Menschen in Ribeira
APA/AFP/Patricia de melo Moreira
Grün, sozial, erholt

Portugals Pläne für Europa

Zum neuen Jahr rotiert wieder die EU-Ratspräsidentschaft, Portugal übernimmt den Vorsitz von Deutschland. Zu den großen Aufgaben zählen weiterhin Pandemie und Brexit. Portugal will die EU aber auch „widerstandsfähiger“ machen gegen soziale Ungleichheit und die Klimakrise. Aufflammen könnte erneut der Streit über den Mercosur-Pakt.

Der Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft ist für jedes Land eine Gelegenheit, den Abläufen auf dem europäischen Parkett seinen Stempel aufzudrücken – oder sich zumindest bestmöglich zu präsentieren. Der Vorsitz wechselt alle sechs Monate unter den Mitgliedsstaaten und hat die Aufgabe, die Sitzungen und Gipfel zu leiten und „für die Kontinuität der Arbeit der EU im Rat“ zu sorgen. Deutschland nahm im vergangenen halben Jahr als Vorsitzland auf vielen Ebenen das Heft in die Hand. Berlin blieb bis zum Schluss dran: Am vorletzten Tag des Jahres besiegelte die EU unter deutscher Vorsitzführung noch das lange erwartete Investitionsabkommen mit China.

Bedeutsam waren Deutschlands Aufgaben im vergangenen halben Jahr: Es führte die Union mit durch die schweren Brocken Pandemie und Brexit. Beides ließ in der EU kaum einen Stein auf dem anderen. Schon zu Beginn des deutschen Vorsitzes im Juli schnürte die Union ein 1,8 Billionen Euro schweres Haushaltspaket. Für 750 Milliarden Euro Coronavirus-Hilfen sollten im großen Stil gemeinsam Schulden gemacht werden. Ungarn und Polen aber stellten sich quer. Eine Klausel, wonach bei bestimmten Rechtsstaatsverstößen EU-Gelder gekürzt werden können, wurde zum Zankapfel, der das gesamte Paket bedrohte.

Nach einer langen Hängepartie fand Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) durch eine Zusatzerklärung einen Ausweg aus dem Patt. Die dadurch ermöglichte Einigung gilt als großer Erfolg der Ratspräsidentschaft.

Deutschland „hat geliefert“

Ähnliches gilt für den Brexit: Durch einen Kompromiss in letzter Minute konnten viereinhalb Jahre schier endloser Streitereien abgeschlossen werden. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Chefunterhändler Michel Barnier verzeichneten den Verhandlungserfolg, auch Deutschland blieb ein „Hard Brexit“ unter seiner Vorsitzführung erspart.

Auch das neue Klimaziel Europas, bis 2030 mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren, reiht sich in die deutsche Bilanz ein. Der Pakt kam unter großem Einsatz Merkels beim EU-Gipfel im Dezember zustande. Tschechien und Polen hatten sich gegen ein höheres Ziel verwehrt und gaben ihren Widerstand erst nach finanziellen Zugeständnissen auf.

Der Premierminister von Portugal,  Antonio Costa
Reuters/Piroschka van de Wouw
Premier Costa wird sein Verhandlungsgeschick in den nächsten sechs Monaten auf europäischem Parkett beweisen müssen

Auch wenn Deutschland nach Einschätzung seines Außenministers Heiko Maas (SPD) während der Ratspräsidentschaft „geliefert“ habe – viele Punkte im Arbeitsprogramm blieben wegen der akuten Krisen auf der Strecke. Dazu gehört auch die seit Jahren blockierte Asylreform der EU. Eine angestrebte Grundsatzeinigung, die vor allem der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) bewarb, scheiterte erneut an der Weigerung osteuropäischer Staaten, Geflüchtete aufzunehmen. Ein Durchbruch in der Frage ist weiterhin nicht in Sicht, die humanitäre Lage auf der griechischen Insel Lesbos und andernorts bleibt verheerend.

