Demonstrantin und Polizisten in St. Petersburg
AP/Dmitri Lovetsky
Demonstrationen für Nawalny

Hunderte Festnahmen in Russland

In Moskau und zahlreichen weiteren russischen Städten sind Tausende Menschen dem Aufruf des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny zum Protest gegen Staatschef Wladimir Putin gefolgt. Die Polizei nahm Hunderte Demonstranten fest, darunter auch Nawalnys Ehefrau Julia und seine engste Mitarbeiterin, die Juristin Ljubow Sobol.

Im Zentrum der russischen Hauptstadt versammelten sich die Demonstranten am Puschkin-Platz, bevor sie weiter in Richtung Kreml ziehen wollten. Unter den Tausenden Protestierenden in Moskau waren viele junge Leute und Angehörige der Mittelschicht. Reuters-Augenzeugen schätzten die Zahl der Demonstranten im Zentrum der russischen Hauptstadt auf mindestens 40.000. Das Innenministerium bezifferte die Zahl der Versammlungsteilnehmer auf rund 4.000, wie die amtliche Nachrichtenagentur TASS berichtete. Die Proteste galten schon kurz nach deren Beginn als die größten der letzten Jahre.

Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja meldete ihre Festnahme über ihren Kanal im Onlinedienst Instagram. Aus einem Gefangenentransporter der Polizei heraus veröffentlichte sie ein Bild von sich, das sie mit der Botschaft versah: „Bitte entschuldigt die schlechte Bildqualität. Das Licht im Polizeitransporter ist sehr schlecht.“ Wenige Stunden später wurde sie nach Medienberichten wieder freigelassen. Nawalnys Team veröffentlichte auch ein Foto von Nawalnys Mutter, die ebenfalls zur Demo gekommen war.

Yulia Nawalny auf dem Sheremetyevo Flughafen
AP/Alexander Zemlianichenko
Nawalny Ehefrau wurde am Samstag ebenfalls festgenommen – und wenige Stunden später wieder freigelassen

Berichte über brutales Vorgehen der Polizei

Wie die Staatsagentur TASS berichtete, wurden bei den Protesten über 40 Sicherheitskräfte verletzt. Niemand sei aber ins Krankenhaus gebracht worden. Demonstranten bewarfen etwa die Einsatzkräfte mit Schneebällen. Die Staatsagentur Ria Nowosti meldete, dass drei Polizisten mit weißer Farbe übergossen worden seien. Die überwiegende Mehrheit der Menschen demonstrierte allerdings friedlich gegen das Vorgehen der russischen Behörden gegen Nawalny.

Proteste für Nawalny in Russland

In Moskau und zahlreichen weiteren russischen Städten sind Tausende Menschen dem Aufruf des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny zum Protest gegen Staatschef Wladimir Putin gefolgt. Die Polizei nahm Hunderte Demonstranten fest.

Immer wieder kam es dennoch zu brutalen Festnahmen von Demonstranten, wie etwa Reporter der dpa berichteten. Fernsehbilder zeigten, wie vermummte Sicherheitskräfte auf Demonstranten einschlugen. Die Zahl der Festnahmen landesweit gab die Bürgerrechtsorganisation OWD mit mehr als 2.000 an. Auch Mobilfunk und Internet waren von Ausfällen betroffen, wie auf der Beobachtungsseite Downdetector.ru ersichtlich war. Um die Kommunikation der Protestorganisation und Protestteilnehmer zu behindern, griffen die russischen Behörden schon in der Vergangenheit öfter in die Telekommunikationsinfrastruktur ein.

Auch direkt vor dem Gefängnis, in dem sich Nawalny momentan befindet, gab es offenbar Proteste. Das Team des Oppositionellen veröffentlichte am Samstagabend auf Telegram Videos, die zeigen, wie Vertreter der Sonderpolizei OMON in Moskau auf Demonstranten einprügeln und am Boden liegende Menschen treten. Hunderte Menschen marschierten vom Stadtzentrum mehr als eine Stunde zum berüchtigten Untersuchungsgefängnis Nummer eins im Nordosten der Hauptstadt.

Schläge bei Verhaftung mitgefilmt

Die russischen Behörden drohten mit hohen Strafen für die Teilnahme an den nicht genehmigten Kundgebungen. Viele Anhänger Nawalnys ließen sich davon aber nicht abhalten. Auch in den Städten Wladiwostok, Irkutsk und Tomsk, wo Nawalny im August Opfer eines Anschlags mit dem Nervengift Nowitschok wurde, versammelten sich trotz eisiger Temperaturen Demonstranten. Sie skandierten „Wir sind die Macht“ und „Putin ist ein Lügner“.

