Menschenschlange vor einem Wahllokal
AP/Michael Holahan/The Augusta Chronicle
Showdown in Georgia

Nur zwei Sitze entscheiden über Bidens Stärke

Am Dienstag stellt der US-Bundesstaat Georgia die Weichen für Joe Bidens Gestaltungsspielraum als künftiger US-Präsident: Bei der Stichwahl um zwei Senatssitze geht es um die Mehrheit in der gesamten Kammer. Gleichzeitig ist der noch amtierende Präsident Donald Trump auf der Suche nach vermeintlich unterschlagenen Wählerstimmen – sein wohl letztes Gefecht im Weißen Haus.

Der Wahlkampf in Georgia ist Chefsache: Die große Bedeutung des Urnengangs ließ sowohl Trump als auch Biden am Montag noch in Georgia aufmarschieren, um Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Biden trat in Atlanta auf, Trump besuchte Dalton.

In Georgia geht es um zwei Senatssitze, die Bidens Schicksal als Präsident beeinflussen könnten. Dem Senat gehören 100 Senatorinnen und Senatoren an, jeweils zwei pro Bundesstaat. In den vergangenen Jahren hatten Trumps Republikaner eine Mehrheit von 53 zu 47 Senatoren. Nach der Wahl im vergangenen November verfügen die Demokraten im neuen Senat bisher über 48 Mandate, die Republikaner über 50. Holen Bidens Demokraten nun in Georgia beide Sitze, würden sie de facto in der Kammer die Oberhand gewinnen – und damit auch im gesamten Kongress. Denn bei einem Abstimmungspatt im Senat fiele der künftigen Vizepräsidentin Kamala Harris in der mit dem Amt verbundenen Rolle als Senatspräsidentin die entscheidende Stimme zu. So könnte Biden in hohem Tempo ein Gesetz nach dem anderen durchbringen.

Gewinnen die Republikaner hingegen nur eines der beiden Mandate in Georgia, behalten sie ihre Mehrheit im Senat und können politische Vorhaben blockieren. Denn große Reformvorhaben müssen beide Kongresskammern passieren. Außerdem benötigen Minister und andere wichtige Regierungsmitglieder eine Bestätigung durch den Senat.

Unbekannte Köpfe im Rampenlicht

Die Nachwahl um die zwei Senatsposten war nötig geworden, weil bei der Wahl im November kein Senatskandidat eine Mehrheit erreicht hatte. Bei der gleichzeitig stattfindenden Wahl zur Präsidentschaft hatte Biden im traditionell republikanisch gefärbten Südstaat knapp gewonnen – als erster Demokrat seit rund 30 Jahren. Das Ergebnis wurde später per Neuauszählungen und Überprüfungen bestätigt.

Trump drängt Georgia zur Änderung des Wahlergebnisses

Der amtierende US-Präsident Donald Trump hat einem Medienbericht zufolge in einem ungewöhnlichen Telefonat auf eine nachträgliche Änderung des Wahlergebnisses im Bundesstaat Georgia gedrängt.

Drei Kandidaten und eine Kandidatin rittern nun erbittert um die zwei offenen Mandate: für die Republikaner treten Kelly Loeffler und David Perdue an, für die Demokraten Jon Ossoff und Raphael Warnock – Namen, die außerhalb von Georgia auch in den USA bisher nahezu unbekannt waren. Nun gelangten ihre Wahlkämpfe zu ungeahnter Bedeutung. In Umfragen deutete sich zuletzt ein äußerst enges Rennen an. Die renommierte Analyseseite FiveThirtyEight sah einen geringen Vorteil für die Demokraten.

„Sie werden das Weiße Haus nicht erobern“

Auch an anderer Front steht Georgia derzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Trump steht kurz vor seinem Auszug aus dem Weißen Haus, Biden wird am 20. Jänner angelobt. Trotz der Tatsache, dass bisher alle Versuche Trumps, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zu drehen, scheiterten, wollen die Republikaner immer noch nicht aufgeben. „Sie werden das Weiße Haus nicht erobern, wir werden wie der Teufel kämpfen“, sagte Trump in Dalton. In seiner 83-minütigen Ansprache wiederholte er seine bekannten und unbelegten Wahlbetrugsvorwürfe.