EU will sich reformieren

Nicht nur diese Aufgabe landet nun in Lissabon, das mit Jahresanfang übernimmt. Auch die EU-Konferenz zur Zukunft Europas, die für Mai 2020 geplant war, muss nun Portugal übernehmen. Das Treffen soll auf praktische Fragen und auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger fokussiert sein, auch will man Lehren aus der CoV-Krise für die künftige Kooperation ziehen. „Wir dürfen keine Zeit mit unproduktiven Debatten verlieren“, so der portugiesische EU-Botschafter Nuno Brito.

In Sachen Klimaschutz müssen die EU-Ziele des „Green Deal“ in Rechtsakten festgeschnürt werden. Das Abkommen sieht eine CO2-Reduktion von 55 Prozent bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 vor. Die EU-Erweiterung wartet ebenfalls als Aufgabe: Bulgarien blockiert die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien, die Niederlande verwehrten Albanien den Start der Verhandlungen. Portugal will vermitteln.

Sozialgipfel geplant

Die sozialdemokratische Regierung in Lissabon unter Premier Antonio Costa will ihren Vorsitz aber auch nutzen, um eigene Schwerpunkte zu setzen. Der Fokus soll auf sozialen Themen liegen, auf Beschäftigung, Armutsbekämpfung und Investitionen in Gesundheitsschutz. Dazu wird im Frühsommer zu einem eigenen Sozialgipfel nach Porto geladen. Das „Vertrauen der Bürger in das europäische Sozialmodell“ müsse gestärkt werden, so das portugiesische Programm. Es sei eine Europäische Union gefordert, „die auf gemeinsamen Werten wie Solidarität, Kompromiss und Zusammenhalt beruht – eine Union, fähig zu koordinierten Maßnahmen zur Erholung von der Krise“. Ein Motto des portugiesischen Vorsitzes lautet daher „Resilienz“: Europa müsse seine Widerstandsfähigkeit stärken, auch der wirtschaftliche Wiederaufbau hänge davon ab.

Bundeskanzlerin Merkel
AP/Yves Herman
Deutschland gibt den Vorsitz ab. Kanzlerin Merkel verbuchte einige Erfolge als Verhandlerin.

Portugal nannte auch Digitalisierung und Klimaschutz als Prioritäten. Beides solle genutzt werden, um Europas Erholung zu unterstützen. Zudem will man „Europas strategische Autonomie“ stärken, etwa die Abhängigkeit von drittstaatlichen Gütern oder Technologien verringern.

Gesprächsbedarf auch mit Österreich

Gesprächsstoff in nächster Zeit wird einmal mehr das Mercosur-Freihandelsabkommen sein. Portugal will versuchen, einen Beschluss so weit wie möglich voranzubringen. Die EU und die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay hatten vor gut einem Jahr eine Grundsatzeinigung für den Handelsvertrag erzielt. Zuvor war 20 Jahre lang verhandelt worden. Mit dem Pakt soll die größte Freihandelszone der Welt entstehen. Das soll Unternehmen in der EU jährlich vier Mrd. Euro an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln. Das Abkommen ist aber höchst umstritten, es werden etwa schwere Nachteile für Umwelt- und Klimaschutz befürchtet. Österreich ist gegen den Mercosur-Vertrag, im Vorjahr stimmte auch der EU-Unterausschuss des Nationalrats gegen das Abkommen.

Diesbezüglich gebe es unterschiedliche Ansichten, sagte ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg bei einem Besuch in Portugal im Dezember. Gegenüber Portugals Vorsitz bestünden jedenfalls hohe Erwartungen, das Land übernehme die Ratspräsidentschaft zu einem sehr herausfordernden Zeitpunkt. Bisher habe man bezüglich der Krise „wohl nur die Spitze des Eisbergs gesehen, was die dauerhaften sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen angeht“.