Polizisten und Demokratie-Aktivist in Hongkong
Reuters/Lam Yik
Muskelspiele

China nutzt geopolitische Lücke

Im geopolitischen Ringen der Großmächte hat China aktuell ein leichtes Spiel. Das liegt einerseits an der verhältnismäßig guten CoV- und Wirtschaftslage, aber auch an den gravierenden innenpolitischen Problemen und der konfliktreichen Übergabe des Präsidentenamts in den USA. In den vergangenen Wochen diente dieses Vakuum China als Gelegenheit für eine Reihe an Machtdemonstrationen, die sich nicht nur auf das Ausland beschränken.

Zuletzt nutzte China auch die Ausschreitungen im US-Kapitol für seine innenpolitischen Interessen. Peking wünsche den USA, dass sie zu „Frieden, Stabilität und Sicherheit“ zurückkehren könnten, teilte eine Sprecherin des Außenministeriums mit. Gleichzeitig zog sie Parallelen zwischen dem Sturm auf den Kongress und den Unabhängigkeitsprotesten in Hongkong, welche sich für den Erhalt der vertraglich zugesicherten demokratischen Rechte der Finanzmetropole einsetzen.

Die Sprecherin kritisierte, dass die Hongkong-Proteste und der Sturm auf das Kapitol international anders bewertet würden. Zudem verwies sie darauf, dass ähnliche Proteste in Hongkong sogar „heftiger“ gewesen seien, trotzdem habe es dort im Gegensatz zu den USA keine Toten gegeben. Beobachter werteten das Statement nicht nur als Seitenhieb auf die Stabilität der USA, sondern auch als Gelegenheit, Chinas Vorgehen in Hongkong zu rechtfertigen.

Massenfestnahme in Demokratiebewegung

Hongkong gilt als eine der heiklen Fragen zwischen China und der internationalen Gemeinschaft, seitdem Peking mit seinem „Sicherheitsgesetz“ das eigentlich autonome Hongkong seit Monaten an die Zügel nimmt. Bezeichnenderweise kam es dort am Dienstag zum härtesten Schlag gegen die Opposition seit Monaten. Die Polizei nahm am Mittwoch mehr als 50 bekannte demokratische Aktivisten und Aktivistinnen sowie ehemalige Abgeordnete fest. Auch ein US-Anwalt wurde festgenommen.

Zudem wurde die Wohnung von Joshua Wong durchsucht, der bereits wegen der illegalen Organisation eines Protests im Gefängnis sitzt. Wong drohen zudem weitere Strafen, eine vorzeitige Entlassung wurde ihm verweigert. Wong ist einer der bekanntesten Hongkonger Aktivisten. Auch der regierungskritische Hongkonger Medienmogul Jimmy Lai musste nach einem Urteil des obersten Gerichts wieder in Haft, nachdem er auf Kaution entlassen worden war.

Demokratie-Aktivist wird in Hongkong festgenommen
Reuters/Tyrone Siu
Auch der in den USA geborene Aktivist Lester Shum gehört zu den Festgenommenen

In den USA meldeten sich sowohl die aktuelle als auch die künftige Regierung zu Wort. Die USA würden „nicht untätig bleiben, während die Menschen in Hongkong unter kommunistischer Unterdrückung leiden“, sagte der aktuelle Außenminister Mike Pompeo. Sein designierter Nachfolger Antony Blinken nannte die Massenfestnahme einen „Angriff auf jene, die tapfer für universelle Rechte eintreten“. Doch angesichts der zahlreichen Baustellen in den USA und der schwierigen Amtsübergabe dürfte sich der tatsächliche politische Spielraum derzeit in Grenzen halten.

„Babymaschinen“: Aufregung über Botschafts-Tweet

Das dürfte China bewusst sein – zumindest deutet die Häufung an kleinen und größeren Offensiven aus Peking darauf hin. Für Aufregung sorgte am Mittwoch etwa ein Tweet der chinesischen Botschaft in den USA. Diese teilte einen Artikel der staatlichen englischsprachigen Zeitung „China Daily“, in der die „Auslöschung des Extremismus“ in der von der uigurischen Minderheit bewohnten autonomen Region Xinjiang gelobt wurde. Laut dem Artikel habe diese laut einer Studie zur Emanzipation der Frauen beigetragen.

