Eine Frau sei am Mittwoch (Ortszeit) im Kongressgebäude von einem Polizisten angeschossen worden und später im Krankenhaus gestorben, sagte der Chef der Polizei in der US-Hauptstadt, Robert Contee, in der Nacht auf Donnerstag. „Darüber hinaus wurden heute drei weitere Todesfälle aus der Umgebung des Kapitols gemeldet. Eine erwachsene Frau und zwei erwachsene Männer scheinen an unterschiedlichen medizinischen Notfällen gelitten zu haben, die zu ihrem Tod führten.“
Contee machte keine Angaben dazu, wer die Frau war, die im Kapitol angeschossen wurde. „Das ist ein tragischer Vorfall, und ich spreche der Familie und den Freunden des Opfers mein Beileid aus“, sagte er. Der Vorfall werde intern von der Polizei untersucht. Unklar blieb auch, um welche medizinischen Notfälle es sich handelte. Bei den Randalierern handelte es sich um rechte und rechtsextreme Unterstützer Trumps.
14 Polizisten verletzt, Details zu Festnahmen
Contee sagte weiter, bei den Zusammenstößen seien mindestens 14 Polizisten verletzt worden, zwei davon schwer. Einer der Schwerverletzten sei von Demonstranten in die Menge gezogen und dort angegriffen worden. Der zweite habe erhebliche Gesichtsverletzungen erlitten, als er von einem Projektil getroffen worden sei.
Contee sagte, zwei Rohrbomben seien gefunden worden. In einem Fahrzeug seien außerdem Molotowcocktails entdeckt worden. Bis zum Abend habe die Polizei 52 Personen festgenommen – vier wegen verbotenen Waffenbesitzes und 47 wegen Verstoßes gegen die nächtliche Ausgangssperre, die um 18.00 Uhr (Ortszeit) in Kraft trat. Die Hälfte dieser Festnahmen sei auf dem Gelände des Kapitols erfolgt.
Auch das FBI teilte mit, es habe zwei mutmaßliche Sprengsätze entschärft. Auch aus anderen Städten wie Denver, Phoenix und Salt Lake City wurden Proteste gemeldet. Zu Ausschreitungen kam es aber offenbar nicht.
Kapitol inzwischen gesichert
Den Sicherheitskräften ist es inzwischen gelungen, das Kapitol zu räumen. Das berichtete die Nachrichtenagentur AP am Mittwoch unter Berufung auf zuständige Beamte. Rund vier Stunden nach dem Beginn des Angriffs wurden die letzten militanten Trump-Anhänger und -Anhängerinnen aus dem Gebäude entfernt. Auch die Nationalgarde des Hauptstadtbezirks sei mobilisiert worden, um Sicherheitskräfte des Bundes zu unterstützen, wie das Pentagon mitteilte.
Videos in Sozialen Netzwerken zeigten, wie die Demonstrierenden das Kapitol verließen. „Wir haben es geschafft“, „wir werden nicht aufgeben“ und „das nächste Mal, wenn wir zurückkommen, werden wir nicht friedlich sein“, sind nur einige der Sätze, die die Demonstranten beim Verlassen in die Kameras schrien.
„Wir werden nicht nachgeben“
Auf Bildern des Senders CNN war zu sehen, wie Demonstranten zuvor Fensterscheiben zerschlugen und sich so Zugang zum Gebäude verschafften. Auf einem anderen Bild posierte ein Demonstrant im geräumten Senatssaal mit erhobener Faust auf dem Platz des Kammervorsitzenden. Ein weiterer Eindringling legte die Füße auf den Schreibtisch der demokratischen Repräsentantenhaus-Vorsitzenden Nancy Pelosi und hinterließ einen Zettel mit der Botschaft „Wir werden nicht nachgeben“ („We won’t back down“).

