Antiregierungsdemo auf dem Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo im Feber 2011
Reuters/Amr Dalsh
Ägyptischer „Frühling“

Nach dem Aufbruch kam der Militärputsch

Ende Jänner vor zehn Jahren haben die Massenproteste in Ägypten als ein Teil des „arabischen Frühlings“ im Nahen Osten und Nordafrika begonnen. Doch die Hoffnung auf den ersehnten Aufbruch nach der Ära von Langzeitpräsident Hosni Mubarak währte nicht lange. Nach einem Militärputsch gegen den gewählten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi herrscht der frühere General Abdel Fattah al-Sisi als Präsident. Kritiker beklagen, die Unterdrückung sei noch schlimmer als zu Mubaraks Zeiten.

Kurzfristig hatte es allerdings so ausgesehen, als würde sich vieles in dem Land ändern. Die Wut der Bevölkerung war groß, fehlende Perspektiven, wirtschaftlicher Stillstand und eben die politische Unterdrückung sollten aufhören, man hoffte auf gravierende Verbesserungen, angeheizt durch die Revolte in Tunesien. Die ägyptische Staatsführung versuchte mit Gewalt, sich an der Macht zu halten, fast 850 Menschen wurden dabei getötet. Die Proteste auf dem Kairoer Tahrir-Platz brachten am 11. Februar 2011 schließlich Mubarak zu Fall, und die Aufbruchsstimmung und die Sehnsucht nach Veränderung war groß.

Im Juni 2012 wurden schließlich freie Wahlen abgehalten. Der Islamist Mohammed Mursi von der Partei der Muslimbrüder wurde der erste frei gewählte, zivile Präsident des neuen Ägypten. Nach Massendemonstrationen gegen Mursi stürzte das Militär, angeführt vom ehemaligen Armeechef Sisi, im Sommer 2013 den Staatschef. 2014 ließ sich Sisi in gelenkten Wahlen zum Präsidenten wählen, 2018 folgte seine Wiederwahl, jeweils mit rund 97 Prozent

Protest auf dem Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo im Jänner 2014
Reuters/Mohamed Abd El Ghany
Massendemonstration auf dem Kairoer Tahrir-Platz

Hunderte Todesurteile gegen Mursi-Anhänger

In den Monaten nach der Machtübernahme durch das Militär 2013 ging die neue Führung mit aller Härte gegen Mursi und seine Anhänger vor. Mursi wurde zum Tod durch den Strang verurteilt, starb aber durch einen Herzinfarkt. Zahlreichen hochrangigen Muslimbrüdern wurde der Prozess gemacht, Hunderte Todesurteile gegen Mursi-Änhänger wurden verhängt. Etwa 1.400 Menschen wurden getötet. Die Muslimbruderschaft wurde verboten.

Anti-Regierungsdemonstranten werfen in Kairo Steine
Reuters/Amr Dalsh
Demonstranten liefern sich Straßenkämpfe mit den Sicherheitskräften

Auch Mubarak sah sich nach seiner Entmachtung verschiedenen Strafverfahren ausgesetzt, unter anderem wegen der Tötung von Demonstranten. Mubarak verbrachte rund sechs Jahre in Haft, wurde im März 2017 aber in letzter Instanz freigesprochen. Er starb schließlich im Alter von 91 Jahren Ende Februar 2020.

Der ehemalige ägyptische Präsident Hosni Mubarak im Jahr 2014 in einem Gerichtssaal hinter Gittern
Reuters
Ex-Präsident Hosni Mubarak vor Gericht

Auf einer Linie mit Mubarak

Mubarak hatte Ägypten ab 1981 drei Jahrzehnte lang mit harter Hand regiert. Regelmäßig gab es Berichte über Verstöße gegen Menschen- und Bürgerrechte sowie über Polizeigewalt. Unter Mubarak wucherten Bürokratie und Korruption im Staatsapparat, die Schere zwischen Arm und Reich ging immer weiter auseinander. Auch unter Sisi hat sich die Lage nicht gebessert, sie sei weiter verheerend, so Experten und Expertinnen.

Die Regierung von Sisi geht seit Jahren ebenfalls mit harter Hand gegen Kritiker, politische Oppositionelle und Menschenrechtler vor. Human Rights Watch zufolge wurden seit der Machtübernahme von Sisi rund 3.000 Menschen zum Tode verurteilt und 60.000 Menschen verhaftet. Die Menschenrechtsorgansation Amnesty International geht davon aus, dass die Zahl der Hinrichtungen in Wirklichkeit sogar noch höher ist. Die ägyptischen Behörden veröffentlichten keine Statistiken zur Zahl der Hinrichtungen oder der Häftlinge im Todestrakt. Vor einer Hinrichtung würden auch nicht die Familien und Anwälte des Verurteilten informiert. Die Regierung rechtfertigt ihre Politik mit angeblicher Terrorgefahr.

