Straßenszene auf der Champs Elysees.
Reuters/Charles Platiau
ORF-Korrespondenten

Ausblicke auf 2021

2020 ist für viele ein hartes Jahr gewesen. Verluste, persönliche, politische und wirtschaftliche, prägten die globale Gesellschaft. Die Pandemie stellte Pläne auf den Kopf, Prioritäten mussten neu geordnet werden. ORF.at hat rund um die Welt nachgefragt: Wo liegen die Chancen im neuen Jahr? Was sind die Herausforderungen? Worauf freuen sich die Menschen? Eine Einschätzung der ORF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten für 2021.

Trotz der Coronavirus-Krise wieder Normalität zu erreichen, so scheint es, ist der große globale Vorsatz für das neue Jahr. Dass die Pandemie aber die alleinige Auslöserin für Probleme gewesen sei, das glauben die Expertinnen und Experten nicht – vielmehr habe sie bestehende Armut, Wirtschaftskrisen und auch politische Krisen verstärkt. In der arabischen Welt etwa wirke die Pandemie „wie ein großer Brandverstärker“, so Karim El-Gawhary, Korrespondent für den Nahen Osten.

Daher könnte 2021 sogar noch schwieriger werden als 2020, so auch in der Türkei, schätzt Türkei-Korrespondent Jörg Winter die Lage ein: „Weil viele Unternehmen die Pandemie nicht überleben werden, weil die türkische Notenbank keine Währungsreserven mehr hat und weil die Türkei internationale Sanktionen befürchten muss wegen der andauernden politischen Provokationen von Präsident (Recep Tayyip) Erdogan.“

Vielerorts lässt sich das Maß der sozialen Folgen der Coronavirus-Krise noch nicht abschätzen. In der Ukraine etwa sind nach Angaben der UNO ungefähr neun Millionen Menschen armutsgefährdet – ein Viertel der Bevölkerung – und das freilich nicht nur aufgrund der Pandemie. Aus diesem Grund hoffen die Ukrainerinnen und Ukrainer auf raschen Frieden im Konfliktgebiet der Ostukraine. „Zwar schweigen derzeit die Waffen, doch wohl eher, weil niemand die mit Coronapatienten überlasteten Spitäler noch zusätzlich belasten will“, sagt Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz.

Impfung als größte Hoffnungsträgerin

Viele Länder setzten 2020 (sowie auch bereits in den ersten Tagen des neuen Jahres 2021) auf Lockdowns, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Anders in Russland, wo es keine Ausgangssperren gibt und sich das Virus nahezu ungehindert verbreiten kann. Hoffnung setzt der Kreml stattdessen in den russischen Impfstoff „Sputnik V“. „Der ist zwar noch nicht fertig getestet, wird aber trotzdem schon massenweise geimpft“, erzählt Russland-Korrespondent Paul Krisai. Was bleibt, sind die wirtschaftlichen Herausforderungen. „Die Löhne der Russinnen und Russen sind seit Beginn der Pandemie so stark gesunken wie seit 20 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig steigen die Lebensmittelpreise“, so Krisai.

Impfen ist freilich das große Thema auch in den westlichen Ländern, sie setzen jedoch auf die Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca. In Österreichs Nachbarland Deutschland etwa wollen sich laut Korrespondentin Birgit Schwarz ungefähr 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Schwarz schätzt, dass die Umsetzung dessen eine große Herausforderung für Deutschland werden könnte: „Es braucht zwei Dosen, und das muss erst mal organisiert werden für ein so großes Land.“

Wohin sollen Hilfsgelder fließen?

Um den EU-Ländern die Rückkehr zur Normalität zu erleichtern, wurde ein Wiederaufbaufonds verabschiedet. Im in der ersten Coronavirus-Welle besonders hart getroffenen Italien „streitet (man) auch darüber, wer diese Projekte ausarbeiten darf und unter wessen Kontrolle“, erzählt Italien-Korrespondentin Cornelia Vospernik. Ihre Kollegin Katharina Wagner, ebenfalls Italien-Korrespondentin, ergänzt: „Italien soll ja den größten Anteil an Geldern bekommen, nämlich bis zu 209 Milliarden Euro.“

Auf der anderen Seite des Atlantiks beschäftigt die USA in den ersten Tagen von 2021 bereits eine politische Krise. Ausgelöst wurde diese durch den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump, der sich bis vor Kurzem noch an seinen Schreibtisch festklammerte, und dem Sturm eines rechtsradikalen Mobs auf das Kapitol in Washington. Doch schon zuvor befanden sich die USA, auch wegen der Coronavirus-Krise, in einem Dilemma.

Eine „katastrophale soziale Krise, die Millionen Amerikaner in Armut und Hunger gestürzt hat“, beschreibt Korrespondent David Kriegleder die Lage. Eine große Herausforderung in Hinblick auf das Coronavirus würde jedenfalls sein, „die Menschen zu überzeugen, dass sie sich tatsächlich gegen Covid impfen lassen“, fügt USA-Korrespondentin Hannelore Veit hinzu.

