Autobahn mit Rastplätzen aus der Vogelperspektive
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„Natur statt Beton“

Ruf nach Ende der Verbauung Österreichs

Durch den Bau von Gebäuden, Parkplätzen, Einkaufszentren und Straßen werden in Österreich pro Tag 13 Hektar Boden verbraucht. Pro Minute werden folglich rund 100 Quadratmeter biologisch produktiven Bodens verbaut oder versiegelt, also mit Beton oder Asphalt überzogen. Das geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Bodenreport des WWF hervor. Die Naturschutzorganisation fordert von der Politk nun ein Ende des Flächenfraßes.

„Die extreme Verbauung zerstört unsere Umwelt, beschleunigt die Klimakrise und belastet die Gesundheit der Menschen“, heißt es in dem aktuellen WWF-Bericht. Fast ein Fünftel der bewohnbaren bzw. landwirtschaftlich geeigneten Fläche Österreichs sei bereits verbaut, der Bodenverbrauch steige im Durchschnitt mehr als doppelt so schnell wie die Bevölkerung. Ein Blick aus dem Fenster genüge und jeder erkenne, „dass wir hier ein Problem haben“, sagt Maria Schachinger, WWF-Bodenschutzsprecherin.

Und weiter: „Wenn wir so weitermachen, verbauen wir alle zehn Jahre die Fläche Wiens.“ Die Ursachen dafür seien vielfältig: „Zersplitterte Kompetenzen in der Raumordnung, zahnlose Kontrollen der Behörden, falsche finanzielle Anreize und umweltschädliche Subventionen tragen dazu bei, dass wertvolle Flächen unnütz verschwendet werden“, so die Naturschutzorganisation, die in ihrer Petition „Natur statt Beton“ fordert.

Baukräne hinter Bäumen
ORF.at/Christian Öser
Zubetoniert: Der hohe Bodenverbrauch ist dem WWF zufolge „eines der dringlichsten Umweltprobleme unserer Zeit“

„Müssen mit unseren Böden sorgsamer umgehen“

Vor allem aber würden verbindliche Reduktionsziele fehlen. So wurde in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes etwa bereits 2002 beschlossen, dass ab 2010 nur noch maximal 2,5 Hektar pro Tag verbraucht werden dürften. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt jedoch, dass dieses Ziel weit verfehlt wurde: nämlich seit 2010 um insgesamt über 42.000 Hektar. Derzeit liegt Österreich mit 13 Hektar täglich über dem Fünffachen des Zielwertes.

Der Stadtplaner Reinhard Seiß stellte bereits 2019 fest: „Dieser Umgang kann nicht mehr nur als verschwenderisch bezeichnet werden, er ist in hohem Maße verantwortungslos. Boden ist selbstredend nicht vermehrbar, fruchtbarer Boden schon gar nicht.“ Für das Umweltbundesamt ist daher klar, dass wir „mit unseren Böden wesentlich sorgsamer umgehen“ müssen, wie es gegenüber ORF.at heißt.

Lob und Kritik für „Bodenschutzstrategie“ der Regierung

Auch im aktuellen Regierungsprogramm ist eine bundesweite „Bodenschutzstrategie“ enthalten, die erneut die Reduktion des Flächenverbrauchs auf 2,5 Hektar pro Tag vorsieht. Insgesamt lassen sich laut WWF sogar 22 bodenschutzrelevante Punkte finden – etwa eine Stärkung der überregionalen Raumplanung, eine Ökologisierung der Wohnbauförderung und ein verpflichtender „Klimacheck“, der den Bodenverbrauch miteinbezieht.

Für das Umweltbundesamt sei die Bodenschutzstrategie „ein wichtiger Baustein“. Der WWF kritisierte Ende Jänner unterdessen, dass von dieser Strategie jedoch erst vier Punkte teilweise umgesetzt wurden, 18 noch gar nicht. Schachinger spricht von „Lippenbekenntnissen“ der Politik. WWF-Programmleiterin Hanna Simons verweist auf umstrittene Umwidmungen grüner Wiesen , die dadurch zustande kämen, dass bei all den existierenden Strategien und Plänen eben eine „rechtliche Verbindlichkeit“ fehle.

Grafik zum Bodenverbrauch in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: WWF/UBA

Drastische Folgen für die Umwelt und Natur

Dabei sei der hohe Bodenverbrauch „eines der dringlichsten Umweltprobleme unserer Zeit“, wie es in dem WWF-Bodenreport heißt. Die Verbauung habe etwa drastische Folgen für die biologische Vielfalt – werden dadurch doch wertvolle Lebensräume zerstört, was in weiterer Folge zu einem Artensterben führe.

Bereits jetzt stehe rund ein Drittel der heimischen Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Noch dramatischer sei die Situation rund um die Flüsse: Aufgrund der starken Verbauung – etwa durch Wasserkraftwerke – gelten bereits mehr als die Hälfte aller heimischen Fischarten als gefährdet bzw. sogar vom Aussterben bedroht. „Die Arten und Lebensräume in Österreich sind in einem sehr schlechten Zustand, der Bodenverbrauch ist dabei ein wichtiger und oft unterschätzter Faktor“, stellt auch WWF-Biodiversitätsexperte Bernhard Kohler fest.

Auswirkungen auch auf den Menschen

Nicht zuletzt sei es aber auch der Mensch selbst, der unter dem extremen Bodenverbrauch zu Schaden kommen könne: „Unsere Ernährung hängt genauso von ökologisch intakten Böden ab wie unser Zugang zu Trinkwasser, zu sauberer Luft, zur Abkühlung im Sommer sowie dem Schutz vor Hochwasser und anderen Naturkatastrophen“, heißt es dazu im Bodenreport.

