Polizisten und Demonstranten auf der Ringstraße in Wien
APA/Herbert Neubauer
Lob und Kritik

Mehr als 2.000 Anzeigen bei CoV-Protesten

Bei den österreichweiten Protesten gegen die Coronavirus-Maßnahmen am vergangenen Wochenende ist es insgesamt zu rund 2.300 Anzeigen und 32 Festnahmen gekommen, wie aus einer am Montag veröffentlichten Bilanz des Innenministeriums hervorgeht. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) lobte den Einsatz der Polizei – die FPÖ forderte angesichts der Ereignisse unterdessen jedoch seinen Rücktritt.

„Der gestrige Einsatz in Wien hat die Polizistinnen und Polizisten vor ganz besondere Herausforderungen gestellt. Diese Aufgabe wurde mit Konsequenz und Entschlossenheit gelöst“, so Nehammer, der die Arbeit der Polizisten und Polizistinnen als „hervorragend“ lobte. Die große Zahl an Anzeigen sei „Zeichen des konsequenten Einschreitens der Polizei“.

Extremisten, Rechtsradikale und Leugner einer weltweiten Pandemie hätten sich „unter dem Deckmantel des fundamentalen Rechts auf Demonstrationsfreiheit“ mit dem Ziel, die österreichische Demokratie zu schwächen, versammelt. Unter den Teilnehmern hätten sich jedoch auch Familien mit Kindern befunden.

Wiens Polizeichef Gerhard Pürstl und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP)
APA/Herbert Neubauer
Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl und Nehammer zeigten sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Polizeieinsatz zufrieden

Nachdem die Polizei im Vorfeld alle Demonstrationen untersagt hatte, kamen am Sonntag im Zentrum Wiens mehrere tausend Personen zu einem „Spaziergang“ gegen die CoV-Maßnahmen zusammen. Von der unangemeldeten Kundgebung aus zogen mehrere Demonstrationszüge stundenlang durch die Stadt und stürmten den für Autos zunächst nicht gesperrten Ring.

2.000 Anzeigen allein in Wien

Allein in Wien wurden 2.000 Personen angezeigt – 1.776 bei der Versammlung am Sonntag. 13 Demonstrierende wurden festgenommen. Die unangemeldete Kundgebung sei durch die Polizei aufgelöst worden, heißt es in der Aussendung. In diesem Fall hätte das Interesse an der Eindämmung großer Gefahren für die Gesundheit jenes der Versammlungsfreiheit überwogen.

Polizeipräsident Pürstl zum Einsatz der Exekutive

Nach den Protesten in Wien reißt die Kritik am Vorgehen der Polizei nicht ab: Hat die Exekutive die Dimension der Proteste unterschätzt, die teils rechtsextremen Demonstranten zu lange gewähren lassen? Der Wiener Polizeipräsidenten Gerhard Pürstl dazu in der ZIB2.

Unter den Festgenommenen ist Medienberichten zufolge auch Martin Rutter, der früher bei mehreren Parteien (Grüne, FPÖ und BZÖ) aktiv war und bereits mehrere Demos gegen die CoV-Maßnahmen organisiert hat. Er soll versucht haben, einen Beamten zu verletzen.

In Tirol kam es zu 18 Festnahmen und 104 Anzeigen, in Oberösterreich wurden im Zuge von vier Kundgebungen 36 Teilnehmer angezeigt und eine Person festgenommen. In Niederösterreich wurden 18, in der Steiermark 20, in Kärnten elf, in Salzburg 26 und in Vorarlberg 33 Personen zur Anzeige gebracht.

1.600 Verstöße gegen CoV-Verordnung

Rund 1.600 Verstöße seien in direktem Zusammenhang mit der dritten Covid-19-Notmaßnahmenverordnung gestanden – etwa wegen der Missachtung der Ausgangsbeschränkungen und der Maskenpflicht sowie der Nichteinhaltung des Zweimeterabstands.

Ein Demoteilnehmer in Wien habe eine Armschleife in symbolischer Form eines Judensterns getragen. „Die Armschleife wurde von Polizisten umgehend sichergestellt und der Beschuldigte bei der Staatsanwaltschaft Wien nach dem Verbotsgesetz angezeigt“, so das Innenministerium.

