Intensivstation im Milton Keynes University Hospital
Reuters/Toby Melville
Weltweit höchste Todesrate

CoV-Lage in Großbritannien „bedrückend“

Die weltweit höchste Todesrate, Busse, die zu Krankenwagen umfunktioniert werden, und ein Lockdown, der die Ausbreitung kaum zu stoppen vermag – die Coronavirus-Lage in Großbritannien ist angespannt, die Krankenhäuser sind stark unter Druck. Das bestätigte auch ein Arzt eines der größten Londoner Krankenhäuser im Gespräch mit ORF.at. Doch es gebe „Licht am Ende des Tunnels“.

Mit mehr als 93.000 Todesfällen verzeichnet das Land derzeit relativ zur Bevölkerung die weltweit höchste Anzahl von Coronavirus-Toten. Je nach Berechnung beläuft sich diese Zahl auch auf 96.000. Und: Da diese Zahlen immer mit einiger Verspätung gemeldet werden, wird auch schon von rund 108.000 Toten ausgegangen.

„Im Moment ist die Situation in den Kliniken sehr angespannt, gestern wurde die höchste Zahl an innerhalb von 24 Stunden mit Covid-19 Verstorbenen seit Beginn der Pandemie angegeben, über 1.800. Das ist schon bedrückend“, so Holger Auner gegenüber ORF.at. Der Österreicher arbeitet als Onkologe am Londoner Imperial College – derzeit verabreicht er aber auch Coronavirus-Impfungen.

Britischer Premierminister Boris Johnson
AP/Kirsty Wigglesworth
Die Zahlen seien „entsetzlich“ und „es wird noch mehr werden“, warnte Premier Boris Johnson

Johnson: „Es wird noch mehr werden“

Premierminister Boris Johnson sprach am Mittwochabend von „entsetzlichen“ Zahlen. In einer Videobotschaft bereitete er das Land zugleich auf Schlimmeres vor. „Es wird noch mehr werden“, sagte der Premier. Grund sei eine Infektionswelle vor Weihnachten mit der neuen, noch ansteckenderen Virusvariante, die sich rasend schnell im Landesteil England ausgebreitet hatte. Diese sei nun in allen Teilen des Landes angelangt. Laut WHO wurde die Variante bereits in 60 weiteren Ländern nachgewiesen.

Mehr als drei Mio. Fälle

Laut Johns-Hopkins-Universität gab es in Großbritannien mit Stand Donnerstag insgesamt 3.515.796 Coronavirus-Fälle. Besonders stark von der Pandemie betroffen ist England. Dort hatten bis Dezember schätzungsweise mehr als zwölf Prozent der Menschen eine CoV-Infektion durchgemacht, wie aus einer Antikörperstudie der Statistikbehörde ONS hervorgeht.

Lockdown wirkungslos?

Auch der dritte Lockdown im Landesteil England bremst nach Angaben von Fachleuten kaum die Ausbreitung des Coronavirus. Zehn Tage nach Verschärfung der Kontaktbeschränkungen gibt es keinen Hinweis auf eine Abnahme der Fälle. „Die Zahl der Covid-19-Patienten in Krankenhäusern ist derzeit extrem hoch, und wir können keine Verringerung erwarten, bis wir niedrigere Verbreitungswerte erreichen“, warnte der Infektiologe Steven Riley, einer der Beteiligten an der Studie des Imperial College, nun.

Riley sagte dem Sender Sky News, der Lockdown mit weitreichenden Ausgangs- und Reisebeschränkungen sei offenbar nicht so wirkungsvoll wie noch im Frühjahr 2020. Aus der Regierung hieß es Medienberichten zufolge, die Studie spiegle nicht die Auswirkungen des Lockdowns wider.

Denn: Auch wenn die Todesfälle zuletzt stark stiegen, die Zahl der Neuinfektionen nahm nach Regierungsangaben zuletzt ab. Am Mittwoch wurden 38.905 neue Fälle gemeldet, deutlich weniger als in der Vorwoche und unter dem Niveau vom Jahreswechsel, als täglich rund 60.000 Fälle registriert wurden. Die Forscher erklären sich die Unterschiede in den Zahlen damit, dass die Regierungsangaben von Tests aus der Zeit nach Weihnachten stammen. Ihre eigenen Untersuchungen seien aber vom Jänner, als die Menschen nach den Feiertagen wieder mehr unterwegs waren.

Intensivstation im Milton Keynes University Hospital
Reuters/Toby Melville
Selbst wenn die Zahl der Neuinfektionen tatsächlich sinken sollte: Jene der Einweisungen ins Krankenhaus bleibt hoch

Busse als Krankenwagen

Unumstritten ist hingegen die Zahl der Hospitalisierten: Die Einweisungen ins Krankenhaus bleiben auf hohem Niveau – alleine am Mittwoch wurden 3.887 Personen eingeliefert. Die Krankenhäuser sind folglich unter enormem Druck, insbesondere in England.

