„Auf den ersten Blick scheint es so, dass in den Berichten zwei Dinge verwechselt wurden“, so das Ministerium. „Rund acht Prozent der Probanden der AstraZeneca-Wirksamkeitsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre.“ Daraus lasse sich aber nicht eine Wirksamkeit von nur acht Prozent bei Älteren ableiten.
Zuvor hatte das deutsche „Handelsblatt“ berichtet, bei dem Vakzin werde nur mit einer Wirksamkeit von acht Prozent bei den über 65-Jährigen gerechnet. Die Zeitung berief sich auf Koalitionskreise. Zudem berichtete die „Bild“-Zeitung, die deutsche Regierung rechne mit einer Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen über 65 Jahren von unter zehn Prozent. Das würde bedeuten, dass Seniorinnen und Senioren mit dem AstraZeneca-Vakzin nicht geimpft werden dürften.
EMA-Empfehlung für Freitag erwartet
AstraZeneca selbst hatte der Darstellung in den Zeitungen ebenfalls widersprochen. Berichte, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen über 65 Jahren nur bei acht Prozent liege, seien komplett falsch, teilte ein Sprecher am Dienstag mit. AstraZeneca verwies unter anderem darauf, dass die Notfallszulassung der britischen Aufsichtsbehörde für Arzneimittel (MHRA) ältere Menschen mit einschließe. Eine Studie habe gezeigt, dass der Impfstoff auch bei Senioren eine starke Immunantwort auslöse. Allerdings heißt es in einer weiteren Studie, dass es wegen geringer Fallzahlen noch zu wenig Daten zur Wirksamkeit bei älteren Menschen gebe.
Das deutsche Gesundheitsministerium wies darauf hin, dass die Wirksamkeitsstudien zu dem Impfstoff von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ausgewertet werden. „Bekannt ist seit dem Herbst, dass in den ersten eingereichten Studien von AstraZeneca weniger Ältere beteiligt waren als bei den Studien anderer Hersteller.“ Die Empfehlung der EMA zu dem AstraZeneca-Impfstoff wird am Freitag erwartet. Für die Zulassung ist die EU-Kommission zuständig.
Ultimatum in Streit über Impfstofflieferungen
Unterdessen geht der Streit über die Impfstofflieferungen mit AstraZeneca weiter. Die EU wolle bis Freitag wissen, wieso das Unternehmen „weniger Impfdosen an die EU liefern will“, hieß es am Montagabend aus EU-Kommissionskreisen nach einem weiteren Treffen von Unternehmensvertretern mit Mitgliedern der EU-Staaten. Der Vertrag sehe eine Vorproduktion an Dosen im hohen Millionenumfang nicht nur für das laufende Quartal vor, sondern bereits ab dem vierten Quartal 2020. Zudem garantiere der Vertrag mit dem britisch-schwedischen Unternehmen der EU Zugang zu Produktionsdaten des Unternehmens. „Daher will sich die Kommission nun anhand von Daten ansehen, in welchem Werk was wann produziert wurde“, hieß es in Kommissionskreisen.
Streit über CoV-Impfstofflieferung
Die EU-Kommission fordert AstraZeneca dazu auf, bis Freitag seine Daten offenzulegen. Denn der Pharmakonzern will weniger CoV-Impfdosen an die EU liefern. Die Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde über die Zulassung des AstraZeneca-Impstoffs wird ebenfalls an diesem Tag erwartet.
Die EU wolle nun zudem einen Export-Transparenz-Mechanismus einführen, um zu sehen, wohin in der EU produzierter Impfstoff geliefert werde. Die EU fordere AstraZeneca auf, das Lieferangebot für das erste Quartal deutlich nachzubessern. Die Lieferprobleme unterschieden sich deutlich von dem der Firmen Biontech/Pfizer. Die dortige einwöchige Lieferunterbrechung habe sich „schlüssig“ mit der Vorbereitung für eine erweiterte Produktion erklären lassen. Bei dem Konzern AstraZeneca sei das aber nicht der Fall.
In Brüssel gibt es den Verdacht, dass das Unternehmen andere Länder wie Großbritannien außerhalb der EU mit ungekürzten Mengen beliefert. „Wir sehen, dass Dosen anderswohin geliefert werden“, sagte der Kommissionssprecher. Da die EU Vorauszahlungen für die Produktion geleistet habe, „sollten diese Dosen eigentlich für die Lieferung verfügbar sein“, sobald die EMA grünes Licht gebe.