FBI sammelt Hinweise zu Teilnehmern
Das FBI richtete eine Website für Hinweise auf Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol ein. Die US-Bundespolizei bietet dort die Möglichkeit, Videos und Fotos von Straftaten hochzuladen. Die Ermittler können bereits darüber hinaus auf eine Fülle von belastendem Material aus erster Hand zurückgreifen: Trump-Anhänger, die zumeist keine Masken getragen hatten, hatten in Sozialen Netzwerken selbst zahlreiche Fotos und Videos veröffentlicht.
Die Bürgermeisterin von Washington, Muriel Bowser, verhängte bis Donnerstagfrüh eine nächtliche Ausgangssperre. Der ausgerufene Notstand solle um 15 Tage bis einen Tag nach der Inauguration von Biden verlängert werden.
Kongress bestätigt Biden-Sieg
Trotz der Ereignisse setzte der US-Kongress die zuvor begonnene und zwischenzeitlich unterbrochene Zertifizierung des Präsidentschaftswahlergebnisses noch im Laufe des Mittwochabends (Ortszeit) fort und bestätigte den Sieg des Demokraten Biden bei der Präsidentschaftswahl vom 3. November formell. Biden sei mit den Stimmen von 306 Wahlleuten zum Nachfolger von Trump bestimmt worden, sagte Vizepräsident Mike Pence am Donnerstag vor den Mitgliedern des Senats und des Repräsentantenhauses.
Trump-Anhänger stürmen Kapitol
Nach dem Ansturm Hunderter Unterstützer von US-Präsident Donald Trump auf das Kapitol in Washington wurde der Parlamentssitz der Nachrichtenagentur AP zufolge abgeriegelt.
Zuvor scheiterten einige Republikaner wie erwartet mit ihrem Versuch, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl im Bundesstaat Arizona zu kippen. Lediglich sechs Senatoren unterstützten die Einwände, 93 stimmten dagegen. Auch ein weiterer Einspruch gegen das Resultat aus dem Bundesstaat Pennsylvania scheiterte.

Pence: „Gewalt siegt nie“
Vizepräsident Mike Pence verurteilte die Erstürmung und sagte bei der Wiedereröffnung der Senatssitzung: „So wie wir uns in dieser Kammer wieder zusammenfinden, wird die Welt erneut Zeugin der Widerstandsfähigkeit und Stärke unserer Demokratie. An jene, die heute Chaos und Verwüstung in unser Kapitol gebracht haben: Ihr habt nicht gewonnen“, fuhr Pence fort. „Gewalt siegt nie, Freiheit siegt. Und das ist immer noch das Haus des Volkes.“
Vor Beginn der dann unterbrochenen Kongresssitzung hatte Pence erstmals angekündigt, die Bestätigung von Bidens Wahlsieg nicht blockieren zu wollen. Das verbiete die Verfassung, sagte er. Zuvor hatte Trump seinen Vize in einer Rede vor den Demonstranten in Washington aufgefordert, die Wahlzertifizierung zu verhindern. Seine Anhänger rief der scheidende Präsident zum Protest gegen den Ausgang der Wahl am 3. November auf.

Trump: „Sie müssen jetzt nach Hause gehen“
Trump wandte sich in einem Video an die Demonstranten als sich diese noch im Kapitol aufhielten: „Sie müssen jetzt nach Hause gehen. Wir brauchen Frieden.“ Er wiederholte aber auch den unbestätigten Vorwurf der Wahlfälschung. „Diese Wahl wurde mir, wurde uns gestohlen.“ Er verstehe den Ärger der „guten Menschen“, aber „wir müssen Frieden haben, wir müssen Recht und Ordnung haben“ und die Sicherheitskräfte respektieren, sagte Trump in einer auf Twitter verbreiteten Videobotschaft. Twitter schränkte indes die Verbreitung, Likes sowie Antworten auf Trumps Video ein. In einem Hinweis unter dem Tweet wird das „mit der Gefahr von Gewalt“ begründet.
Trumps zweischneidiger Appell an Protestierende
Der noch amtierende US-Präsident Donald Trump rief die Demonstranten vor und im Kapitol zu friedlichem Verhalten auf.
Twitter sperrt Trumps Konto für zwölf Stunden
Kurz darauf schrieb er jedoch: „Dies sind die Dinge und Ereignisse, die passieren, wenn ein heiliger Erdrutsch-Wahlsieg so kurzerhand und bösartig großen Patrioten entzogen wird, die so lange schlecht und ungerecht behandelt wurden. Geht mit Liebe und in Frieden nach Hause. Erinnert euch für immer an diesen Tag!“

