Sicherheitskräfte vor dem Kapitol
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Vor Angelobung in USA

Sorge vor neuen Ausschreitungen wächst

Der Schreck über den Sturm auf das Kapitol in Washington sitzt bei vielen Menschen in den USA noch tief. In weniger als zwei Wochen findet dort die Angelobung des neuen Präsidenten Joe Biden statt. Die Sorge, es könnte wieder zu Krawallen und Gewalt kommen, ist groß. Experten warnen wegen vermehrter Aufrufe extremistischer Gruppen im Netz.

Für einige Trump-Fans dürfte die Erstürmung des Kapitols in der US-Hauptstadt ein Erfolg gewesen sein, sagte der Cybersecurity-Forscher John Scott-Railton gegenüber CNN. „Während die breite Öffentlichkeit bestürzt war über die Geschehnisse vom Mittwoch, wird in bestimmten Rechtsaußenecken das, was passiert ist, als Erfolg bewertet.“ Wegen der am 20. Jänner in Washington anstehenden Angelobung Bidens sei er „schrecklich besorgt“.

Expertinnen und Experten warnen vor der Gefahr, Ähnliches könne sich bei der Zeremonie wiederholen. Die Aufrufe zur Gewalt hätten im Vorfeld des Inauguration Day noch zugenommen, so CNN am Samstag. „Wir erwarten stark, dass diese Gewalt schlimmer wird, bevor die Lage sich wieder beruhigt“, so Jonathan Greenblatt von der Anti Defamation League, einer Organisation gegen Hass und Extremismus. „Es gibt Gespräche unter diesen rechten Extremisten – sie fühlen sich gerade ermutigt.“

Die feierliche Amtseinführung des Präsidenten findet traditionell an der Westseite des Kapitols auf den Stufen zum Parlament unter freiem Himmel statt. Für die Sicherheit bei der Inauguration ist eine Vielzahl von Institutionen zuständig. Bei der Angelobung des nun scheidenden Präsidenten Donald Trump 2017 war ein Großaufgebot von Polizei, Militär und Geheimdiensten im Einsatz. Insgesamt wird die Zahl der Sicherheitsleute damals mit 28.000 angegeben.

Warnungen ignoriert

Bei der Erstürmung des Kapitols am Mittwoch war die zuständige Capitol Police, eine rund 2.300 Personen starke Truppe, überrascht und überfordert. Man hatte sich offenbar nur auf übliche Proteste eingestellt und auch Warnungen nicht ernst genommen. Die Capitol Police hatte zunächst allein versucht, sich gegen die Randalierer zu stellen. Nennenswerte Verstärkung wurde erst spät mobilisiert.

Auch vor der Sitzung des Kongresses am Mittwoch hatte es schon länger im Vorfeld in Sozialen Netzwerken Drohungen gegeben. Allein auf dem Kurznachrichtendienst Twitter fänden sich etwa seit Jahresbeginn über 1.400 Posts aus dem Umfeld von Anhängern der QAnon-Verschwörungstheorie, die sich auf die Demonstration und mögliche Aufrufe zur Gewalt bezögen, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der US-Sicherheitsbehörden.

Sturm auf US-Kapitol wird aufgearbeitet

Die Lage in den USA hat sich nach dem Sturm auf das Kapitol weitgehend beruhigt. Aktuell werden die Kapitol-Stürmer ausgeforscht und festgenommen. Unterdessen wurde auch der Twitter-Account von Donald Trump gesperrt.

Nach den Ereignissen vom Mittwoch wurden mehrere Personen inzwischen festgenommen. Am Samstag wurde Jacob C. aus Arizona festgenommen, wie die Staatsanwaltschaft in Washington mitteilte. Er stach bei der Erstürmung ins Auge: Bilder des Mannes mit dem Kopfschmuck aus Fell und Hörnern, dem angemalten Gesicht, dem nackten Oberkörper und dem Speer mit US-Flagge in der Hand gingen um die Welt. Bereits am Freitag hatte das Justizministerium die Festnahme von Richard B. aus Arkansas vermeldet. Bei ihm soll es sich um den Mann handeln, der sich mit einem Fuß auf dem Schreibtisch stolz im Sessel der Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, fotografieren ließ.

Twitter sperrt Trumps Konto

Trump wird vorgeworfen, seine Unterstützer vor dem Sturm auf das Kapitol angestachelt zu haben. Laut Twitter geht vom scheidenden Präsidenten ein „Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt“ aus. Am Freitag (Ortszeit) sperrte das kalifornische Unternehmen seinen Twitter-Account dauerhaft. Die Entscheidung sei nach einer „gründlichen Prüfung“ seiner jüngsten Tweets gefallen, hieß es in einer Erklärung des Unternehmens. Konkret sei es um zwei Beiträge vom Freitag gegangen. In einem der Tweets hatte sich Trump trotz des Sturms auf das Kapitol ausdrücklich hinter alle seine Anhänger gestellt.