Demonstranten und Polizisten in St. Petersburg
AP/Dmitri Lovetsky
In Moskau gingen mehrere Tausend Menschen für Nawalny auf die Straße

In der Großstadt Chabarowsk, die Moskau aufgrund der Zeitverschiebung sieben Stunden voraus ist, veröffentlichten Aktivisten am Samstag Videos von Polizisten, die Demonstranten schlagen und in Gefangenentransporter stecken. Videoaufnahmen aus Wladiwostok an Russlands Pazifikküste zeigten Polizisten, die eine Gruppe von Demonstranten durch die Straßen jagten. Es gab aber auch Berichte von Sicherheitskräften, die nicht eingriffen, sondern die Menschen marschieren ließen.

Kritik aus der EU

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell übte scharfe Kritik am Vorgehen der russischen Behörden gegen die Demonstrationen. Er bedauere die zahlreichen Festnahmen, den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt und die Einschränkung von Internet- und Telefonverbindungen, teilte Borrell am Samstagnachmittag mit. Er sei besorgt und werde am Montag mit den Außenministern der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel über die nächsten Schritte der EU beraten.

Proteste für Kreml-Kritiker Nawalny

ORF-Korrespondent Paul Krisai analysiert, wie die Proteste zur Freilassung von Alexej Nawalny im Kreml aufgenommen werden.

Bereits Mitte der Woche hatten Vertreter von Mitgliedstaaten neue EU-Sanktionen wegen der Inhaftierung Nawalnys als realistische Option bezeichnet. Eine Entscheidung wird es aber vermutlich erst geben, wenn Nawalny längerfristig in Haft gehalten werden sollte. „Menschen, die ihr Recht auf Versammlung und Meinungsfreiheit friedlich ausüben, dürfen nicht kriminalisiert werden“, erklärte das Außenministerium in Wien in einem Tweet am Samstagnachmittag. Man verfolge die Proteste in Russland genau und erwarte, dass alle Verpflichtungen des Europarates und der OSZE eingehalten werden.

USA verurteilen hartes Vorgehen

Die neue US-Regierung kritisierte die „harschen Methoden“ der russischen Sicherheitskräfte und forderte die Freilassung aller Festgenommenen. Das Außenministerium erklärte am Samstag, die USA stünden Schulter an Schulter mit ihren Verbündeten und Partnern, um die Menschenrechte zu verteidigen. Das Ministerium forderte die „sofortige und bedingungslose Freilassung“ des Kreml-Kritikers Nawalny.

Moskau verbat sich zuvor eine Einmischung aus dem Ausland. Das russische Außenministerium kritisierte in einer Mitteilung die US-Botschaft in Moskau, die mehrere der geplanten Demonstrationen mit genauen Treffpunkten und Uhrzeiten aufgelistet hatte. Unter dem Deckmantel der Sorge um die Sicherheit von US-Bürgern im Ausland wolle Washington die Proteste in Russland anheizen, kritisierte Moskau. Die Verhaftung Nawalnys am vergangenen Sonntag hatte international Empörung in westlichen, demokratischen Ländern ausgelöst und Forderungen nach einer sofortigen Freilassung nach sich gezogen.

„Enthüllungsvideo“ veröffentlicht

Nawalnys Anhänger hatten für Samstag in mehr als 90 russischen Städten zu Protesten aufgerufen. Sie fordern die Freilassung des Oppositionellen, der am Montag in einem umstrittenen Eilverfahren mit 30 Tagen Haft belegt worden war. Nawalny soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen haben, während er sich in Deutschland von einem Giftanschlag erholte. Der 44-Jährige und sein Team sehen das Vorgehen der Justiz als politisch motiviert an.

Nawalnys Team hatte Anfang der Woche unter dem Titel „Ein Palast für Putin“ ein „Enthüllungsvideo“ veröffentlicht, das beweisen soll, dass der Präsident sich aus Schmiergeldern ein „Zarenreich“ am Schwarzen Meer bauen ließ. Der Kreml bezeichnet die Vorwürfe in dem mehr als 67 Millionen Mal angeklickten Film als „Unsinn“ und „Lüge“. Nawalny macht Langzeitstaatschef Wladimir Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im August verantwortlich. Putin und der FSB weisen das zurück.