Lettland: In koordinierter Aktion juridisch vorgehen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte am Dienstag die Hersteller von CoV-Impfstoffen generell auf, ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen. Europa habe „Milliarden investiert, um die Entwicklung der weltweit ersten Covid-19-Impfstoffe zu unterstützen“, sagte von der Leyen in ihrer per Video übertragenen Rede für das Weltwirtschaftsforum. „Und jetzt müssen die Firmen liefern, sie müssen ihre Verpflichtungen einhalten.“ Die Rufe nach rechtlichen Schritten werden in der EU lauter. Mitgliedsstaaten erwägen, wegen Vertragsbruchs vor Gericht zu ziehen, wie Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics am Dienstag im lokalen Radio sagte. Die EU-Staaten würden aber nur in einer „koordinierten Aktion“ juridisch vorgehen.
AstraZeneca bietet nach Informationen aus EU-Kreisen an, die Staatengemeinschaft eine Woche früher als bisher geplant mit seinem Impfstoff zu beliefern. Die Lieferungen sollten am 7. Februar beginnen und nicht erst am 15. Februar, sagten EU-Vertreter der Nachrichtenagentur Reuters. Keine Klarheit gebe es in der Frage, ob Impfstoff aus Großbritannien in die EU umgleitet werden könne, um hier mehr Vakzin verfügbar zu haben. Mögliche Verzögerungen bei der Lieferung des AnstraZeneca-Impfstoffs würden nach den Worten des französischen Gesundheitsministers Olivier Veran alle Länder Europas treffen.
Der britisch-schwedische Konzern hatte am Freitag mitgeteilt, nach der für diese Woche erwarteten Zulassung zunächst weniger Impfstoff als geplant an die EU liefern zu wollen. Statt 80 Millionen Impfstoffdosen sollen bis Ende März nur 31 Millionen eingeplant sein. Die angekündigten Lieferverzögerungen seitens AstraZenecas bezeichnete die EU-Kommission als „nicht akzeptabel“.
Erste Lieferung nach Österreich wohl am 7. Februar
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) erwartete indes ab dem 7. Februar erste Lieferungen des AstraZeneca-Impfstoffs. Erhält der Impfstoff wie erwartet diese Woche die Zulassung, dann kann im Februar in drei Tranchen Impfstoff nach Österreich geliefert werden: am 7. Februar 63.354, am 17. Februar 97.763 und Ende Februar 182.430 Dosen. Insgesamt sollen im Februar „also 343.547 Dosen Impfstoff von AstraZeneca nach Österreich“ kommen, hieß es. Ursprünglich für Februar angekündigt waren 650.000 Impfdosen.
Laut Ministerium sind die Zahlen allerdings nur die errechneten Zahlen, also die Zahl der Dosen, die der EU zugesichert wurden dividiert durch den Bevölkerungsanteil Österreichs. Die tatsächlichen Zahlen werden also ein wenig anders aussehen, weil sie durch zehn teilbar sein werden, heißt es weiter. Denn in einem AstraZeneca-Impfstofffläschchen sollten nach Wissensstand des Ministeriums zehn Dosen enthalten sein.
Brüssel droht mit juristischen Mitteln
Die EU-Kommission hatte im August mit der Firma einen Vertrag über bis zu 400 Millionen Impfstoffdosen geschlossen und nach eigenen Angaben einen dreistelligen Millionenbetrag dafür bezahlt, die Produktion schon vor der EU-Zulassung hochzufahren. Nach Darstellung der EU-Kommission hätte der Konzern laut Vertrag bereits seit der verbindlichen Bestellung Ende Oktober Mengen für die EU auf Halde fertigen müssen. Den Hinweis der Firma auf Produktionsprobleme bei einem Zulieferer in Belgien hält die Kommission für nicht stichhaltig.
Ein Kommissionssprecher sagte, EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen habe AstraZeneca-Chef Pascal Soriot mitgeteilt: „Wir erwarten von der Firma, Lösungen zu finden und alle möglichen Spielräume auszunutzen, um schnell zu liefern.“ Er wollte nicht sagen, wie der Unternehmenschef reagiert hat.
EU-Ratschef Charles Michel erhöhte ebenfalls den Druck auf AstraZeneca und stellte mögliche rechtliche Konsequenzen in den Raum. „Wir erwarten, dass die von den Pharmaunternehmen bestätigten Verträge eingehalten werden“, sagte Michel am Sonntag. Um die Einhaltung der Verträge zu gewährleisten, könne die EU auch „juristische Mittel“ nutzen.