Rock’n’Roll-Star Jerry Lee Lewis
AP/Tony Dejak
1935–2022

Jerry Lee Lewis ist tot

Er war nach Elvis Presley, Chuck Berry und Little Richard der letzte der vier Könige des Rock ’n’ Roll, nun ist auch er tot: Jerry Lee Lewis ist im Alter von 87 Jahren eines natürlichen Todes gestorben. Das teilte sein Agent am Freitag mit. Seine siebente Ehefrau, Judith Coghlan Lewis, sei an seiner Seite gewesen. Mit seinem entfesselten Klavierspiel und Songs wie „Great Balls of Fire“ und „Whole Lotta Shaking’ Goin’ On“ schrieb er Musikgeschichte. Ebenso wild wie auf der Bühne ging es im Privatleben des „Killers“ zu.

„Elvis war der Größte“, sagte Lewis gern, „ich war der Beste.“ Auf jeden Fall war er der Wildeste. „Rock & Roll’s first great wild man“ wurde er genannt: Kaum ein anderes Rockerleben war so gezeichnet von Drogen, Gewalt, Sex, Schulden und Tod wie das von Lewis, dem Spross einer streng religiösen Familie. Diese nahm sogar eine Hypothek auf ihr Haus auf, um dem talentierten Kind ein Klavier zu kaufen.

Auf seine Bildungskarriere sollte sich das nicht positiv auswirken: Nach einer Boogie-Version von „My God Is Real“ bei einer Schulaufführung wurde Lewis der christlichen Bildungseinrichtung, in die seine Mutter ihn geschickt hatte, verwiesen. Lewis tingelte dann als Musiker durch Clubs, ehe er 1956 nach Memphis, Tennessee, reiste, um bei der Plattenfirma Sun Records vorzuspielen.

Vom Session-Musiker zum Star

Prompt wurde er als Musiker engagiert und spielte mit Stars des Labels wie Carl Perkins, Johnny Cash und auch Elvis. Legendär wurde eine im Dezember 1956 aufgenommene Session, bei der alle vier Musiker mit von der Partie waren und die als „Million Dollar Quartet“ veröffentlicht wurde.

„The Million Dollar Quartet“ im Sixteen Magazin
AP/M. Spencer Green
Eine Session schrieb Geschichte

Plattenboss Sam Phillips erkannte schnell das Potenzial des jungen Musikers, baute ihn auch als Solokünstler auf. Mit großer Vermarktung eroberte im Sommer 1957 „Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“ zunächst die Memphis- und Country-Charts, nach einem Auftritt in einer bekannten TV-Show fand sich der Song in den Top Drei der Billboard-Charts wieder.

Wenige Monate später folgte „Great Balls of Fire“, Lewis wohl größter Hit. Er erreichte Nummer zwei in den US-Charts und die Spitze der britischen Hitparade. Seine Art des Klavierspiels begeisterte die Massen: Mit Händen und Füßen hämmerte er stehend auf die Tasten, tanzte auf dem Musikinstrument, und in den folgenden Jahren sollte das eine oder andere Klavier auf offener Bühne abgefackelt werden. Auch eckte er mit seinen nicht gerade gottesfürchtigen Texten an – und punktete damit freilich auch.

Als Country-Star sich selbst neu erfunden

Wiewohl seine Konzerte seine Erfolgsgeschichte weiterschrieben, blieb er mit seinen Platten ab dem Wechsel zu Smash Records 1963 eher erfolglos. Der Siegeszug der Beatles hatte begonnen, der neue Sound ließ den Rock ’n’ Roll von Lewis eher alt aussehen.

