Mitglieder der Proud Boys
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USA

Wachsende Sorge vor rechtem Terror in USA

Der neue US-Präsident Joe Biden hat einige Herausforderungen zu stemmen, neben der Pandemie auch viele außenpolitische Baustellen. Eine besondere Aufgabe erwächst Biden aber im eigenen Land: Die zunehmende Aktivität von heimischen Milizen und rechten bewaffneten Gruppen, die sich zuletzt im Sturm auf das Kapitol manifestierte. Experten warnen vor einer neuen Blüte des „domestic terror“ in den USA.

Die Erleichterung am Tag der Angelobung Bidens Mitte Jänner war groß: Trotz deutlicher Hinweise auf Aktionen rechter Gruppen und radikaler Trump-Fans verlief die Zeremonie reibungslos. Nach dem Sturm auf das Kapitol zwei Wochen zuvor hatte man sich auch vorbereitet. Die Hauptstadt Washington war durch rigorose Sicherheitsvorkehrungen zur Festung ausgebaut worden.

Die Bedrohung aber bleibt aufrecht. Am Donnerstag veröffentlichte das US-Heimatschutzministerium (DHS) ein Bulletin, um vor „der erhöhten Gefahrenlage im ganzen Land, die sich wahrscheinlich über die kommenden Wochen halten wird“, zu warnen. „Das DHS hat keine Informationen über einen speziellen, glaubhaften Plan; in den vergangenen Tagen setzten sich jedoch gewalttätige Unruhen fort. Wir sind weiterhin besorgt darüber, dass Personen, die von der Ausübung staatlicher Autorität, dem Präsidentenwechsel sowie anderen gefühlten Missständen und ideologischen Ursachen, auch durch falsche Informationen ausgelöst, frustriert sind, weiterhin Anhänger zur Gewalt anregen“, hieß es in der Mitteilung. Laut „Washington Post“ kauften sich inzwischen einige Abgeordnete des Repräsentantenhauses der Demokraten schusssichere Westen aus Angst vor Angriffen.

Gewachsenes Problem

Expertinnen und Experten aus US-Sicherheitskreisen halten die Gefahr durch inländischen Extremismus für größer als durch internationalen Terror. „In den vergangenen 20 Jahren war der internationale Terror unsere größte Sorge, der IS, al-Kaida“, so der frühere Polizeichef von New York, Bill Bratton, zu CNBC, „jetzt geht es um hier und uns, und um Bürger der Vereinigten Staaten.“ Eine solche Bedrohung sei „viel, viel schwieriger“ zu bekämpfen, zudem verfügten die USA nicht über die entsprechenden Werkzeuge dafür.

Laut Nate Snyder, früher im Heimatschutzministerium für die Terrorbekämpfung zuständig, ist das Problem schon lange erkennbar: Diese Art des Extremismus, „etwa gewaltbereite Rassisten, Neonazis, Reichsbürger und Milizen, war schon in den vergangenen zehn Jahren eine tödlichere Bedrohung“ verglichen mit islamistischem Terror in den USA.

Mehr Training und Rekrutierung

Einen messbaren Anstieg der Aktivitäten gibt es seit Bidens Wahlsieg im vergangenen November. Bei den Demonstrationen seither habe sich die Beteiligung von bewaffneten Gruppen verstärkt, so das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), das politische Gewalt dokumentiert. Dadurch sei auch die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass Proteste in Gewalt umschlagen. Mit Organisation und Teilnahme an Demonstrationen gäben sich diese Gruppen auch nicht zufrieden, es würden auch mehr Trainings- und Rekrutierungstreffen veranstaltet, so ACLED.

Milizorganisationen in den USA sind privater Natur, es gibt zahllose Zusammenschlüsse mit unterschiedlichen Zielen. Seit den 1990er Jahren gibt es in allen US-Bundesstaaten Milizgruppen. Laut der Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Centre (SPLC), die mittels „Hate Map“ extremistische Gruppierungen dokumentiert, gab es 2019 rund 940 solcher Verbindungen. Hunderte davon sind rechte Milizen. In einigen US-Bundesstaaten brauchen Milizen eine Genehmigung der Regierung, doch der zweite Zusatzartikel zur US-Verfassung, der das Recht auf Besitz und Tragen von Waffen garantiert, begrenzt auch mögliche Kontrollen solcher Gruppen.

Trump-Anhänger während des Sturms auf das US-Kapitol
Reuters/Mike Theiler
Beim Sturm auf das Kapitol waren zahlreiche Milizen beteiligt. Sie waren militärisch trainiert.

Vielen ist das Recht auf Waffenbesitz die wichtigste Motivation. Manche Gruppen sind relativ unpolitisch und proben im Wald für den Weltuntergang. Viele sehen sich in der Tradition historischer Figuren aus dem US-Bürgerkrieg und sahen schon in der rechtspopulistischen „Tea-Party“-Bewegung gegen die Regierung von Barack Obama ein Wiederaufflammen ihrer Ideale. Manche Milizen patrouillieren seit den 1990er Jahren an der Grenze zu Mexiko, um Einwanderung zu unterbinden. Und manche prognostizieren einen neuen Bürgerkrieg und wandern in ländliche Gegenden aus.

Öl im Feuer

Viele dieser Gruppen haben aber auch paramilitärische Züge und treten offen gegen die Regierung oder „das Establishment“ auf. Paradoxerweise halten sie Trump für außerhalb des Establishments stehend und „sahen in ihm das, was einem idealen Präsidenten am nächsten kam“, so die Forscherin Amy Cooter zur BBC. Trumps Wahlniederlage und seine Behauptung, die Wahl sei gefälscht worden, befeuert nun den Ärger unter ihnen.