Auf Twitter wurde der Beitrag mittlerweile entfernt und Trumps Konto wegen Verstöße gegen die Richtlinien für zwölf Stunden gesperrt. Sollte Trump sie nicht entfernen, werde das Konto dauerhaft gesperrt bleiben, erklärte das Unternehmen. Facebook blockierte Trump-Postings für 24 Stunden.
Biden verurteilt Ereignisse
Biden verurteilte die Ereignisse scharf. „Zu dieser Stunde wird unsere Demokratie beispiellos angegriffen. Ich bin wirklich schockiert und traurig, dass unsere Nation – so lange Leuchtfeuer und Hoffnung für Demokratie – an so einem dunklen Moment angekommen ist.“ Die Gewalt müsse enden, so Biden. „Das Kapitol zu stürmen, Fenster einzuschlagen, Büros zu besetzen, den Senat der Vereinigten Staaten zu besetzen, durch die Schreibtische des Repräsentantenhauses im Kapitol zu stöbern und die Sicherheit ordnungsgemäß gewählter Beamter zu bedrohen ist kein Protest“, sagte Biden, „es ist Aufruhr.“

Er habe schon oft in anderen Zusammenhängen gesagt, dass die Worte eines Präsidenten Gewicht haben – egal wie gut oder schlecht dieser Präsident ist. Biden forderte Trump auf, sich in einer Fernsehansprache an das Volk zu wenden. Trump müsse seinem Eid nachkommen und die Verfassung verteidigen, sagte Biden. „Also, Präsident Trump, treten Sie vor!“
„Historisch außergewöhnliche Ereignisse“
ORF-Auslandschef Andreas Pfeifer analysiert die Vorfälle in Washington.
Biden fuhr fort: „Die Szenen des Chaos am Kapitol spiegeln nicht das wahre Amerika wider, stehen nicht für das, wer wir sind.“ Es handle sich um eine kleine Zahl an Extremisten, die sich der Gesetzlosigkeit verschrieben hätten. „Ich rufe diesen Mob auf, sich zurückzuziehen und die Arbeit der Demokratie voranschreiten zu lassen.“
Sender: Regierungsmitglieder erwägen Absetzung Trumps
Mehreren US-Sendern zufolge beraten hochrangige Mitglieder der scheidenden US-Regierung indes über eine mögliche Absetzung Trumps durch sein eigenes Kabinett. Nach Informationen der US-Sender CNN, CBS und ABC sollen sich diese Überlegungen auf einen Zusatzartikel zur US-Verfassung stützen, der die Entmachtung des Präsidenten durch das Kabinett grundsätzlich erlaubt.

Als Voraussetzung wird im „25th Amendment“ genannt, dass der Präsident „unfähig" ist, die Pflichten und Vollmachten seines Amtes auszuüben“. Kriterien für diese „Unfähigkeit“ sind nicht definiert, gemeint sind generell physische oder mentale Beeinträchtigungen. Laut dem Verfassungszusatz muss der Vizepräsident die Kabinettsabstimmung zur Entmachtung des Präsidenten leiten.
Die im „25th Amendment“ vorgesehene Prozedur zur Absetzung des Präsidenten ist allerdings kompliziert – käme sie tatsächlich ins Rollen, könnte sie noch gar nicht abgeschlossen sein, bevor Trumps Amtszeit ohnehin endet. Ein weiteres Amtsenthebungsverfahren hatten zuvor unter anderen die demokratische Kongressabgeordnete Ilhan Omar und ihre Kolleginnen Carolyn Bourdeaux (Republikaner) und Alexandria Ocasio-Cortez (Demokraten) gefordert.
Berichte über erste Rücktritte
Nach mehreren Spitzenbeamten trat Medienberichten zufolge auch der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater des Präsidialamtes, Matt Pottinger, im Zuge der Ausschreitungen zurück. Pottinger war maßgeblich für die China-Politik von Präsident Trump verantwortlich. Der Nationale Sicherheitsberater Robert O’Brien erwäge ebenfalls seinen Rücktritt, sagten Insider zu Reuters. Die Stabschefin von First Lady Melania Trump und frühere Sprecherin des Weißen Hauses, Stephanie Grisham, legte ihr Amt ebenso nieder wie Trumps ehemaliger Stabschef Mick Mulvaney seinen Posten als Nordirland-Beauftragter.