Autorin Patrica Highsmith
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100. Geburtstag

Die düsteren Seiten der Patricia Highsmith

Eine Meisterin psychologisch raffinierter Krimis, eine Pionierin lesbischer Literatur – aber auch: eine „nicht sehr nette“ Person. Patricia Highsmith wäre dieser Tage 100 Jahre alt geworden. Im Herbst erscheinen nun in neun Ländern gleichzeitig ihre Tagebücher. Sie geben Zeugnis von einer menschenscheuen, depressiven und antisemitischen Exzentrikerin, deren Innenleben stark auf ihre Literatur abgefärbt haben soll.

Als eines der „literarischen Highlights des Jahres“ feiert die französische „Le Monde“ bereits jetzt die Tagebücher der US-Amerikanerin. Die für September oder Oktober angekündigte Veröffentlichung beruht auf den Aufzeichnungen, die kurz nach ihrem Tod 1995 in ihrem Haus im Schweizer Tessin gefunden wurden, entdeckt von ihrer langjährigen Lektorin Anna von Planta: 8.000 Seiten in 56 Notizbüchern, versteckt von Highsmith in einem Wäscheschrank, unter Bettwäsche und Handtüchern.

Von Planta fungiert nun auch als Herausgeberin dieses „ungeschönten Blicks“ auf das Leben der „Queen of Crime“: Mit „Zwei Fremde im Zug“ (1950), „Der talentierte Mr. Ripley“ (1955), „Der Schrei der Eule“ (1962) und knapp zwanzig weiteren Romanen setzte die 1921 als Mary Patricia Plangman in Texas Geborene neue Maßstäbe in der Suspense-Literatur.

Lässige Mörder ohne Gewissen

Die Identifikationsfiguren, das waren bei Highsmith nicht selten junge Männer, die sich hinter einer gepflegten Fassade als Psychopathen und Neurotiker entpuppten – allen voran der lässige Mörder Ripley, dem sie gleich fünf Bände widmete. Begriffe von Moral, Ethik und Gerechtigkeit stellte ihr Werk grundsätzlich auf den Kopf – so radikal, dass Alfred Hitchcock („Zwei Fremde im Zug“, 1951) und Rene Clement (die „Ripley“-Adaption „Nur die Sonne war Zeuge“, 1959) in ihren Verfilmungen das Ende umschrieben und das Gute doch über das Böse triumphieren ließen.

Szene der Films „Der talentierte Mr. Ripley“ mit Gwyneth Paltrow, Jude Law und Matt Damon
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Mit „Der talentierte Mr. Ripley“ – zuletzt verfilmt 1999 mit Matt Damon in der Hauptrolle – wurde Patricia Highsmith weltberühmt

Ihr Werk wirke „mit jedem Jahr moderner“, schrieb einmal die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, und auch in der Darstellung lesbischer Liebe war Highsmith ihrer Zeit voraus: Der 1952 unter Pseudonym veröffentlichte Roman „Salz und sein Preis“ gilt als die erste Literarisierung des Themas, die nicht tragisch endete, zu einer Zeit, als schwule und lesbische Fiktionen noch als skandalös galten.

Anorektisch, depressiv, misanthropisch

„Kein Schriftsteller würde sein verborgenes Leben preisgeben. Es wäre wie nackt in der Öffentlichkeit stehen“, schrieb Highsmith 1940 in einem Brief. Ein Leben also, das nun, mit der Veröffentlichung der Tagebücher, gegen den ausdrücklichen Wunsch der Autorin an die Öffentlichkeit gezerrt wird? Nicht ganz. Dass Highsmith mit Interesse an ihren Notizen gerechnet hatte, darauf deuten ihre Anweisungen hin, die sie für eine Überarbeitung hinterließ, wie Herausgeberin von Planta kürzlich im Interview mit der „New York Times“ (NYT) ausführte – etwa die Streichung von Doppelungen.

Genau genommen ist es der erste unverstellte Blick, den Leserinnen und Leser bald auf Highsmiths Gedankenwelt werfen können – auf ihre „Reflexionen über ihre kreativen Bestrebungen, ihre turbulenten Liebesbeziehungen und ihre Faszination für die psychologischen Grundlagen von Gewalt“, so von Planta gegenüber der „NYT“. Ganz Neues wird man vermutlich nicht erfahren, denn einige Biografien arbeiteten bereits mit den Archivalien, zuletzt Joan Schenkars „Die talentierte Mrs. Highsmith“ (2015). Der erste Satz: „Sie war nicht nett.“

Highsmith sei, so Schenkar, anorektisch, depressiv und misanthropisch gewesen, sie rauchte und trank schon in frühester Jugend – nach einer unglücklichen Kindheit zwischen New York und Texas. 1964 emigrierte sie nach Europa, nach Stationen in England und Frankreich baute sie sich 1988 eine Art Hochsicherheitstrakt im Tessin, wo sie ihre letzten zehn Jahre in großer Einsamkeit verbrachte, nur in Gesellschaft von Katzen.

Autorin Patrica Highsmith in jungen Jahren
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Patricia Highsmith als 27-Jährige

„Autorin der unbestimmten Beklemmung“

Erfüllung fand sie eher im Schreiben als in ihren klandestinen Liebesbeziehungen: Highsmith hatte zunächst sogar versucht, sich, wie sie einmal festhielt, „in die Verfassung zu bringen, heiraten zu können“, ehe sie die Unterdrückung anprangerte, mit der sie als lesbische Frau konfrontiert war: Sie schäme sich „nicht im Geringsten“ für ihre Homosexualität.

Die Tagebuchaufzeichnungen sollen nicht zuletzt nun Aufschluss über das geben, was von Planta als die „dünkleren Aspekte ihrer Persönlichkeit und Ansichten“ nennt: ihre frauenfeindlichen Züge und ihren Hass auf Schwarze und Juden. Wie schon Schenkars Biografie darlegte, pflegte Highsmith antisemitische Ressentiments und imaginierte einen „globalen jüdischen Einfluss“. Von Planta kündigte in der „NYT“ eine zensurfreie Wiedergabe an: Verdichtet auf 650 Seiten wolle sie zeigen, „wie Patricia Highsmith zu dem wurde, was sie war“.

Wer schon zuvor Neues von der „Autorin der unbestimmten Beklemmung“, wie sie Graham Greene bezeichnete, erleben will: Im August soll die schon 2020 fertiggestellte Neuverfilmung von „Tiefe Wasser“ in die Kinos kommen, mit Ben Affleck als gerissen mordendem Ehemann.