Auskunftsperson Niko R. beim Ibiza Untersuchungsausschuss
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Schredder-Ermittler

Von Strache-SMS bis „Datenstaub“

Bisher haben Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Arno M. ihre Sichtweisen auf die bereits eingestellte Schredderaffäre darlegen können. Am Donnerstag wurde im „Ibiza“-U-Ausschuss nun jener „SoKo Ibiza“-Kriminalpolizist befragt, der in der Causa ermittelte. Im Fokus standen eine SMS, die er nie wieder so verfassen würde, und ein Handy, das ständig vibrierte, aber nicht beschlagnahmt wurde.

R. hatte kurz nach dem Rücktritt des damaligen Vizekanzlers und FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache diesem eine aufmunternde SMS geschrieben („Kopf hoch“). Außerdem kandidierte der Kriminalbeamte, der auch in der Schredderaffäre ermittelt hat, 2015 bei einer Gemeinderatswahl auf der ÖVP-Liste. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vermutete bei R. Befangenheit. Das sahen sowohl der Leiter der „SoKo Ibiza“ als auch der damalige Justizminister Clemens Jabloner anders. Der „bloße Umstand einer Mitgliedschaft in einer Partei (…) vermag noch keinen Anschein einer Befangenheit zu begründen“, teilte Jabloner mit.

R. sagte am Donnerstag, dass er zu Strache ein „loses Verhältnis“ habe, aber „kein freundschaftliches“. Die SMS würde er heute nicht mehr so schreiben. Sie sei „unüberlegt in einer privaten Runde verfasst und geschickt“ worden, so die Auskunftsperson. Zu seiner Kandidatur für die ÖVP im Jahr 2015 sagte R.: „Ich habe in einer kleinen Gemeinde auf einem aussichtslosen 16. Listenplatz kandidiert.“ Dass er nun im Internet als ÖVP-Kandidat noch aufzufinden sei, sei ihm bewusst. Er habe zwar versucht, die Kandidatenliste löschen zu lassen, das habe aber „nicht gefruchtet“. Auf die Ermittlungen zur Schredderaffäre habe es seinen Angaben nach keine politische Einflussnahme gegeben.

Arno M. „sofort geständig“

Bei den Ermittlungen in der Schredderaffäre, die sich kurz nach der Veröffentlichung des „Ibiza-Videos“ im Frühsommer 2019 zutrug, sei er nicht hauptverantwortlich gewesen. Er habe aber den Kabinettsmitarbeiter von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Arno M., einvernommen. M. gab in seiner Befragung an, dass er seinem Vorgesetzten, der im Kabinett des damaligen Kanzleramtsministers Gernot Blümel (ÖVP) war, behilflich sein wollte. So ließ er entgegen dem Standardprozess Festplatten unter falschem Namen von einer Aktenvernichtungsfirma mehrfach schreddern. Er vergaß die Rechnung zu bezahlen. Die Firma erstattete gegen ihn Anzeige.

Eva Maria Holzleitner (SPÖ)
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SPÖ-Mandatarin Eva-Maria Holzleitner wollte mehr über ein mögliches Naheverhältnis von R. zur ÖVP wissen

Im Auftrag der WKStA-Staatsanwältin Christina Jilek wurden sowohl M. als auch der Chef der Firma befragt. M. sei bei der freiwilligen Nachschau „sofort geständig gewesen“, sagte die Auskunftsperson. M. wurden auch der Schlüssel und das Handy abgenommen, aber einer Einsicht in sein Handy stimmte der Kabinettsmitarbeiter laut R. nicht zu. Es habe aber ständig vibriert, so R. Auch M. sagte in seiner Befragung, dass er zahlreiche Anrufe in Abwesenheit hatte, als sich sein Handy in den Händen der Beamten befand. M. betonte aber, dass er sich nicht erinnern könne, dass die Kriminalpolizisten in seinem Handy Einschau genommen haben.

Bei der freiwilligen Nachschau ging es laut R. auch darum, Festplatten zu suchen. Grünen-Mandatarin Nina Tomaselli fragte, was man mit dem geschredderten Festplatten und dem „Datenstaub“ hätte anstellen können. „Vielleicht hätte man rekonstruieren …“, führte R. nicht weiter aus. Aber alle Schritte seien dokumentiert und der WKStA übermittelt worden. Er habe zudem mit Jilek telefonisch Rücksprache gehalten. Wenn die WKStA gewollt hätte, dass man das Handy sicherstelle, hätten sie das jederzeit anordnen können. Er sei ohnehin überrascht gewesen, dass es dazu keine Anordnung gab, so der Kriminalpolizist, der seit Herbst 2019 nicht mehr der „SoKo Ibiza“ zugeteilt ist.

Jilek: Kriminalisten sollten Einschau halten

Die frühere WKStA-Staatsanwältin Jilek bestätigte im „Ibiza“-U-Ausschuss, dass es keine Sicherstellungsanordnung gegeben habe. Der Grund sei gewesen, dass die Kriminalisten zuerst mittels freiwilliger Nachschau versuchen sollten, Einblick in das Handy zu haben. Wenn das nicht klappt, hätten die Beamten die Staatsanwaltschaft verständigen müssen. In einem Telefonat mit R. habe dieser gesagt, dass er „reingeschaut“ habe, und "da gibt es eben Kontakte mit Herrn („Falter"-Chefredakteur Florian, Anm.) Klenk, soweit ich mich erinnern kann“. Sie, Jilek, hätte dann gebeten, nochmals nachzuschauen, weil M. ja auch Fotos der Festplatten gemacht hatte. „Danach bin ich an diesem Tag nicht mehr kontaktiert worden“, sagte Jilek im U-Ausschuss.

