Zwei Bundespolizisten kontrollieren die Dokumente von Reisenden an der Autobahn A93 bei Kiefersfelden in Richtung Deutschland
APA/dpa/Matthias Balk
„Leider notwendig“

Deutschland verteidigt Grenzkontrollen zu Tirol

Das deutsche Innenministerium hat die seit Sonntag stattfindenden stationären Grenzkontrollen zu Tirol und Tschechien verteidigt. „Das ist nicht schön, das will an sich keiner. Jeder von uns ist für ein freies und offenes Europa“, sagte der Staatssekretär im deutschen Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), Montagfrüh im Deutschlandfunk. Die EU-Kommission bekräftigte dagegen ihr Missfallen mit den Grenzkontrollen.

Die Grenzkontrollen seien aber „leider notwendig“, um die Ausbreitung der Virusmutationen zu hemmen. Bereits jetzt würden bayrische Landkreise im Grenzbereich zu Tirol und Tschechien „deutlich höhere“ Inzidenzen als der Rest des Freistaates aufweisen, so Mayer. „Es gibt aus meiner Sicht schon eine klare Schlussfolgerung“, betonte er.

In den kommenden beiden Tagen werde es darum gehen, „Ausnahmen zu finden, insbesondere für Betriebe im Grenzbereich“. Er sei der festen Überzeugung, dass „gemeinsam mit der Wirtschaft und mit den Partnerländern Tschechien und Österreich vernünftige Lösungen“ gefunden werden könnten, sagte Mayer. Bisher seien 10.000 Menschen an den Grenzen kontrolliert worden. Etwa die Hälfte von ihnen musste umkehren.

Mayer: Brauchen keine „Belehrungen“ aus Brüssel

„Belehrungen“ aus Brüssel brauche Bayern jedenfalls nicht. Die EU-Kommission hatte schon am Freitag auf Ausnahmen, etwa für Pendler und Pendlerinnen, gedrängt. Ein Sprecher der Behörde erinnerte daran, dass sich die EU-Staaten erst kürzlich auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen in Coronavirus-Zeiten geeinigt hätten. Man erwarte, dass alle Länder danach handelten.

Am Montag bekräftigte die EU-Kommission ihr Missfallen mit den deutschen Grenzkontrollen und Einreiseverboten. Die jüngsten Empfehlungen der EU-Staaten seien sehr deutlich und sollten der Kompass aller EU-Staaten sein, hieß es in einer Stellungnahme. Andernfalls drohten Fragmentierung und Störungen der Freizügigkeit. „Wir erwarten von allen Mitgliedsstaaten, dass sie diesem abgestimmten Ansatz folgen.“ Die EU sei effizienter, wenn alle zusammen handelten und nicht einseitig.

Die EU-Kommission stimme zwar darin überein, dass von nicht notwendigen Reisen aus Gebieten mit besonders vielen CoV-Infektionen dringend abgeraten werden solle, sagte der Sprecher. Grenzschließungen oder pauschale Einreiseverbote sollten jedoch vermieden werden. Der Sprecher betonte, dass die Behörde die Maßnahmen mehrerer EU-Staaten prüfe, und verwies unter anderem auf Belgien. Das Nachbarland verbietet derzeit alle nicht notwendigen Reisen in und aus dem Königreich.

Österreich protestierte gegen Einreisekontrollen

Zunächst gelten die strikteren Einreiseregeln für zehn Tage. Was danach passiert, könne man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. „Man muss auf Sicht fahren“, so Mayer. Auch ihm wäre es lieber, wenn die Grenzkontrollen dann bereits „obsolet“ wären, doch hingen die Maßnahmen von der weiteren Ausbreitung des Virus ab.

Österreich protestierte in einem Gespräch mit dem deutschen Minister erneut gegen Einreisekontrollen. Bei dem Treffen auf hoher Beamtenebene habe man noch einmal darauf hingewiesen, dass die „extrem strengen“ Maßnahmen „unverhältnismäßig“ seien. Die Grenzkontrollen stünden in einem „klaren Widerspruch zu den ‚lessens learned‘ des letzten Frühjahres“, teilte das Außenressort mit. „Wir sind alle dringend aufgefordert, die Fehler vom Frühjahr 2020 nicht zu wiederholen und die ohnehin stark geschwächte Wirtschaft noch weiter massiv zu behindern. Immerhin tragen wir gemeinsam Verantwortung für eine der wesentlichen Wirtschaftsadern auf unserem Kontinent.“

„Unsinn“ gegen „absolut inakzeptabel“

Zuvor hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die scharfe Kritik aus Österreich und Tschechien an den deutschen Grenzsperren zu den Mutationshotspots deutlich zurückgewiesen. „Was für ein Unsinn“, sagte Söder. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte die strikten Grenzsperren zu Tirol als „absolut inakzeptabel“ bezeichnet. Söder sei überzeugt, dass es Europa stärke, wenn es gelinge, eine neue CoV-Welle zu verhindern.

