Blick auf Gibraltar von Spanien
AP/Javier Fergo
Brexit-Folge

Lösung für Gibraltar fast in letzter Minute

Unmittelbar vor dem Austritt Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt haben die Regierungen in London und Madrid eine Grundsatzeinigung über die künftigen Regeln für Gibraltar erzielt. Das britische Überseegebiet soll in Zukunft zum Schengen-Raum gehören – und damit auch enger an Spanien gebunden werden.

Viel mehr Zeit hätten sich Spanien und Großbritannien nicht mehr lassen können. Erst Donnerstagnachmittag konnte die spanische Außenministerin Arancha Gonzalez Laya eine Grundsatzeinigung verkünden – nur wenige Stunden bevor Großbritannien mit Mitternacht endgültig den Brexit abschließt und aus dem EU-Binnenmarkt austritt. Das britische Überseegebiet an der Südspitze Spaniens soll dem Schengen-Raums beitreten.

Damit werde vermieden, dass die Grenze zwischen Spanien und Gibraltar am Südzipfel der Iberischen Halbinsel ab dem 1. Jänner 2021 zu einer undurchlässigen EU-Außengrenze werde, so Gonzalez. Beim Brexit-Referendum 2016 hatten 96 Prozent der 33.000 Einwohner Gibraltars für den Verbleib in der EU gestimmt.

Blick auf Gibraltar von Spanien
Reuters/Jon Nacza
Die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien soll auch in Zukunft keine harte EU-Außengrenze werden

Spanien und Großbritannien hatten bis zuletzt unter großem Zeitdruck über eine Brexit-Regelung für Gibraltar verhandelt. Das britische Überseegebiet war nicht Teil des Abkommens, den der britische Premierminister Boris Johnson nach langen Verhandlungen am Heiligen Abend mit der EU vereinbart hatte. Die nun zwischen Madrid und London erzielte Grundsatzeinigung müsse anschließend noch zwischen der EU und London vereinbart werden, sagte die spanische Außenministerin.

Spaniens Außenministerin Arancha Gonzales
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Die spanische Außenministerin Gonzalez konnte Donnerstagnachmittag eine Einigung mit Großbritannien verkünden

Spanien übernimmt Grenzkontrolle auf Flughafen

Mit der Aufnahme Gibraltars in den Schengen-Raum wird sich die EU-Außengrenze an den internationalen Flughafen des britischen Überseegebiets verlagern. Dort soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex Reisende kontrollieren. Die Aufsicht hat nach den Worten von Gonzalez Spanien. Der Punkt galt bis zuletzt als umstritten – am Ende setzte sich Madrid durch. Spanien sei den anderen Schengen-Staaten gegenüber in der Pflicht, die Außengrenze zu kontrollieren. Großbritannien könne das nicht, weil es nicht zum Schengen-Raum gehört, und Gibraltar auch nicht, weil es kein Staat sei, sagte Gonzales.

Passagiere am Flughafen von Gibraltar
Reuters/Jon Nazca
Spanien übernimmt in Zukunft die Aufsicht über den Grenzverkehr auf dem Flughafen von Gibraltar

Die spanische Außenministerin hatte zuvor vor einem Chaos an der Grenze zwischen Spanien und Gibraltar gewarnt. Jeden Tag überqueren 15.000 Menschen aus Spanien die Grenze morgens Richtung Gibraltar, um dort zur Arbeit zu gehen, und kehren abends wieder zurück. Bisher müssen sie nur ihren Personalausweis vorzeigen und werden durchgewinkt. Eine Sonderregelung ermöglicht das allen, die sich registriert haben, auch weiterhin. Allerdings kommen in Zeiten, die nicht gerade von einer Pandemie geprägt sind, rund sieben Millionen Touristen pro Jahr hinzu. Auch für sie soll sich nun in Zukunft nichts ändern.