Die Botschaft schrieb, dass die „Auslöschung des Extremismus“ zu einer „größeren Geschlechtergleichheit und einer besseren Reproduktionsgesundheit“ geführt habe. Die Frauen seien „keine Babymaschinen mehr“. Der Tweet sorgte für Entsetzen und scharfe Kritik, denn gegen China gibt es seit Jahren schwere Vorwürfe wegen der Behandlung der Uiguren und anderen muslimischen Minderheiten. Schätzungen zufolge befindet sich bis zu einer Million Menschen in Umerziehungs- und Zwangsarbeitslagern, auch von Zwangssterilisationen ist die Rede.

Menschen in einem Lager in Xinjiang
AP/Ng Han Guan
Dieses Foto aus 2018 soll laut geleakten Unterlagen eines der Lager in Xinjiang zeigen

WHO-Mission blockiert

Für Streit könnte zudem noch sorgen, dass China nach wie vor eine Mission der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Erkundung der Ursprünge des Coronavirus blockiert. Am Dienstag hatte China in letzter Minute einer WHO-Delegation eine Absage erteilt – angeblich aufgrund fehlender Einreisepapiere. Später machte die Regierung deutlich, dass sich die WHO-Mission nicht aus rein bürokratischen Gründen verzögert. Die anhaltende Prüfung gehe über Visafragen hinaus, sagte die Außenamtssprecherin. Die Gespräche „über das genaue Datum und die genaue Gestaltung des Besuchs der Expertengruppe“ würden fortgesetzt.

„Die Pandemie in der Welt ist noch sehr schlimm, und auch China tut sein Möglichstes, um ihr vorzubeugen und sie in den Griff zu bekommen“, hieß es. Tatsächlich war auch die Volksrepublik zuletzt erneut mit einem größeren Ausbruch des Coronavirus konfrontiert und riegelte zwei Millionenstädte ab. Allerdings sieht sich China auch international mit Vorwürfen konfrontiert, es wolle eine Verantwortung für den Ausbruch der Pandemie vertuschen. Die politische Brisanz der Mission wurde auch dadurch deutlich, dass sich die WHO öffentlich nicht zum genauen Termin und zu den Aufgaben des Expertenteams äußerte.

Jack Ma weiter verschwunden

Aber auch nach innen scheint Peking derzeit eine große Machtdemonstration durchzuführen. Wie bereits seit geraumer Zeit bekannt, scheint Tech-Milliardär und Alibaba-Gründer Jack Ma von der Bildfläche verschwunden zu sein. Mehrere internationale Medien berichteten über die ungewöhnliche Abwesenheit des reichsten Mannes Chinas. Weder sei Ma in den vergangenen acht Wochen öffentlich aufgetreten, noch habe er Nachrichten in Sozialen Netzwerken abgesetzt. Der Fall erinnert an die prominente Schauspielerin Fan Bingbing, die monatelang verschwand – im Nachhinein hieß es, sie sei wegen eines Steuerdelikts im „Hausarrest“ gewesen.

Jack Ma
Reuters/Arnd Wiegmann
Milliardär Jack Ma wurde seit geraumer Zeit nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen

Mas Alibaba gehört zu den einflussreichsten Konzernen und bietet Dienstleistungen für die verschiedensten Lebensbereiche an. Finanzmedien berichteten dazu, dass Chinas Führung die stark gewachsene Marktmacht privater chinesischer Tech-Firmen eindämmen will – das zeigte sich auch dadurch, dass der erwartete Börsengang von Mas Finanzgesellschaft Ant Group im letzten Moment von Chinas Aufsichtsbehörden blockiert worden war. Die chinesischen Regulierer leiteten eine Untersuchung wegen möglicher „monopolistischer Praktiken“ des Konzerns ein.

Nun berichtete die „Financial Times“, dass die chinesische Staatsführung eine strikte Zensur von Medienberichten über das Kartellverfahren gegen Alibaba gefordert haben soll. Medien sollten die staatliche Linie streng einhalten, keine Änderungen in den Berichten vornehmen oder ohne Erlaubnis breitere Analysen veröffentlichen, hieß es in dem Bericht unter Berufung auf eine Direktive. Diese Anweisung zeige, dass die Causa Alibaba sich zu einer Angelegenheit nationaler politischer Bedeutung entwickle.