Stephanie Krisper (NEOS) im Ibiza Untersuchungsausschuss
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Stephanie Krisper (NEOS) zitierte die Aussagen Jileks

Eine Sicherstellungsanordnung wurde dann zu einem anderen Zeitpunkt erlassen. Bevor es jedoch zu einer Sicherstellung kam, wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Wien abgetreten und wenig später eingestellt. Zuvor hatte es von der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien eine Weisung gegeben, dass das Verfahren abzutreten ist, wenn es keinen Zusammenhang zwischen dem „Ibiza-Video“ und der Schredderaffäre gibt. Als letzter Schritt sei eine Anfrage an das Bundeskanzleramt ergangen, das bereits von Brigitte Bierlein geleitet wurde. Mangels Festplatten, die bereits zu Staub geschreddert waren, könne ein Zusammenhang nicht hergestellt werden, hieß es.

R. verteidigte Vorgehen bei den Ermittlungen

R. sagte auf Fragen der ÖVP, dass die Umstände bei der Schredderaffäre überhaupt seltsam gewesen seien. Er führte aus, dass die Wiener Wochenzeitung „Falter“ vor der Sonderkommission vom Schreddersachverhalt gewusst habe, und beim Kanzleramt angefragt. Das sei für die Ermittlungen nicht gut gewesen, so R. Zu Vermutungen, das „Ibiza-Video“ oder andere Hinweise, die mit dem Video in Verbindung stehen, habe sich auf den geschredderten Festplatten befunden, habe R. keine Wahrnehmung. Die Ermittlungen seien von einem Betrugsdelikt ausgegangen.

Von NEOS auf die Aussagen Jileks angesprochen, wonach sie das Vorgehen der SoKo als unüblich beschrieb, sagte R.: „Wenn die WKStA ein bissl G’spür gehabt hätte, hätte sie am nächsten Tag eine Anordnung erlassen können.“ Seiner Meinung nach hätte es keine Rolle gespielt, ob man das Handy am selben Tag, einen Tag oder eine Woche später sicherstellt. „Selbst wenn man es einen Monat später hat und der Inhaber Zeit hat, die Daten zu löschen: Wir können sie wiederherstellen“, so der Kriminalbeamte. Die FPÖ widersprach vehement und fragte erneut, warum er das Handy von M. nicht sicherstellte.

Bis zum Ausscheiden aus der Sonderkommission – „wegen eines nebenberuflichen Studiums“ – gab es laut R. keine Anordnung – er habe erst später von Jileks Sicherstellungsanordnung erfahren. Diese habe die „SoKo Ibiza“ nicht mehr erhalten, weil eben das Verfahren abgetreten wurde. Die Ermittlungen bei M. seien nach Meinung von R. ganz normal abgelaufen. Der Beschuldigte habe sich kooperativ und geständig gezeigt, berichtete die Auskunftsperson.

SPÖ ortet „Vertuschung“ bei Schredderei

Vor Beginn der Befragungen hatte SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer mit Blick auf die Schredderaffäre von einer „Vertuschung“ gesprochen. Krainer äußerte den Verdacht, dass es sich um zwei Laptop-Festplatten und drei Druckerfestplatten gehandelt haben muss. Auf dem Foto, das M. vor der Schredderei von den fünf Festplatten machte, sind drei Festplatten von Toshiba und zwei weitere Festplatten anderer, unterschiedlicher Bauart, zu sehen.

Wolfgang Gerstl (ÖVP) beim Ibiza Untersuchungsausschuss
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ÖVP-Abgeordneter Wolfgang Gerstl führt in der Befragung näher aus, dass Jabloner eine Befangenheit R.s ausschloss

Krainer äußerte den Verdacht, dass die Festplatten vom Laptop von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) stammen könnten. Blümel hatte unter anderem im U-Ausschuss angegeben, dienstlich keinen Laptop genutzt zu haben. Der SPÖ-Mandatar legte die Rechnung jener Firma vor, die die Festplatten aus dem Bundeskanzleramt ausgebaut hatte. Dieser Rechnung sei zu entnehmen, so Krainer, dass diese Festplatten nicht aus den Druckern stammen können, weil Festplatten dieser Bauart gar nicht auf der Rechnung der beauftragten Firma angeführt seien. Es stelle sich die Frage, wo die anderen zwei Druckerfestplatten sind: „Wer hat sich die eingesteckt?", fragte sich Krainer.

Die weitere Frage sei, warum die ÖVP bisher stets von Druckerfestplatten geredet habe, obwohl das nicht der Fall gewesen sei. „Offenbar gibt es hier etwas, was ganz schnell vertuscht werden musste“, so Krainer. NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper wies darauf hin, dass offenbar zwei ausgebaute Laptop-Festplatten ausgetauscht und die Ermittlungen zur Causa torpediert worden seien. ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl kommentierte die Darstellungen im Vorfeld der Befragung: „Wir haben bisher keine anderen inhaltlichen Feststellungen, die bis jetzt im Ausschuss getroffen worden sind.“ Er sei „kein IT-Experte“, sagte Gerstl auf Nachfrage.