Dutzende Fahrer stehen vor mehreren Polizisten im Hafen von Dover
Reuters/John Sibley
Grenzchaos in Großbritannien

Blanke Nerven in Dover trotz Einigung

In der britischen Hafenstadt Dover liegen trotz einer Einigung mit Frankreich die Nerven blank. Mehrere tausend Lkws sind in Dover bzw. in der Umgebung des wichtigsten britischen Hafens nach Kontinentaleuropa weiterhin gestrandet. In Dover selbst kam es zu Rangeleien zwischen Lkw-Fahrern und der Polizei.

Bis sich der immense Lkw-Stau rund um den Hafen von Dover auflöst, dürfte es nach Angaben der britischen Regierung „einige Tage“ dauern. Es gebe nun „viel zu tun“, und das Problem werde nicht „sofort“ gelöst sein, sagte Wohnungsbauminister Robert Jenrick am Mittwoch dem Sender Sky News. Der Hafen von Dover wurde in der Nacht zum Mittwoch wieder geöffnet, nachdem sich Paris und London auf eine Lockerung der strikten Reise- und Verkehrsbeschränkungen geeinigt hatten.

Voraussetzung für Einreisen nach Frankreich ist nun ein negativer CoV-Test. Frankreich hatte wegen der in Großbritannien aufgetauchten neuen Coronavirus-Variante die Grenzen für den Frachtverkehr geschlossen. Das hatte die Befürchtung von Versorgungsengpässen in Großbritannien vor allem bei frischen Gütern geschürt. So wurden etwa in London die Supermärkte gestürmt. Die Regierung und auch Handelsverbände hatten versucht zu beruhigen.

Dutzende Fahrzeuge und LKW vor dem gesperrten Hafen von Dover
Reuters/John Sibley
Ein Stau vor dem Hafen von Dover

Handgemenge zwischen Lkw-Fahrern und Polizei

Nach Jenricks Angaben steckten am Dienstagabend rund um das Hafengebiet etwa 4.000 Lkws fest – entweder auf der Autobahn nach Dover oder auf dem angrenzenden ungenutzten Flughafen Manston rund 30 Kilometer nördlich von Dover. Allein dorthin wurden etwa 3.000 Lastwagen umgeleitet. Unter anderem dort sollen sich die Lkw-Fahrer nun testen lassen können. Soldaten würden bei den Tests helfen, um den Vorgang zu beschleunigen. Das Verkehrsministerium sprach am Vormittag von mehr als 5.000 Fahrzeugen. Laut Schätzungen des britischen Speditionsverbands RHA warten in Dover und Umgebung allerdings bis zu 10.000 Lastwagen auf die Ausreise nach Frankreich. Es werde dauern, bis sich der Rückstau aufgelöst habe, so Jenrick weiter.

Menschen in einem Sainsbury Supermarkt in London
Reuters/Hannah Mckay
Dichtes Gedränge auch am Dienstag in einem Sainsbury’s-Supermarkt in London

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki intervenierte persönlich in London und Paris , um eine Rückkehr Tausender polnischer Lastwagenfahrer aus Großbritannien zu ermöglichen. Die Stimmung ist angespannt. Zahlreiche Fahrer protestierten am Mittwoch in den frühen Morgenstunden mit einem Hupkonzert gegen ihre missliche Situation und zogen in die Straßen rund um den Hafen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Dabei kam es auch zwischen wartenden Lastwagenfahrern und der Polizei zu Schubsereien und Handgemengen. Frustrierte Fahrer hätten die Polizei ausgepfiffen, einige hätten versucht, an den Beamten vorbeizukommen, berichteten britische Medien am Mittwoch.

Eine Grafik zeigt den Eurotunnel zwischne Großbritannien und Frankreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Lkw-Fahrer fürchten um Weihnachten

Viele Fahrer werden wegen der Blockade wohl nicht mit ihren Familien zu Hause Weihnachten feiern können. Zudem beklagen sie eine schlechte Lebensmittelversorgung und einen Mangel an sanitären Anlagen. Frankreichs Staatssekretär für Verkehr, Jean-Baptiste Djebbari, twitterte an die Adresse der Wartenden: „Wir arbeiten hart daran, dass so viele von Ihnen wie möglich nach Hause kommen können, um die Weihnachtsferien mit ihrer Familie zu verbringen.“

Auch RHA-Chef Richard Burnett warnte: „Hunderte Fahrer laufen Gefahr, nicht rechtzeitig zu Weihnachten zu Hause zu sein.“ Burnett betonte, dass auch der Einsatz von Schnelltests für erhebliche Verzögerungen in der Lieferkette sorgen würde. Zudem warnte Burnett vor Gesundheitsrisiken. Zahlreiche Fahrer hätten noch immer keinen Zugang zu Sanitäranlagen. Zudem seien logistische Fragen ungeklärt, etwa die Reinigung von Fahrerkabinen bei positiv Getesteten. Um den Rückstau schneller aufzulösen, lockerte Verkehrsminister Grant Shapps erneut die Ruhezeiten: Lkw-Fahrer dürfen nun elf statt neun Stunden am Steuer sitzen.

Lufthansa fliegt 80 Tonnen Lebensmittel ein

Nach der Lockerung von Reisebeschränkungen sind am Mittwoch unterdessen auch wieder erste Fährpassagiere aus Großbritannien im französischen Hafen von Calais von Bord gegangen. Gegen 3.30 Uhr erreichte die erste Autofähre aus Dover mit einigen wenigen Passagieren Frankreich, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Auch die Passagiere brauchen einen CoV-Test.

Die britische Polzie bagann einen Teil der Fahrzeuge auf der britischen Autobahn M20 zu eskortieren um den enormen Verkehr zu bewältigen.
APA/AFP/Adrian Dennis
Der Weg nach Frankreich via den Hafen von Dover bzw. durch den Eurotunnel ist die wichtigste Verbindung auf das europäische Festland

Als Hilfe bei der Versorgung britischer Supermärkte hat die Lufthansa 80 Tonnen Obst und Gemüse ins Vereinigte Königreich geflogen, wie das Unternehmen am Mittwoch auf Anfrage mitteilte. „Lufthansa Cargo prüft derzeit, ob in den nächsten Tagen weitere zusätzliche Frachtflüge angeboten werden können“, hieß es. Möglicherweise könne auch ein regulärer Flug genutzt werden. „Dies könnte mit einem Frachter sein, wir prüfen aber auch, ob wir Passagierflugzeuge nur für Frachtflüge einsetzen können.“