Deutsches Einreiseverbot in Kraft

Die Einreise aus Tirol nach Deutschland ist bis auf wenige Ausnahmen untersagt. Die deutsche Regierung befürchtet, dass die in Tirol häufig auftretende Virusmutation ins Land eingeschleppt werden könnte. ORF-Reporter Alexander Weglehner gibt eine Einschätzung, wie die Verkehrslage unter der Woche aussehen wird.

Montagfrüh kam es zunächst zu keinen kontrollbedingten Staus an der Grenze zwischen Tirol und Bayern. Die Kontrollen hatten aber Auswirkungen bis nach Italien: Bis zu 40 Kilometer lang stauten sich Medienberichten zufolge am Montag vor allem Lastwagen auf der Autobahn Richtung Norden. In Italien wurden viele Fahrzeuge bereits bei Verona gestoppt, mehr als 200 Kilometer vor der Grenze. Dort wurde kontrolliert, ob die Fahrer die nötigen Unterlagen für den Grenzübertritt haben – damit sie nicht in den Alpen bei minus zehn Grad Celsius strandeten. Außerdem wurden entlang der Straße Testzentren eingerichtet.

Grafik zu Grenzsperren in Tirol
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Kilometerlange Staus gab es auch in Tschechien auf der Autobahn E55/D8 Prag – Dresden und auf der E50/D5 in Richtung Nürnberg. Dort bildete sich vorübergehend eine mehr als 20 Kilometer lange Lkw-Kolonne. Tschechien mit seinen Zulieferern gilt auch als „verlängerte Werkbank“ für viele deutsche Unternehmen.

Systemrelevantes Pendeln erlaubt

Ziel der deutschen Grenzkontrollen ist es, das Einschleppen von ansteckenderen Varianten des Coronavirus über die Grenze einzudämmen. Sowohl in Tschechien als auch in Tirol sind diese Varianten deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb dürfen aus den betroffenen Gebieten derzeit nur noch Deutsche sowie Ausländerinnen und Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gab es zunächst nur für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger, Lkw-Fahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Leere Autobahn bei Kiefersfelden
APA/AFP/Christoph Stache
Auf der bayrischen Seite der Grenze blieben die Autobahnen am Sonntag leer

Künftig sollen nun aber auch Berufspendler einreisen dürfen, die gebraucht werden, um die Funktionsfähigkeit ihrer Betriebe in systemrelevanten Branchen aufrechtzuerhalten. Sie müssen dafür bis einschließlich Dienstag ihren Arbeitsvertrag dabeihaben. Danach sollen die Länder Bayern und Sachsen Betriebe als systemrelevant definiert und individuelle Bescheinigungen ausgestellt haben, die an der Grenze vorgezeigt werden sollen. Voraussetzung für die Einreise der Mitarbeiter ist aber weiter ein maximal 48 Stunden alter negativer Test, zudem müssen sie sich digital vor der Einreise anmelden.

Zuvor hatte Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) eine Ausnahme für alle Tiroler Pendler und Pendlerinnen gefordert. Die derzeitige Situation sei „absolut inakzeptabel“. Das Pendeln für berufliche Zwecke oder Ausbildungszwecke über das kleine und das große deutsche Eck ist wieder möglich, hieß es am Montagnachmittag – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Viele deutsche Betriebe hatten zudem befürchtet, am Montag nicht wie gewöhnlich produzieren zu können. Denn allein in Bayern arbeiten nach den aktuellsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 22.000 Tschechinnen und Tschechen und 9.600 Österreicherinnen und Österreicher, viele davon im verarbeitenden Gewerbe.

Test und Quarantäne in Italien

Verschärfungen sind allerdings nicht allein auf die deutschen Grenzen beschränkt. Auch Italien schränkte die Einreise aus Österreich weiter ein. Reisende aus Österreich brauchen seit Sonntag einen negativen CoV-Test und müssen in Quarantäne. Der italienische Gesundheitsminister Roberto Speranza will mit der vorerst bis 5. März geltenden Verordnung die Verbreitung der Virusmutationen einschränken. Die italienische Verordnung könnte verlängert werden, sollten es die Umstände erfordern.

Die Maßnahmen gelten für jede Person, die sich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Stunden in Österreich aufgehalten hat, also auch für Durchreisende. Vor der Einreise nach Italien muss ein negativer Test vorgelegt werden, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Innerhalb von 48 Stunden nach der Einreise in Italien müssen sich aus Österreich kommende Personen einem weiteren Test und einer 14-tägigen Quarantäne unterziehen. Danach müssen sie einen negativen Test vorlegen.

Ausreisekontrollen in Österreich

Die Grenzkontrollen bei der Ausreise aus Tirol sind problemlos verlaufen. Von Freitag bis Sonntag wurden insgesamt 41.144 Personen und 27.259 Fahrzeuge kontrolliert, sagte Polizeipressesprecher Dummer. 1.111 Personen wurde die Ausreise aufgrund eines fehlenden negativen Corona-Tests verweigert. Bis zum späten Vormittag war die Lage auf den Straßen jedenfalls ruhig, es gab kaum Staus. Generell sei das Verkehrsaufkommen, auch bei den Lkw, zurückgegangen, so Dummer.