„NHS Nightingale“ Feldspital in London
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Das Feldkrankenhaus Nightingale hat seit Kurzem wieder geöffnet

Einem Artikel des „Guardian“ zufolge wurden zwei Londoner Busse bereits zu Krankenwagen umfunktioniert, um Patienten und Patientinnen zu den Krankenhäusern inklusive des wieder geöffneten Feldkrankenhauses Nightingale zu transportieren und somit das Gesundheitswesen zumindest etwas zu entlasten. An Bord gebe es Platz für vier Personen und Gesundheitspersonal, auch Sauerstoffflaschen befänden sich in den Bussen.

Auch das Imperial College, das zu den größten Krankenhäusern in London zählt, ist von der derzeitigen Situation gefordert: „Im Moment sind wirklich alle Bereiche betroffen, auch solche, die nicht direkt die Versorgung von Covid-19-Patienten übernehmen, weil wir versuchen, Ressourcen umzuverteilen“, so Auner. Durch die Umgestaltung von Normalstationen und Operationen konnten „massive Kapazitäten“ geschaffen werden, auch die fallenden Neuinfektionen „werden hoffentlich bald ein wenig mehr Luft schaffen“.

Impfzentrum in Bournemouth
APA/AFP/Glyn Kirk
Ein Impfzentrum in Bournemouth. 4,6 Millionen Briten und Britinnen haben bereits eine Impfung erhalten.

„In so einer Situation helfen alle gerne“

Für das Personal auf den Intensiv- und Covid-19-Stationen sei die Situation „natürlich extrem belastend, in jeder Hinsicht“, auch Personalmangel sei ein wesentliches Problem: „Deshalb helfen derzeit viele Ärzte und Ärztinnen sowie Pfleger und Pflegerinnen aus allen Disziplinen in der Akut- und Intensivversorgung aus“, sagte Auner. „In so einer Situation helfen alle gerne.“ Er selbst übernahm Impfschichten.

„Das läuft wirklich sehr gut in Großbritannien, alleine gestern wurden über 340.000 Menschen geimpft, und die Kapazitäten sollen ja noch weiter gesteigert werden“, sagte Auner. Dabei würden Hausärzte und Kliniken genauso eine Rolle spielen wie große Impfzentren in Fußballstadien und Kathedralen. Die Impfung sei auch die große Hoffnung, denn „ohne die hätten wir kein Licht am Ende des Tunnels“.

Johnson: Über fünf Mio. Impfdosen verabreicht

Inzwischen sind in Großbritannien nach Angaben von Johnson bisher mehr als fünf Millionen Impfdosen verabreicht worden. „Stich für Stich schützen wir die Verletzlichsten und kommen dem Sieg über das Virus näher“, twitterte Johnson am Donnerstag.

Gesundheitsminister Matt Hancock sagte, das Pflegepersonal impfe 200 Menschen in der Minute. Die Regierung hatte angekündigt, bis Mitte Februar die am meisten gefährdeten Menschen wie über 70-Jährige, Pflegeheimbewohner und medizinisches Personal zu impfen, insgesamt etwa 15 Millionen Menschen.

Strafen für erste CoV-Verstöße vervierfacht

Unterdessen verschärft die britische Regierung die Strafen für CoV-Verstöße in England. Künftig sollen 800 Pfund (gut 900 Euro) statt 200 fällig werden, wenn Menschen trotz Verbots Partys besuchen, wie Innenministerin Priti Patel am Donnerstag ankündigte. „Diese schweren Verstöße kosten Leben“, sagte Patel. Die Strafe verdopple sich bei jedem weiteren Verstoß bis zu einem Höchstbetrag von 6.400 Pfund.

Der ranghohe Polizist Martin Hewitt sagte, Partys seien „gefährlich, unverantwortlich und völlig inakzeptabel“. Die Polizei werde nicht ihre Zeit damit verschwenden, mit Menschen darüber zu argumentieren. Solche Leute gefährdeten die Leben anderer, sagte Hewitt. Als Beispiele nannte er eine Feier auf der Londoner Szenemeile Brick Lane mit 40 Menschen, die sich feindselig gegenüber der Polizei verhalten hätten, sowie eine Party mit 150 Menschen in der Grafschaft Hertfordshire. In England sind Treffen mit Mitgliedern anderer Haushalte weitestgehend verboten.

Nordirland verlängert Lockdown

Die britische Provinz Nordirland verlängerte den Lockdown unterdessen bis 5. März. Das entschied die Regionalregierung in Belfast am Donnerstag. „Unser Krieg und Kampf gegen CoV ist noch nicht gewonnen“, sagte Regierungschefin Arlene Foster. Die hart erkämpften Gewinne dürften nicht durch voreilige Lockerungen riskiert werden.

Zu den Maßnahmen in Nordirland gehören die Schließung von Schulen und nicht lebensnotwendigen Geschäften sowie weitreichende Ausgangs- und Reisebeschränkungen. Die Restriktionen sollen am 18. Februar überprüft werden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sie sogar bis Ostern in Kraft bleiben, wie die Zeitung „Belfast Telegraph“ berichtete.