Im zweiten Tweet hatte er angekündigt, der Vereidigung Bidens entgegen jeder Tradition fernzubleiben. Die Beiträge widersprächen den Richtlinien des Unternehmens gegen die Verherrlichung von Gewalt, erklärte Twitter. Das Unternehmen sperrte auch das Konto @TeamTrump, das vom Wahlkampfteam des Republikaners gepflegt worden war.

Trump bringt eigene Plattform ins Spiel

Trump verurteilte die Sperrung seines privaten Twitter-Kontos, indem er sich über einen dritten, den offiziellen Account des US-Präsidenten, an seine Anhänger richtete: „Heute Abend haben sich Twitter-Mitarbeiter mit Demokraten und der radikalen Linken zusammengetan, um mein Konto von ihrer Plattform zu entfernen, um mich und euch 75 Millionen großartiger Patrioten, die mich gewählt haben, zum Schweigen zu bringen.“

Trump kündigte an, man sei mit mehreren anderen Websites in Verhandlung und ziehe auch den Aufbau einer eigenen Plattform in der nahen Zukunft in Betracht. Twitter entfernte den Beitrag umgehend. Am Donnerstag hatte bereits Facebook angekündigt, Trumps Konto auf unbestimmte Zeit zu sperren. Zur Begründung gab Facebook-Chef Mark Zuckerberg an, dass Trump den Onlinedienst genutzt habe, um „einen gewaltsamen Aufstand gegen eine demokratisch gewählte Regierung anzustiften“.

Weichen für „Impeachment“ am Montag

Die Demokraten treiben inzwischen ihr Vorhaben, Trump am Ende seiner Amtszeit abzusetzen, voran. Pelosi forderte auch strafrechtliche Konsequenzen. „Leider ist die Person, die die Exekutive führt, ein gestörter, verwirrter, gefährlicher Präsident der Vereinigten Staaten“, sagte die Demokratin in einem vorab veröffentlichten Auszug eines Interviews des Senders CBS. „Und es sind nur noch ein paar Tage, bis wir vor ihm geschützt werden können. Aber er hat etwas so Schwerwiegendes getan, dass er strafrechtlich verfolgt werden sollte.“ Pelosi forderte den sofortigen Rücktritt Trumps und drohte mit einem erneuten Amtsenthebungsverfahren. Demokratische Abgeordnete bereiteten einen entsprechenden Resolutionsentwurf vor, mit dem Trump wegen „Anstiftung zum Aufruhr“ angeklagt werden soll.

Trump-Anhänger im Kapitol
AP/Manuel Balce Ceneta
Chaotische Szenen: Beim Sturm auf das Kapitol drangen Randalierer ins Gebäude ein. Der Mann mit den Hörnern wurde inzwischen festgenommen.

Die Resolution soll am Montag eingebracht werden. Der demokratische Kongressabgeordnete Ted Lieu sagte dem Sender CNN am Samstag (Ortszeit): „Wir erwarten eine Abstimmung im Plenum in der kommenden Woche.“ Lieu ist Koautor des Resolutionsentwurfs, in dem ein einziger Anklagepunkt gegen Trump aufgeführt ist: „Anstiftung zum Aufruhr“.

In dem von den Demokraten beherrschten Repräsentantenhaus gilt eine Zustimmung zur Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens als sicher. Entschieden würde das Verfahren allerdings im US-Senat. Dass es dort noch vor Bidens Vereidigung abgeschlossen werden könnte, ist quasi ausgeschlossen.

Nächste Senatssitzung erst einen Tag vor Angelobung

Der Senat kommt zu seiner nächsten regulären Sitzung erst am 19. Jänner zusammen. Aus einem von der „Washington Post“ verbreiteten Memorandum des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Mitch McConnell, geht hervor, dass das Verfahren nach den geltenden Regeln frühestens am 20. Jänner um 13.00 Uhr beginnen könnte – eine Stunde nach Bidens Vereidigung und Trumps Ausscheiden aus dem Amt.

Die Demokraten im Kongress dürften mit dem Verfahren ein anderes Ziel verfolgen: Sollte Trump im Senat auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt schuldig gesprochen werden, könnte er mit einem Verbot belegt werden, öffentliche Ämter des Bundes zu bekleiden – damit wäre ihm eine Kandidatur zur Präsidentenwahl 2024 verwehrt.

Selbstbegnadigung im Gespräch

Ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen Trump wäre ein historischer Moment. Noch nie in der US-Geschichte musste sich ein Präsident zweimal einem solchen Verfahren stellen. Gegen Trump hatten die Demokraten bereits Ende 2019 in einer anderen Angelegenheit wegen Machtmissbrauchs und Behinderung des Kongresses ein Impeachment auf den Weg gebracht. Der Senat sprach den Republikaner aber im Februar 2020 frei.

Trump genießt als Präsident Immunität vor Strafverfolgung. Diese Immunität endet aber mit seiner Amtszeit. US-Medien berichteten, dass Trump nach der Wahl vom 3. November mehrfach mit Beratern darüber diskutiert habe, sich selbst zu begnadigen. Die Selbstbegnadigung eines Präsidenten wäre ein Novum. Es ist umstritten, ob ein solcher Schritt rechtlich zulässig wäre. Die US-Verfassung schließt eine Selbstbegnadigung nicht ausdrücklich aus.