Der Republikaner behauptete erneut, er habe die Wahl am 3. November klar gewonnen. Tatsächlich hat nach den offiziellen Ergebnissen aus den Bundesstaaten eindeutig Biden gesiegt. Trumps Lager ist mit Dutzenden Klagen gegen das Wahlergebnis gescheitert, auch vor dem Obersten Gericht der USA in Washington.

Trump rief Abgeordnete und Senatoren dazu auf, am Mittwoch Einspruch gegen die Zertifizierung der Ergebnisse der Präsidentenwahl aus einzelnen Bundesstaaten im Kongress einzulegen. Er machte deutlich, dass er dabei auch auf die Unterstützung von Vizepräsident Mike Pence baut. Pence steht dem Senat als Präsident vor und wird die gemeinsame Sitzung der beiden Kongresskammern am Mittwoch leiten. „Ich hoffe, dass unser großartiger Vizepräsident sich für uns einsetzt“, sagte Trump. „Er ist ein großartiger Kerl. Wenn er sich nicht einsetzt, werde ich ihn natürlich nicht ganz so sehr mögen.“

Verhängnisvoller Mitschnitt

Am Wochenende tauchte in US-Medien ein Gesprächsmitschnitt auf, laut dem Trump den Wahlleiter Georgias zur nachträglichen Veränderung des dortigen Präsidentschaftswahlergebnisses aufforderte.

Auf der Aufnahme ist Trump zu hören, wie er anscheinend Kabinettsminister Brad Raffensperger am Telefon bedrängt, genug Stimmen zu „finden“, um das dortige Wahlergebnis noch umzudrehen. „Die Menschen in Georgia sind wütend, die Menschen im Land sind wütend“, so Trump. Es sei nichts falsch daran, wenn Raffensperger einräume, dass bei Nachberechnungen ein neues Ergebnis herausgekommen sei. Wenn Raffensperger seiner Forderung nicht nachkomme, gehe er ein „großes Risiko“ ein, so der Mitschnitt. Raffensperger, ebenfalls Republikaner, gab sich unbeeindruckt. „Wir denken, dass unsere Zahlen richtig sind“, sagte er.

Die Veröffentlichungen der „Washington Post“ und anderer sorgte für große Empörung bei den Demokraten. Harris warf Trump „unverfrorenen und dreisten Machtmissbrauch“ vor, aus ihm spreche „die Stimme der Verzweiflung“. Die Demokraten verlangten auch Ermittlungen des FBI wegen möglicher Verstöße gegen Wahlgesetze.

Neue Initiative der Republikaner

Die Republikaner hingegen unterstützen Trump großteils weiter: So kündigte eine Gruppe von zwölf republikanischen Senatoren ihren Widerstand gegen die Bestätigung von Bidens Sieg durch den Kongress an. Bei einer Kongresssitzung am Mittwoch wollen sie nun die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fordern, der eine zehntägige Prüfung des Wahlergebnisses vornehmen soll. Die Vorwürfe zu „Betrug“ und „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl 2020 gingen über alles hinaus, „was wir bisher erlebt haben“, erklärte die Gruppe rund um den texanischen Senator Ted Cruz.

Bildmontage von Joe Biden und Donald Trump
APA/AFP/Mandel Ngan/Jim Watson (Montage)
Biden und Trump: Wahlkampf in Dauerschleife

Bei der gemeinsamen Sitzung des Repräsentantenhauses und des Senats soll das Wahlergebnis bestätigt werden. Dabei handelt es sich normalerweise um eine Formalität. Die Initiative der republikanischen Senatoren kann die endgültige Bestätigung von Bidens Sieg zeitlich verzögern, Aussichten auf Erfolg hat sie aber nicht. Dafür würden Mehrheiten in beiden Kongresskammern gebraucht. Im Repräsentantenhaus haben allerdings die Demokraten eine knappe Mehrheit. Als Vorsitzende wurde erneut Nancy Pelosi, mit der Trump einige politischen Sträuße ausfocht, gewählt.