Videos zeigen Übergriffe auf Journalisten

Zudem wurden bei der Demo in Wien am Sonntag insgesamt fünf Polizistinnen und Polizisten verletzt. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter kursierten am Abend Videos, die auch Übergriffe auf Journalisten zeigten. Dem Innenministerium zufolge habe bisher jedoch kein Medienvertreter Anzeige erstattet oder sich bei den Kontaktbeamten der Wiener Polizei gemeldet, die störende oder rechtswidrige Handlungen gegen Pressemitarbeiter unterbinden sollen.

Schlagabtausch nach CoV-Demos

Am Sonntag nahmen in Wien bis zu 10.000 Menschen an Demonstrationen gegen die CoV-Maßnahmen der Regierung teil. Elf Personen wurden verhaftet, über 1.700 weitere angezeigt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zufolge liegt die politische Verantwortung für die Geschehnisse bei der FPÖ.

Im Einsatz seien auch Medienkontaktbeamte gewesen – als direkte Ansprechpartner für Journalistinnen und Journalisten im Einsatzraum. „Ihre Aufgabe ist es, bei drohenden Problemen oder Zerwürfnissen zwischen Demo und Medien zu vermitteln, aber auch Kontaktstelle für Anzeigen oder Meldungen seitens der Journalistinnen und Journalisten zu sein.“ Die neue Einsatzkomponente habe sich am Wochenende bewährt und wird auch in Zukunft beibehalten, heißt es in der Aussendung.

SPÖ-Mediensprecher Thomas Drozda zeigte sich angesichts der Angriffe besorgt und forderte am Montag in einer Aussendung Nehammer dazu auf, den Schutz von Journalistinnen und Journalisten zu garantieren. Der Einsatz von einzelnen Kontaktbeamten reicht da sicher nicht aus“, so Drozda, der auch eine parlamentarische Anfrage zu den Übergriffen ankündigte.

Protestveranstaltung gegen die Corona Maßnahmen
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Insgesamt 13 Personen wurden in Wien von der Polizei festgenommen

Nehammer sieht Schuld bei Kickl

Nehammer gab erneut seinem Vorgänger Kickl und dessen Partei FPÖ die Schuld an den Vorkommnissen. Es sei „völlig absurd, dass ausgerechnet ein ehemaliger Innenminister Öl ins Feuer gießt und unheilige Allianzen mit Rechtsradikalen schmiedet“. An den Protesten hatten sich auch der rechtsextreme Identitäre Martin Sellner und der verurteilte Neonazi Gottfried Küssel beteiligt.

Kickl wiederum kritisierte den Innenminister: Dieser werde sich „für seine Eskalationsstrategie gegen friedliche Bürger“ verantworten müssen. „Die Ereignisse der letzten Tage haben gezeigt, dass Nehammer die Polizei in parteipolitische Geiselhaft nimmt und sie auf friedliche Regierungskritiker hetzen will.“ Die FPÖ beantragte am Montag wegen der untersagten Demos eine Nationalratssondersitzung und will dabei eine Dringliche Anfrage an Nehammer einbringen.

Der Titel lautet „Für die Freiheit – Gegen Zwang, Willkür und Rechtsbruch“ und sei damit bewusst identisch mit dem Motto der untersagten Demonstration vom Wochenende gewählt, erläuterte Kickl. Die FPÖ will damit „den unermüdlich gegen den Corona-Wahnsinn kämpfenden Bürgern auch eine Stimme im Hohen Haus geben und ihre Anliegen verstärkt in die politische Debatte einbringen“, begründete Kickl diesen Schritt.

SPÖ: Untersagung „falsche Entscheidung“

Auch FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst sah angesichts der Demoverbote vom Wochenende die Grundrechte in ernsthafter Gefahr: „Wir erleben eine Entrechtung in unserem Land. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wurden de facto abgeschafft. Dagegen gilt es anzukämpfen.“

SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner sieht in der Untersagung der Veranstaltung ebenso eine „falsche Entscheidung“. Der Abgeordnete stellte klar, dass es möglich sein müsse, während der Pandemie die Versammlungsfreiheit auszuleben, solange es dafür klare Auflagen gibt, die auch eingehalten werden: „Menschen haben das Recht zu demonstrieren, aber ohne andere Menschen gesundheitlich zu gefährden.“ Und weiter: „Die Untersagung einer Demonstration – die dann dennoch – unter chaotischen Bedingungen und ohne Einhaltung von gesundheitsschützenden Auflagen – stattfindet, war jedenfalls die schlechteste Variante.“

Protestveranstaltung gegen die Corona Maßnahmen
APA/Herbert Neubauer
Die Proteste sorgten für einen politischen Schlagabtausch zwischen ÖVP und FPÖ

ÖVP fordert Rücktritt von FPÖ-Mandataren

Die ÖVP sieht drei freiheitliche Nationalratsabgeordnete rücktrittsreif. Sicherheitssprecher Karl Mahrer nannte Christian Hafenecker, Dagmar Belakowitsch und Petra Steger in einer Aussendung ein „Corona-Leugner-Trio“. Diese hätten stolz ohne Einhaltung des Mindestabstands sowie ohne Mund-Nasen-Schutz für ein gemeinsames Gruppenfoto posiert.

