Hauptangeklagter Stephan Ernst
Reuters/Kai Pfaffenbach
Deutschland

Lebenslang für Mord an CDU-Politiker Lübcke

Eineinhalb Jahre nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ist am Donnerstag ein Urteil gefallen. Der Hauptangeklagte Stephan E. erhielt nach einem Geständnis lebenslange Haft. Die Tat hatte einen rechtsextremistischen Hintergrund und sorgte über die Grenzen Deutschlands hinweg für Entsetzen.

Die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt am Main stellten bei der Urteilsverkündung eine besondere Schwere der Schuld fest und verhängten die Höchststrafe. Die Verteidigung hatte auf Totschlag plädiert. Lübcke, Regierungspräsident des hessischen Bezirks Kassel, war im Juni 2019 auf der Terrasse des eigenen Hauses erschossen worden, laut Obduktionsergebnis aus nächster Nähe.

Die Tat hatte nach Überzeugung der Anklagevertreter ein rechtsextremistisches, fremdenfeindliches Motiv. Lübcke war in der Nacht auf den 2. Juni 2019 tot auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Ort Wolfhagen-Istha gefunden worden. E. soll ihn aus rechtsextremen Motiven erschossen haben.

Bald wurde bekannt, dass der Politiker nach Äußerungen während der Flüchtlingsbewegung 2015 anonyme Morddrohungen erhalten hatte. Er hatte nach Anfeindungen bei einer Bürgerversammlung für die hiesigen Werte geworben und gesagt: „Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen – das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Unterschiedliche Geständnisse

Der damals 45 Jahre alte E. aus Kassel wurde in der Nacht auf den 15. Juni aufgrund eines DNA-Treffers festgenommen. Einen Tag später wurde ihm der Haftbefehl eröffnet. Die deutsche Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. E. war in der rechtsextremen Szene aktiv und ist einschlägig vorbestraft, etwa wegen eines versuchten Rohrbombenanschlags auf ein Flüchtlingsheim im hessischen Hohenstein-Steckenroth im Dezember 1993.

Im Lauf des Prozesses kam heraus, dass E. vor etlichen Jahren Informationen über etwa 60 Menschen und Objekte gesammelt hatte. Die Ankläger argumentierten, dass E. bereits seit seiner Jugend einer rassistischen Grundhaltung verhaftet sei, auch Bewährungs- und Haftstrafen hätten ihn nicht von seiner Ideologie abgebracht.

Politiker Walter Lübcke im Jahr 2012
AP/dpa/Uwe Zucchi
Walter Lübcke gilt als Opfer des ersten rechtsextremen Mordes an einem deutschen Politiker seit 1945

Laut dem deutschen Innenminister Horst Seehofer (CSU) handelte E. allein. Der Angeklagte hatte während des Prozesses die Tat wiederholt gestanden – jedoch in drei unterschiedlichen Versionen. Dabei belastete er zuletzt den Mitangeklagten Markus H., der mit am Tatort gewesen sei. Dieser äußerte sich selbst nicht. H. wurde zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Der Staatsschutzsenat sprach den 44-Jährigen wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz schuldig. Vom Anklagevorwurf der psychischen Beihilfe zum Mord an Lübcke wurde H. hingegen freigesprochen.

Freispruch von anderer Tat

Den Hauptangeklagten E. sprachen die Richter zugleich vom Vorwurf des versuchten Mordes an einem irakischen Asylwerber 2016 frei, der ebenfalls Teil der Anklage war. E. hatte den Vorwurf stets bestritten, die Bundesanwaltschaft sah ihn aber als erwiesen an.

Nebenkläger war unter anderem die Familie Lübckes – seine Ehefrau und zwei Söhne. Bei der Urteilsverkündung wandte sich der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel direkt an sie: „Wir wissen, dass wir ihren Verlust kaum ermessen können und das Verfahren für Sie sehr schmerzhaft war.“ Das Gericht habe zugleich einen fairen Prozess zu führen gehabt. Darum habe es sich „bemüht“.

Revision angekündigt

Die Familie zeigte sich über das Urteil gegen den Mitangeklagten H. enttäuscht: Man sei überzeugt, dass er mit E. den Mord geplant und vorbereitet habe. „Es schmerzt die Familie, dass das Gericht trotz ihrer Ansicht nach überzeugender Beweislage im Fall H. zu einem anderen Urteil gekommen ist“, sagte ein Sprecher der Lübckes. Man wolle nun in Ruhe entscheiden, ob man Revision einlege.