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi
Reuters/Michel Euler
Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist seit 2013 der starke Mann Ägyptens

Amnesty: „Gewalt, Folter und gezielte Repression“

Im Fall von Bahai al-Din Hassan reichten schon ein paar Tweets für ein jahrelanges Hafturteil. Der Menschenrechtler hatte die Folterpraktiken in Ägypten kritisiert und die aus seiner Sicht mangelnde Unabhängigkeit der Gerichte. Und er hatte 2018 im UNO-Menschenrechtsrat offen über die Lage in dem autoritär geführten Land gesprochen. Ende August 2020 sprach ein „Anti-Terror-Gericht“ das Urteil: 15 Jahre Haft.

Laut Amnesty International würden Tausende in Ägypten weiterhin über Monate oder Jahre unter oft menschenunwürdigen Bedingungen in überfüllten Gefängnissen festgehalten, wie es in einem am Montag veröffentlichten Bericht der NGO heißt. Auch zehn Jahre nach der Revolution setze die ägyptische Regierung „tagtäglich Gewalt, Folter und gezielte Repression“ ein, sagte Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland.

Gefängnisse überfüllt, unhygienisch und ungesund

Die Liste der im Bericht dokumentierten Mängel ist lang: ungesundes Essen, dunkle, schlecht belüftete Zellen, kaum oder keine frische Luft und unhygienische Zustände mit wenig Zugang zu Wasser und Toiletten. Die unzureichende Gesundheitsversorgung lasse Häftlinge unnötig leiden und habe in einigen Fällen möglicherweise zum Tod geführt. Der Kontakt zu Angehörigen werde stark reduziert oder komplett verweigert – in einigen Fällen mehr als vier Jahre lang. Einige Insassen würden 23 Stunden am Tag in Einzelhaft gehalten. Eine einheitliche Strategie im Kampf gegen das Coronavirus gebe es nicht.

Nach UNO-Angaben sitzen in Ägypten schätzungsweise 114.000 Menschen im Gefängnis. Die Berichte über Folter und schlechte Zustände weist die Regierung zurück. Das Innenministerium veröffentlichte erst vor wenigen Tagen ein Video aus dem berüchtigten Tora-Gefängnis in Kairo, in dem Häftlinge bei der Behandlung mit modernsten medizinischen Standards oder beim Lesen, Malen und Backen gezeigt werden. Mit Blick auf die Kritik von Menschenrechtlern sprach die staatliche Nachrichtenseite al-Ahram von „negativen Gerüchten“.

„Sie versuchen, mich langsam zu töten“

Der Amnesty-Bericht untersucht die Fälle von 67 Häftlingen, von denen zehn während oder kurz nach ihrer Gefangenschaft ums Leben kamen. Zwischen Februar und November 2020 untersuchte Amnesty die Zustände in 16 ägyptischen Gefängnissen, drei davon Einrichtungen für Frauen. Dafür sprachen die Autoren unter anderem mit Ex-Häftlingen sowie Ärzten, Familienangehörigen, Anwälten und Freunden der Betroffenen. Auch medizinische Gutachten und Gerichtsdokumente wurden ausgewertet.

„Sie versuchen, mich langsam zu töten oder mich verrückt werden zu lassen“, zitiert Amnesty etwa den früheren Präsidentschaftsbewerber Abdel Munim Abul Futuh, der seit Februar 2018 in Einzelhaft gehalten wird. Informierten Quellen zufolge wird er in einer zwei mal drei Meter großen Zelle ohne Bett gehalten. Der 69-Jährige leidet an Diabetes, Bluthochdruck und einer vergrößerten Prostata. Bitten um ärztliche Versorgung seien verzögert oder abgelehnt worden wie auch der Antrag, sich für eine Operation verlegen zu lassen.

Regierungskritische Gefangene gezielt im Visier

Amnesty lägen Beweise vor, wie Gefängnisbehörden „regierungskritische Gefangene ins Visier nehmen und ihnen angemessene Ernährung oder Familienbesuche verweigern“, sagte Amnesty-Generalsekretär Beeko. „Auch die Verweigerung notwendiger medizinischer Versorgung wird bewusst als Strafe eingesetzt. Das gilt als Folter.“

Selbst der Zugang zu Duschen und Toiletten werde teils über Wochen verwehrt, weshalb einige in Einzelhaft sich in Eimern erleichterten, heißt es. „Das Wasser roch sehr streng und wie Abwasser. Viele Gefangene hatten deshalb Blut im Urin“, wird eine ehemals inhaftierte Frau zitiert. Eine Anfang 2020 entlassene Frau sagt, das Wasser sei zum Duschen oder Waschen ungeeignet. „Viele von uns bekamen Krätze.“