Auch unter den gewaltsamen Protesten am 6. Jänner und dem Sturm auf das Kapitol spielten Milizionäre eine große Rolle. Jene, die ins Herz der US-Demokratie einfielen, hätten mitunter eine militärische Ausbildung oder seien ähnlich trainiert worden, analysierte die Associated Press (AP) nach Sichtung von Bildmaterial. „Eine Reihe von Männern mit olivgrünen Helmen und Körperpanzer stapfte zielstrebig in Reih und Glied die Marmortreppe hinauf, wobei jeder den Jackenkragen des Vordermannes hielt. Die Formation, ‚Ranger File‘ genannt, ist eine übliche Vorgangsweise eines Kampfteams, das sich ‚aufstapelt‘, um in ein Gebäude zu gelangen – und sofort erkennbar für jeden US-Soldaten oder Marine, der im Irak oder in Afghanistan diente“, so die AP.

Man habe mehr als 20 aktuelle oder frühere Mitglieder von Streitkräften oder Polizei identifiziert, die beim Kapitolsturm dabei waren und ähnliche Taktiken, Ausstattung und Technologie nutzten wie die Polizei, die ihr gegenüberstand. „Diese Leute haben Ausbildung und Fähigkeiten, die weit über jene von ausländischen Terroristen hinausgehen. Ausländische Terroristen tragen keine Abzeichen“, so Michael German, ehemaliger FBI-Agent und Mitarbeiter des Brennan Center for Justice an der New York University.

Auch unter den nach dem Kapitolsturm Verhafteten waren etliche Ex-Militärs, die sich nun in Gruppen wie „Oath Keepers“, den „Three Percenters“ oder den „Proud Boys“ engagieren – rechtsextreme und staatsfeindliche Milizen. „Das sind Armeeveteranen, die nach ihrem Dienst Probleme haben, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden", so Freddy Cruz vom SPLC. Regierungsfeindliche Extremisten versuchen, dieses Gefühl der Instabilität zu nutzen, indem sie ein Bild von Struktur, Stabilität und Kameradschaft verkaufen, das im militärischen Milieu häufig anzutreffen ist“, zitiert ihn die BBC.

Vorteile aus Pandemie und Wirtschaftskrise

Bedenklich ist nicht nur Anzahl, Verbreitung und Einfluss dieser Gruppen und ihrer Ansichten, Organisationen wie das SPLC warnen seit Jahren davor. Die teils abstrusen Meinungen und Verschwörungstheorien, denen die Gruppen oft anhängen, seien mittlerweile Teil des politischen Mainstreams geworden. Die Ränder der Gesellschaft vergrößern sich zur Mitte hin – das erhöht laut dem Expertenjournal „Terrorism and Political Violence“ die Wahrscheinlichkeit für Gewalt. In den Jahren der Trump-Präsidentschaft sei noch einmal ein Schub zu beobachten. Und nun spielen ihnen Pandemie, Wirtschaftskrise und die politischen Unruhen rund um Trumps Wahlniederlage weiter in die Hände.

Viele Unzufriedene und Gewaltbereite hätten nun eine gemeinsame Erzählung, und das bringe mitunter auch „Lone Wolfs“, also Einzelgänger, zur Gruppe. Der Mythos der gestohlenen Wahl schweiße zusammen und ermutige zum Handeln, analysiert Luis De la Calle von der Uni Stanford auf der Expertenplattform The Conversation. „Ihren Anführer ohnmächtig zu sehen wird dieses Gefühl der Frustration noch weiter antreiben. Genauso wie Repressionen gegen die Rechten, etwa durch Verhaftungen, Überwachung und Sperren auf Sozialen Netzwerken“, so De La Calle. „Mit den Demokraten, die Washington kontrollieren, und Wahlen, die als gefälscht empfunden werden, könnten Amerikas Rechtsaußengruppen denken, dass mehr Gewalt der einzige Weg ist, einer Übermacht zu begegnen.“ Ihre geringen Siegeschancen in diesem Kampf werden diese Menschen nicht abhalten von ihren Zielen.

Politische Antworten

Die Brookings Institution, eine renommierte Denkfabrik in Washington, empfiehlt einen mehrgleisigen Ansatz bei der Eindämmung dieser Gruppen. Die Antwort des Staates müsse eine rigorose Strafverfolgung bei Gesetzesverstößen sein. Anders als bei früheren Aufständen von militanten Gruppen und Staatsfeinden müssten die Verantwortlichen dieses Mal vor Gericht gestellt werden. Auch Präventionsmaßnahmen seien bedeutsam, dazu gehöre auch eine Bestandsaufnahme von radikalen und militanten Aktivisten, die beim Militär oder der Polizei arbeiten. Zudem müsse gegen die Rekrutierung immer neuer Anhänger vorgegangen werden. Das Institut sieht Sperren auf Sozialen Netzwerken als effizientes Werkzeug dabei.

Aktive Arbeit gegen Verschwörungserzählungen sei ebenso wichtig wie die Reduzierung des Einflusses extremer Gruppen auf die Politik. Politiker und Verantwortungsträger müssten unisono Gewalt entschlossen verurteilen, so die Brookings Institution, die aber auch zu einem ernüchternden Schluss kommt: „Viele Menschen mit extremistischen Ansichten werden niemals von der fehlenden Logik oder Unmoral ihrer Denkweise überzeugt werden. Das maximal erreichbare Ziel kann sein, sie daran zu hindern, sich auf Gewalt und Kriminalität einzulassen oder Propaganda zu verbreiten.“