E.s Verteidiger Mustafa Kaplan sprach von unzureichenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die Erwartungen geweckt hätten. „Im Nachhinein muss man sagen, dass wahrscheinlich jeder Dorf-Sheriff besser ermittelt hätte.“ Die Frage nach einer Revision ließ er unbeantwortet. Der Verteidiger von Markus H., Björn Clemens, sagte, er sei zufrieden mit dem Urteil. Das Verfahren sei rechtsstaatlich verlaufen, und der Senat habe sich nicht von Versuchen, Stimmung gegen den Mandanten zu machen, beeinflussen lassen.

Birigt Schwarz (ORF) zum Urteil im Lübcke-Mordprozess

ORF-Korrespondentin Birigt Schwarz erläutert das Urteil im Mordprozess um den CDU-Politiker Walter Lübcke.

Die Anklage entschied am Donnerstag schon die Frage der Revision. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Dieter Killmer, will Teile des Urteils, den Messerangriff auf einen irakischen Flüchtling sowie den Freispruch für Markus H. von der Mittäterschaft, vom Bundesgerichtshof überprüfen lassen.

Urteil „klares Zeichen“

Das Verbrechen löste großes Entsetzen und Anteilnahme aus, aber auch Häme im Netz. Landesweit wurde nach der Tat unter anderem über einen höheren Schutz von Lokalpolitikern vor Bedrohungen und über die Gefahren durch Rechtsextremismus und Hasskommentare im Internet diskutiert. Es war der erste rechtsextreme Mord an einem deutschen Politiker seit 1945.

Zahlreiche Politiker reagierten auf das Urteil. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schrieb auf Twitter: Die Tat habe einmal mehr gezeigt, wohin Hass und Hetze führten. CDU-Chef Armin Laschet erklärte: „Dem bösen Wort folgt die verbrecherische Tat – das ist eine der schrecklichen Lehren aus dem Mord an unserem Freund Walter Lübcke.“

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, bezeichnete das Urteil als „klares Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus“. Die Parteien in Hessen erinnerten nach dem Urteilsspruch an Lübckes Verdienste und forderten ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechtsextremismus. Der Mörder sei „für die Tat historischer Dimension“ zur Rechenschaft gezogen worden, sagte etwa die Vorsitzende der CDU-Fraktion im hessischen Landtag, Ines Claus.

Besondere Schwere der Schuld

Auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zeigte sich zufrieden über das Urteil. Sie begrüße sehr, dass das Gericht auf Mord erkannt habe und nicht auf Totschlag, sagte Reker am Donnerstag. Der Prozess sei nun abgeschlossen, nicht beendet sein dürfe dagegen die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. „Spätestens seit den NSU-Morden hätten wir nicht die Augen verschließen dürfen vor politischen Morden aus der rechten Ecke“, sagte Reker. Die parteilose Politikerin war 2015 selbst von einem rechtsextremen Attentäter lebensgefährlich verletzt worden.

Lebenslange Haft bedeutet in Deutschland nicht zwingend ein Leben hinter Gittern bis zum Lebensende. Auch zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilte Straftäter müssen dem deutschen Bundesverfassungsgericht zufolge die Chance auf eine vorzeitige Haftentlassung haben. Nicht zutreffend ist aber die verbreitete Auffassung, dass zu lebenslanger Haft Verurteilte automatisch nach 15 Jahren auf Bewährung aus dem Gefängnis freikommen.

Polizeiabsperrung vor dem Wohnhaus des ermordeten Politikers Walter Lübcke
Reuters/Ralph Orlowski
Tatort 2019: Lübckes Haus im hessischen Wolfhagen-Istha

Eine solche Freilassung ist an Voraussetzungen gebunden. Laut deutschem Strafgesetzbuch setzt das Gericht die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren zur Bewährung aus, „wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“. Weitere Voraussetzung ist, dass bei der Verurteilung nicht die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde – so wie das aber bei E. der Fall ist. Damit ist eine Strafaussetzung zur Bewährung nach 15 Jahren üblicherweise ausgeschlossen.