Schließlich seien unverbautes Grünland, intakte Wälder und offene Wasserflächen „die größten Klimaanlagen Österreichs“. Denn ist der Boden erst einmal versiegelt, gingen alle biologische Funktionen verloren. Gerade aufgrund der stetig zunehmenden Erderwärmung und der damit verbundenen Extremwetterereignisse brauche es jedoch Abkühlung und keine „Hitzeinseln“.

Parkplatz nahe dem Untersberg in Salzburg
ORF.at/Christian Öser
Wird der Boden durch Parkplätze wie diesen versiegelt, könne er nicht mehr zur Abkühlung beitragen, wodurch es zu „Hitzeinseln“ komme, so der WWF

Ähnlich äußert sich das Umweltbundesamt: „Böden zählen zu unseren wichtigsten Lebensgrundlagen. Sie liefern uns Nahrungsmittel, speichern Kohlenstoff zur Minderung des Klimawandels, reinigen das Regenwasser zu Trinkwasser, vermeiden als Wasserspeicher Überflutungen von Siedlungen und beherbergen eine große Vielfalt an Lebewesen, die auf und im Boden leben.“ Nur unversiegelte Böden könnten diese Ökosystemleistungen für die Gesellschaft bereitstellen.

Zersiedelung als großes Problem

Der übermäßige Bodenverbrauch zeige sich vor allem in drei Bereichen: der Zersiedelung, dem Straßenbau und der Großinfrastruktur – wie der Verbauung alpiner Regionen mit touristischer Infrastruktur.

Sieben Prozent unberührt

Nur mehr rund sieben Prozent der Landesfläche seien als „sehr naturnah“ einzustufen und gelten als „Freiräume“, so der Bodenreport.

Bei der Zersiedelung komme es zur Abwanderung an den Ortsrand, was bedeute, dass Supermärkte, Gewerbeparks und Industriekomplexe zunehmend in die Grünräume in der Umgebung von Siedlungen vordringe. Im Umkehrschluss bedeute das, dass die Ortskerne verwaist zurückblieben und Leerstand um sich greife. Insgesamt stünde in Österreich eine Fläche von etwa der Größe Wiens leer.

Eine weitere Folge der Zersiedelung sei, dass es zu einem verstärkten Straßenbau komme: „Mit nahezu 15 Metern Straße pro Kopf zerschneidet eines der dichtesten Straßennetze Europas die österreichische Landschaft und damit wertvolle Grünflächen, Lebensräume und Wanderrouten von Wildtieren“, so der Bericht. Insgesamt würden Verkehrsflächen rund 36 Prozent des gesamten Bodenverbrauchs in Österreich ausmachen.

WWF fordert „Bodenschutzvertrag“

Der WWF fordert folglich eine umfassende Ökologisierung der Raumordnung „mit festen Siedlungsgrenzen und Grünraumschutz“ sowie ein Anreizsystem, das die Flächenverschwendung bekämpft, verwaiste Ortskerne belebt und die Weiternutzung von Leerstand und Brachflächen fördert. Als Positivbeispiel nennt der WWF hier Deutschland, wo durch festgelegte Siedlungsgrenzen statt 130 Hektar nur noch 56 Hektar täglich verbaut würden.

Zudem verlangt die Naturschutzorganisationen einen „Bodenschutzvertrag“, in dem Bund, Länder und Gemeinden verbindliche und wirksame Maßnahmen gegen den Flächenfraß vereinbaren und Naturschutzgebiete festlegen. Der Bodenverbrauch solle bis 2030 auf „maximal einen Hektar pro Tag“ reduziert werden. Das erfordere „eine Ökologisierung des Steuersystems, den Abbau umweltschädlicher Subventionen und eine großangelegte Naturschutzoffensive“.

Landschaft bei St. Michael
ORF.at/Roland Winkler
„Bodenschutz bedeutet, das Naturkapital unserer Gesellschaft zu sichern“, ist das Umweltbundesamt überzeugt

„Jeder Einzelne kann zum Bodenschutz beitragen“

Auch für das Umweltbundesamt ist ein nachhaltiges Flächenmanagement für die Erhaltung der Bodenleistungen „unerlässlich“, schließlich bedeute Bodenschutz, das „Naturkapital unser Gesellschaft zu sichern“. Österreich stehe dabei vor der Herausforderung, Böden in Zukunft „viel effizienter“ zu nutzen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. „Dazu ist es notwendig, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, um hochwertige Böden und Naturräume langfristig vor Verbauung zu schützen.“

Doch auch jeder und jede Einzelne könne mit täglichen Konsumentscheidungen zum Bodenschutz beitragen, etwa durch den Kauf regionaler Lebensmittel. Auch die Wahl des Verkehrsmittels sowie die Art des Wohnens hätten Einfluss auf den Bedarf an Verkehrs- und Wohnfläche. Doch selbst wer in einem Einfamilienhaus wohne, könne Schritte gegen die Versiegelung setzen – beispielsweise bei der Gestaltung des eigenen Parkplatzes und der Gehwege im eigenen Garten. So ermögliche die Verwendung von Rasengittersteinen und geschotterten Wegen einen Gas- und Wasseraustausch und somit „Leben im Boden“.

Schachinger rät dazu, bestehende Gebäude neu zu nutzen und auch auf bewusste Freizeitentscheidungen zu achten – etwa ein kleineres Skigebiet zu wählen als das große auf dem Gletscher. Als Konsument hätte man aber nicht ganz so viel Entscheidungsfreiheit, was den Bodenverbrauch betreffe: „Der Ball liegt bei der Politik.“