Mit ihrer Anwesenheit und den im Vorfeld initiierten Aufrufen zur Demoteilnahme seien die FPÖ-Abgeordneten verantwortlich für die Ausschreitungen gegenüber Einsatzkräften sowie Passanten. Sie seien zudem offensichtlich bewusst zu „Gehilfen“ der rechtsextremen Szene mitsamt ihrer Interessen und Ideologien geworden: „Ihr Rücktritt ist die einzig logische Konsequenz“, sagte Mahrer.

FPÖ hält Nehammer für „Lachnummer“

Die FPÖ sieht hingegen die Regierung, von ihr „Kurz-Truppe“ genannt, als rücktrittsreif. Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer erkannte bei der Volkspartei „geifernde Wortspenden“, die Ausdruck der durch die ÖVP forcierten und gleichzeitig gescheiterten Eskalationstaktik seien. Nehammer bezeichnete der stellvertretende Klubchef überhaupt gleich als „Lachnummer“.

Die FPÖ hätte laut Amesbauer gerne die Verantwortung übernommen und im geordneten und sicheren Rahmen dem Protest eine Plattform geboten. Nachdem die „ÖVP-Truppe“ selbst davor nicht mehr zurückschrecke, erstmalig in der Zweiten Republik eine politische Kundgebung einer Parlamentspartei zu untersagen und das verfassungsmäßig verbriefte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit mit Füßen zu treten, liege die alleinige Verantwortung für die Geschehnisse bei jenen, die diese Untersagung betrieben hätten.

Am Abend äußerte sich dann noch FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz: Man sehe den angekündigten Anzeigen gelassen entgegen. Die drei Abgeordneten seien aus einem „speziellen Grund“ bei der Demo gewesen – nämlich alarmiert durch Videos, auf denen rüdes Vorgehen von Polizisten gegen „friedliche Spaziergänger“ zu sehen gewesen sei. Mit dem Hinweis, sie seien für „parlamentarische Beobachtung“ unterwegs, seien sie durch mehrere Polizeisperren gekommen. Und: Sollte es dennoch Strafbescheide geben, könnte man damit zum Höchstgericht gehen und „wahrscheinlich weitere verfassungswidrige Maßnahmen“ zu Fall bringen, so Schnedlitz.

Parlamentarische Anfrage der Grünen

Indes stellten Abgeordnete der Grünen, unter ihnen auch Eva Blimlinger, David Stögmüller, Georg Bürstmayr sowie den Unterschriften zufolge wohl auch Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer, eine fünfseitige parlamentarische Anfrage an Nehammer. Die Fragen beziehen sich etwa auf die Planung des Polizeieinsatzes („offensichtlich wurde die Anzahl der Teilnehmenden von den Behörden unterschätzt“), das Vorgehen der Polizei gegen Rechtsextreme und Hooligans sowie gegen die „kleine Gruppe von Gegendemonstrantinnen antifaschistischer Ausrichtung“.

Auch mehrere Abgeordnete der Grünen seien an Ort und Stelle gewesen, so heißt es in der Einleitung der Anfrage: „Die Polizei ging über weite Strecken zögerlich bis gar nicht gegen die Demonstranten vor, unternahm nur zögerlich den Versuch, die von ihr vor Ort verkündete Auflösung der Versammlung auch durchzusetzen und begleitete in weiterer Folge entstehende ‚spontane‘ Demonstrationszüge über längere Zeit ohne sichtbare Versuche, diese anzuhalten oder zu unterbinden (…)“. Wiens Polizeipräsident Gerhard Pürstl verteidigte den Polizeieinsatz am Vortag und sprach von einer Deeskalationsstrategie. In der ZIB2 nahm Pürstl zudem am Montag Stellung zu den Vorwürfen. Die Polizei habe sowohl deeskalierend gehandelt als auch die Einhaltung der CoV-Bestimmungen verfolgt.