Großbritannien schließt EU-Austritt ab

Sehr wohl auf Änderungen einstellen müssen sich ab Freitag freilich die 60 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner Großbritanniens: So werden zwischen der EU und Großbritannien künftig Kontrollen nötig, weil Standards überprüft werden müssen, unter anderem bei Agrarprodukten. Für Bürgerinnen und Bürger ist die Möglichkeit des einfachen Umzugs vorbei. Auch die Visafreiheit bei Reisen ist künftig zeitlich begrenzt. Großbritannien steigt außerdem aus dem Studierendenaustauschprogramm Erasmus aus.

Im Warenhandel sollen aber auch künftig keine Zölle und Mengenbeschränkungen gelten. Der freie Warenverkehr gilt denn auch als der wichtigste Punkt in dem Abkommen, auf das sich Großbritannien und die EU zu Weihnachten geeinigt hatten. Zudem regelt der knapp 1.250 Seiten umfassende Vertrag viele weitere Themen, darunter Fischfang und Zusammenarbeit bei Energie, Transport, Justiz und Polizei.

Queen stimmte Gesetz zu

Am Mittwoch billigte das britische Parlament diesen Post-Brexit-Handelspakt. Anschließend stimmte Königin Elizabeth II. dem Ratifizierungsgesetz zu und setzte es damit in Kraft. Am Donnerstag wurde das Vertragswerk offiziell im Gesetzblatt der EU veröffentlicht. Damit könne es wie geplant vorläufig ab 1. Jänner 2021 angewendet werden, teilte ein Sprecher der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit. „Ein No Deal wurde abgewendet, gerade noch rechtzeitig“, schrieb er auf Twitter.

Auf EU-Seite reichte die Zeit zur Ratifizierung im Europaparlament nicht. Deshalb wird der Vertrag zunächst vorläufig angewendet – bis zur Zustimmung der EU-Abgeordneten. Eine Mehrheit im EU-Parlament gilt aber als sicher. Der Brexit-Beauftragte des Parlaments, David McAllister, wertete den Handelspakt der EU mit Großbritannien angesichts der schwierigen Umstände als guten Kompromiss. Der Deal sei „umfassend, fair und ausgewogen“, sagte der CDU-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag-Ausgabe).

Ablehnung in Schottland

Das schottische Parlament lehnte den Handelspakt hingegen am Mittwoch ab. Die Abgeordneten stimmten mit 92 zu 30 Stimmen für eine Entschließung, nach der das Abkommen „Schottlands ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen ernsthaften Schaden“ zufüge. Das Votum hat keinen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess im britischen Parlament in London.

Britischer Premierminister Boris Johnson
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Schottland lehnt den von Johnson ausgehandelten Deal ab

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hatte zuvor gefordert, die Abgeordneten sollten gegen den „faulen Brexit, den Schottland die ganze Zeit abgelehnt hat“ stimmen. Der Brexit-Handelspakt, den Johnson mit der EU-Kommission vereinbart hatte, biete keine Vorteile, nur erhebliche Nachteile. Schottlands Stimme sei zu jedem Zeitpunkt ignoriert worden. Auch die nordirische Versammlung lehnte den Vertrag ab.

Der walisische Regierungschef Mark Drakeford nannte den Vertrag „enttäuschend“: „Für unsere Bürger bedeutet er längere Schlangen an Flughäfen, Visa für längere Reisen, teurere Mobilfunkkosten. Weniger Menschen aus der EU, die in unserem Gesundheits- und Sozialhilfewesen arbeiten und sich um Leute in Not kümmern“, sagte Drakeford. Wie Sturgeon warf er Johnsons Regierung „Kulturvandalismus“ vor, weil sie aus Erasmus aussteigt.

Österreich zufrieden mit Abkommen

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bedankte sich auf Twitter bei EU-Chefverhandler Michel Barnier für seine unermüdliche Arbeit. Auch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck begrüßte die Unterzeichnung des Abkommens. „Österreichische Firmen werden auch nach dem 31.12.2020 weiterhin eine bedeutende Rolle am Markt des Vereinigten Königreichs spielen“, so Schramböck. „Das Vereinigte Königreich ist und bleibt ein wichtiger Partner für uns in Europa – der Brexit ist ein Abschied, aber nicht das Ende langjähriger guter wirtschaftlicher Beziehungen.“