Frontex-Boot
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Treffen mit Waffenlobby

Neue Vorwürfe erhöhen Druck auf Frontex

Die wegen der illegalen Zurückdrängung von Geflüchteten (Pushbacks) unter Druck geratene EU-Grenzschutzagentur Frontex sieht sich mit neuen Vorwürfen konfrontiert: Ein Recherchekollektiv rund um den Satiriker Jan Böhmermann warf der Behörde Falschaussagen zu Treffen mit Lobbyisten aus der Rüstungsindustrie vor. Zuvor berichtete der „Spiegel“ auch von Ermittlungen wegen eines Betrugsfalls. Die Kritik an Frontex wurde daraufhin am Samstag lauter.

Böhmermann, Moderator der Satiresendung „ZDF Magazin Royale“, erklärte am Freitagabend, die Grenzschutzbehörde habe 2018 die Frage eines EU-Parlamentsabgeordneten verneint, ein Jahr zuvor an Treffen mit Lobbyisten teilgenommen zu haben. Es sei angegeben worden, dass es nur Treffen mit im EU-Transparenzregister aufgeführten Vertretern gab.

Den Unterlagen zufolge, die Böhmermann und dessen Team vorlagen, gab es aber in dem fraglichen Jahr vier Treffen mit Lobbyisten. Von denen seien mehr als die Hälfte nicht bei der EU registriert gewesen. Bei Treffen in den folgenden zwei Jahren waren den Angaben zufolge knapp drei von vier Interessenvertretern nicht bei der EU registriert.

Jan Böhmermann
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Jan Böhmermann wirft Frontex Falschaussagen zu Treffen mit Lobbyisten aus der Rüstungsindustrie vor

Böhmermann mit „Frontex Files“

Bei den Treffen präsentierten die Unternehmen laut der von Böhmermann initiierten Website „Frontex Files“ unter anderem Waffen und Munition und versuchten, Einfluss auf die Politik der Agentur zu nehmen. Besonders interessiert hätten sich die EU-Grenzschützer bei den Treffen für die Sammlung, den Gebrauch und die Speicherung biometrischer Daten. Diese sollten langfristig eine Identifizierung durch Pässe überflüssig machen. Die Nutzung von Gesichtserkennungstechnologien ist innerhalb der EU jedoch umstritten.

Das „ZDF Magazin Royale“ wertete nach eigenen Angaben gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation Frag den Staat 142 Dokumente zu 16 Treffen mit Firmenvertretern zwischen 2017 und 2019 aus – zu den von Frontex organisierten Industry Meetings sollen unter anderen Vertreter des österreichischen Waffenherstellers Glock, des Flugzeugherstellers Airbus sowie des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch eingeladen gewesen sein. Einladungen sollen auch Regierungsvertreter etwa aus Australien und Angola sowie internationale Organisationen wie Europol, Interpol und OSZE bekommen haben. Frontex wies die Vorwürfe zurück.

Frontex steht seit Wochen unter Druck

Frontex und sein Chef, der Franzose Fabrice Leggeri, stehen seit Wochen wegen der Pushback-Vorwürfe massiv unter Druck. Im Oktober hatten verschiedene Medien über die angebliche Verwicklung der Agentur in Pushbacks durch die griechische Küstenwache berichtet, weshalb die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF Ermittlungen aufnahm.

„Spiegel“-Enthüllungen zu Betrugsfall

Laut dem „Spiegel“ ermittelt OLAF nun auch wegen eines möglichen Betrugsfalls im Zusammenhang mit einem polnischen IT-Unternehmen. Dabei habe die polnische IT-Firma Frontex Software verkauft, berichtete das Magazin weiter. Frontex-Mitarbeiter hätten bei ihren Vorgesetzten bemängelt, dass diese unzureichend funktioniere. Die Behörde habe trotzdem einen großen Teil der vereinbarten Summe gezahlt.

Mitarbeiter hätten laut internen Dokumenten darauf hingewiesen, dass die Unregelmäßigkeiten einen Betrugsfall darstellen könnten. Den Angaben zufolge erfuhr auch Frontex-Chef Leggeri von dem Fall, der aber nicht umgehend OLAF gemeldet worden sein soll.

Laut dem „Spiegel“-Bericht, der sich auf gemeinsame Recherchen mit der Medienorganisation Lighthouse Reports und der französischen Zeitung „Liberation“ stützt, untersuchen die OLAF-Ermittler auch, ob Offizielle angewiesen wurden, der Grundrechtsbeauftragten der Agentur Informationen vorzuenthalten. Frontex erklärte auf AFP-Anfrage zu dem „Spiegel“-Bericht, OLAF habe die Behörde gebeten, keine Details der Ermittlungen zu veröffentlichen.

UNHCR begrüßt EU-Vorschlag

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) verlangte indes eine bessere Überwachung möglicher Grundrechtsverletzungen bei Frontex. „UNHCR ist beunruhigt und alarmiert über die Zunahme von Berichten über Zurückweisungen und ‚Pushbacks‘ von Flüchtlingen und Asylsuchenden an Europas Land- und Seegrenzen“, sagte die Vertreterin von UNHCR in Deutschland, Katharina Lumpp, der dpa.

Als Mitglied eines unabhängigen Konsultationsforums, das Frontex zu Grundrechten und Flüchtlingsschutz berät, habe das UNHCR „wiederholt auf Mängel im Frontex-Meldeverfahren für solche schwerwiegenden Vorfälle hingewiesen und Frontex aufgefordert, ein zuverlässiges Melde- und Überwachungssystem für Grundrechtsverletzungen einzurichten“, so Lumpp.

„Vorfälle von Zurückschiebungen und Gewalt gegenüber Schutzsuchenden wären nicht nur inakzeptabel, sondern auch rechtswidrig.“ Das UNHCR begrüße den Vorschlag der EU-Kommission, hier unabhängige nationale Überwachungsmechanismen einzuführen. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson nannte die Medienberichte zuvor am Freitag „sehr besorgniserregend“.

Forderung nach EU-Untersuchungsausschuss

Die Fraktionschefin der deutschen Grünen, Katrin Göring-Eckardt, plädierte am Samstag als Konsequenz aus den Skandalen für eine Neuaufstellung der Frontex. „Es kann nicht so weitergehen, Frontex muss neu aufgestellt werden“, sagte die Grünen-Politikerin der Funke-Mediengruppe am Samstag. Die Europäischen Staaten hätten Frontex in den vergangenen Jahren mit „immer mehr Mitteln und Kompetenzen aufgeblasen, aber auf eine Kontrolle dieser wildwüchsigen Grenzagentur verzichtet“.

Der Chef von Pro Asyl, Günter Burkhardt, forderte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP als Konsequenz den Abzug deutscher Polizisten aus der Grenzschutzbehörde. Zudem reiche es nicht aus, nur die Spitze der Behörde auszutauschen. „Es muss einen EU-Untersuchungsausschuss geben, der der Verantwortlichkeit innerhalb der EU-Kommission auf den Grund geht“, sagte Burkhardt.

„Spiegel“ mit weiteren Vorwürfen gegen Frontex-Chef

Schon im Jänner hatte es aus EU-Kreisen geheißen, die OLAF-Ermittlungen erstreckten sich auch auf weitere mögliche Fälle von Fehlverhalten und auf Berichte über Schikanen innerhalb der Behörde. Dem „Spiegel“-Bericht zufolge prüft OLAF, ob Frontex-Chef Leggeri oder sein Kabinettschef Mitarbeiter angeschrien oder schikaniert haben.