Mögliche Machtwechsel

Und abgesehen von einem hoffentlich baldigen Ende der Pandemie? „2021 wird das Jahr sein in Europa, in dem man sich daran gewöhnen wird müssen, dass die Briten höchstwahrscheinlich endgültig draußen sind aus dem gemeinsamen Ganzen“, glaubt EU-Korrespondent Peter Fritz in Brüssel. Sein Pendant im scheidenden Großbritannien, Korrespondentin Eva Pöcksteiner, sieht es als Aufgabe der britischen Regierung, sich nach dem Brexit neu zu definieren und zu positionieren. „Die Beziehung zu den EU-Ländern wird auf neue Beine gestellt und es werden neue Handelsbeziehungen weltweit geschlossen“, so Pöcksteiner mit einem Ausblick.

Überdies geht in Deutschland etwas dem Ende zu – und zwar die Ära der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. „Und es ist völlig offen, wer ihr im Kanzleramt nachfolgen wird“, sagt Berlin-Expertin Schwarz. Ob sie doch noch eine weitere Amtszeit anhängen könnte? Diese Frage stellt sich auch der israelische Premier Benjamin Netanjahu. „Spannend im neuen Jahr wird zu sehen, ob und wie sich Premierminister Benjamin Netanjahu an der Macht halten kann trotz eines Korruptionsprozesses und trotz möglicher Neuwahlen“, blickt Israel-Korrespondent Tim Cupal in die Zukunft.

In der italienischen Innenpolitik könnte es 2021 Überraschungen geben. „Vor allem Matteo Renzi (Chef der Regierungspartei Italia Viva, Anm.)“, glaubt Italien-Expertin Vospernik. „Man weiß nicht so recht, wie lang er mit Premierminister Giuseppe Conte noch gemeinsam weitermachen will. Ich würde nicht darauf wetten, dass diese Regierung hält.“ Spanien-Korrespondent Josef Manola hält sich indes für Überraschungen im spanischen Königshaus bereit. „König Felipe ist mit den Skandalen seines Vaters konfrontiert. Es gibt gerichtliche Nachforschungen. Wer weiß, was da noch alles herauskommen wird“, so Manola. Überdies würde in Spanien ein Referendum über die Abschaffung der Monarchie diskutiert.

Klimaschutz als globale Herausforderung

Ein Referendum soll es weiters in Frankreich geben, ob der Klimaschutz in der Verfassung verankert werden soll. „Das dürfte eine spannende Kampagne werden“, glaubt Frankreich-Korrespondentin Leonie Heitz. Ebenso in den USA könnten die Themen Umwelt und Klima unter dem designierten US-Präsidenten Joe Biden eine größere Rolle spielen als bisher. Es stelle sich die Frage, „ob die neue US-Regierung ihre ambitionierte Klimapolitik in Angriff nehmen wird“, so USA-Korrespondent Kriegleder.

Kultur fehlt

Freilich freut man sich in vielen Ländern der Welt auf Normalität, insbesondere was den Alltag und das kulturelle Leben anlangt. In Ägypten etwa könnte das sich noch im Bau befindliche neue große Ägyptische Museum 2021 seine Pforten öffnen. „Dann kann man dort den gesamten Grabschatz Tutenchamuns besichtigen: Insgesamt über 5.000 einzelne Artefakte“, freut sich Ägypten-Experte El-Gawhary. Das könnte freilich viele Touristinnen und Touristen anziehen.

Denn das Reisen sei es, was besonders die Deutschen herbeisehnen würden, so Berlin-Korrespondentin Schwarz: „Es besteht die große Hoffnung, dass mit der Impfung die Menschen wieder reisen dürfen. Die Deutschen, die ja Reiseweltmeister sind, haben so große Lust darauf, dass es jetzt schon ganz viele Buchungen für den Sommer gibt.“

In Frankreich würden sich die Menschen vor allem wieder auf die kleinen Buchhandlungen, aber auch die Konzerte und Theater freuen, meint Frankreich-Korrespondentin Heitz. Diese „haben vielen hier extrem gefehlt“. Nicht zuletzt ist es ja oft das gesellschaftliche Treiben, das das Leben in einem bestimmten Land einzigartig macht – so auch in der Schweiz. „Die Schweiz ist ein Land von Festivals, Kulturveranstaltungen im Freien, das hat hier Tradition. Ich glaube sie (die Schweizerinnnen und Schweizer, Anm.) freuen sich am meisten auf das – und auf die Nationalsportart, das Schwingen“, so Schweiz-Korrespondentin Raphaela Stefandl.

„Endlich wieder normal essen und trinken gehen“

Das gesellige Leben fehlt vielerorts. Die Belgierinnen und Belgier würden sich beispielsweise besonders darauf freuen, „dass man endlich wieder ganz normal essen und trinken gehen kann, einkaufen kann“, so Brüssel-Korrespondentin Veronika Fillitz. Wieder Feste zu feiern – dem fiebert man desgleichen in Israel entgegen. „In Israel freut man sich auf Pessach Ende März. Das Fest, das an den Auszug der Israeliten aus Ägypten und an das Ende der Sklaverei erinnert, könnte nämlich zusammenfallen mit der langsamen Rückkehr zur Normalität nach der Coronakrise“, hofft Israel-Experte Cupal.

Währenddessen freuen sich die Russinnen und Russen vor allem „auf den Frühling“, weiß Russland-Korrespondentin Carola Schneider. „Zwar sind die Winter, vor allem in Moskau, längst nicht mehr so bitterkalt wie früher, aber die Tage sind im Winter monatelang kurz und dunkel.“ Zumindest dieser Wunsch an die Jahresuhr dürfte bald in Erfüllung gehen.