwinden gilt“, sagt Smith über den Roman. „Das Wichtigste allerdings war, dass es sich in der Wirklichkeit verankert anfühlt. Das ist keine Science-Fiction, das sind echte Charaktere mit realen Problemen und Emotionen.“

Produzent Grant Heslov, Schauspielerin Tiffany Boone und Regisseur und Hauptdarsteller George Clooney am Set
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Clooney (mit Produzent Grant Heslov und Darstellerin Tiffany Boone) kennt Weltraumdrehs aus eigener Erfahrung als Schauspieler

Zumindest letztere Aussage entpuppt sich, nachdem man den Film gesehen hat, als reine Behauptung. Keine der Figuren, noch nicht einmal die hinreißende Jungastronautin Maya (Tiffany Boone), wirken wie echte Menschen. Dafür sind die großen Fragen nach den letzten, bleibenden Dingen im Leben von einer Reihe zufällig anmutender Kleinkatastrophen grundiert. In der Forschungsstation bricht ein Küchenfeuer aus, der Funkempfang ist schlecht, und ein ungemütlicher Trip durch den Schneesturm zur zwei Tagesmärsche entfernten nächsten Station wird notwendig.

Zaghafte Gruppendynamik im All

Auch im Raumschiff mit Kollisionskurs auf die Erde, ereignen sich einige Komplikationen, die zugleich existenziell, aber auch enorm fad sind. Eben weil das Ganze so offensichtlich eine Metapher ist, werden die Hindernisse gewollt gleichnishaft und dadurch öde. Was genau Clooney an dem generischen Stoff gereizt hat, ist unklar: Alle Konflikte bleiben im Allgemeinen, speziell Augustine hat keinerlei Tiefe, und auch die Crew der Aether ist nicht glaubwürdig.

Szene des Films „The Midnight Sky“ mit Felicity Jones
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Sully (Felicity Jones) hat im All gleich mehrere grundlegende Herausforderungen zu bewältigen

Ihre höflichen Dialoge klingen, als wären sie gerade erst ein paar Tage miteinander bekannt, wo sie doch eigentlich seit Jahren enger als jede Familie seit Jahren nebeneinander leben, arbeiten und schlafen. Ein Detail fällt in diesem Zusammenhang besonders auf: Felicity Jones, Darstellerin der Sully, war während der Dreharbeiten schwanger, also ist sie das eben auch im Film – trotz aller distanzierten Höflichkeit zu den Kollegen und Kolleginnen.

Zwischen „Revenant“ und „Gravity“

Als Schauspieler ist Clooney der Weltraum vertrautes Terrain, hat er doch in „Gravity“ und „Solaris“ schon Schwerelosigkeit gespielt. Das kam nun seinem Schauspielteam in den Raumschiffszenen zugute, während er hier mit beiden Beinen auf der Erde blieb. Doch der Film interessiert sich nicht wirklich für die Umgebung, für die aberwitzigen, beengten Lebensbedingungen und die mangelnde Privatsphäre auf einem Raumschiff oder einer Forschungsstation.

„Die Hälfte des Films ist wie ‚Gravity‘, die andere wie ‚The Revenant‘“, sagt Clooney, „und das passt nicht natürlicherweise zusammen, also war es ein konstanter Balanceakt.“ Pech ist allerdings, dass keine der beiden Hälften wirklich gelingt.

Eine gute Nachricht gibt es trotzdem, denn es kann durchaus auch einmal Unterhaltung aus dem Archiv sein: Ebenfalls auf Netflix zu sehen ist „Out of Sight“ (1998), einer der besten Filme, in dem Clooney je mitgespielt hat, sicher der beste Film von Steven Soderbergh, geschnitten von der Jahrhundert-Cutterin Anne V. Coates und mit der zu Unrecht unterschätzten Jennifer Lopez in einer Paraderolle.