Fotostrecke mit 16 Bildern

Jerry Lee Lewis 1957 in „Jamboree“
www.picturedesk.com/Library of Congress/Everett Collection
Jerry Lee Lewis 1957 im Film „Jamboree“
Jerry Lee Lewis im Lone Star Cafe 1987, am Hollywood Walk of Fame 1989 und vor Gericht 1986
AP/Susan Ragan; AP/Doug Pizac; AP/Todd Lillard
Jerry Lee Lewis im Lone Star Cafe 1987, auf dem Hollywood Walk of Fame 1989 und vor Gericht 1986
Jerry Lee Lewis,  Fats Domino und James Brown
AP/G. Paul Burnett
Lewis mit Fats Domino und James Brown
Jerry Lee Lewis, Sam Phillips und Ike Turner
AP/John L. Focht
Lewis mit dem Chef von Sun Records, Sam Phillips, und Ike Turner
Jerry Lee Lewis mit seiner Frau Myra Lewis
AP
Lewis mit seiner dritten Frau Myra, die bei der Heirat erst 13 war
Cafe in Memphis mit einem Bild des „Million Dollar Quartet“
AP/Greg Campell
Cafe in Memphis mit einem Bild des „Million Dollar Quartet“
Billy Joel und Jerry Lee Lewis 1981
AP/MediaPunch/PHOTOlink/Adam Scull
1981 im Gespräch mit Billy Joel
Rock’n’Roll-Star Jerry Lee Lewis 2009
Reuters/Lucas Jackson
Lewis bei einem Konzert 2009
Chris Stapleton, Morgane Stapleton, Lee Ann Womack, Waylon Payne, George Strait, Toby Keith, Lisa Meyers, Kris Kristofferson, Jerry Lee Lewis und Judith Brown
APA/AFP/Getty Images/Rick Diamond
Lewis unter anderen mit Kris Kristofferson bei einem Tribute-Konzert 2017
Jerry Lee Lewis 2007
Reuters/Chip East
Ein Konzert 2007
Jerry Lee Lewis 2008
Reuters/Mike Blake
2008 mit Little Richard
Chuck Berry und Jerry Lee Lewis 1986
AP/G. Paul Burnett
Chuck Berry und Jerry Lee Lewis 1986
Jerry Lee Lewis 2000
AP/Sarah Martone
Der Star im Jahr 2000 in Aktion
Jerry Lee Lewis in New York 1987
AP/Susan Ragan
Der Musiker in New York 1987
Jerry Lee Lewis 2017 in Nashville, USA
APA/AFP/Getty Images/Rick Diamond
Lewis 2017 in Nashville
Rock’n’Roll-Star Jerry Lee Lewis 2006
AP/Mel Evans
2006 noch mit charakteristischer Beinpose

Lewis wechselte das Genre: Mit „Another Place, Another Time“ wurde er 1968 zum Country-Star und veröffentlichte in den Jahren darauf etliche Alben in diesem Stil, auch wenn er dazwischen sich zeitweise dem Rock widmete und auch hier wieder Erfolge feierte, live bestimmten ohnehin die alten Nummern sein Repertoire.

Ehe mit 13-jähriger Großcousine als Skandal

Kaum weniger bewegt als seine Laufbahn war Lewis’ Privatleben. Sieben Ehen, aus denen sechs Kinder hervorgegangen sind, hat er hinter sich. Die erste schloss er mit 16. Die zweite Ehe war rechtlich umstritten, nachdem sie gut drei Wochen vor der rechtskräftigen Scheidung geschlossen wurde.

Ehe Nummer drei wurde ihm beruflich zum Verhängnis. 1958 auf einem Londoner Flughafen von einem Journalisten befragt, gab er zu, seine Großcousine Myra Gale Brown geheiratet zu haben. Sie sei 15, erklärte er, tatsächlich war sie erst 13 Jahre alt. Vor allem in Großbritannien löste die Liaison einen Sturm der Entrüstung aus und zwang Lewis, seine Tournee am dritten Abend abzubrechen. Danach gelang es dem singenden Pianisten aus dem tiefen Süden der USA nie mehr, unter den Top 20 der US-Popcharts zu landen.

Jerry Lee Lewis 1989 in Memphis, USA
AP/Todd Lillard
Bei einer Party 1989 in Memphis

Turbulentes Eheleben

Erneut war die Ehe aber vor der Scheidung von der Ex geschlossen worden, die Zeremonie musste wiederholt werden. Bis 1970 hielt sie, zwei Kinder gingen aus der Verbindung hervor, sein Sohn Steve Allen Lewis ertrank als Dreijähriger im Pool. Dieses Schicksal ereilte auch seine vierte Ehefrau 1982 nach elf Jahren Ehe – und kurz vor der bevorstehenden Scheidung.

Seine fünfte Frau wurde 1983 nach nur 77 Tagen Ehe tot aufgefunden, die Ursache blieb ungeklärt. Immerhin 21 Jahre – von 1984 bis 2005 – hielt seine sechste Ehe. 2012 heiratete er seine Pflegerin, die gleichzeitig die Ex-Frau seinen Cousins, und damit Schwägerin seiner dritten Frau Myra war.

Mit ihr entbrannte auch ein handfester Familienstreit ums Geld: Praktisch sofort nach der Hochzeit wurden Lewis’ Tochter Phoebe, die bis dahin als Managerin ihres Vaters agiert hatte, sämtliche Vollmachten entzogen, 2017 zog man dann gegenseitig vor Gericht, die Streitigkeiten spalteten die Familie.

Mit Steuerbehörden auf dem Kriegsfuß

Überhaupt reihten sich viele Rechtsstreitigkeiten im Leben des Musikers. 1979 wurden Land und Besitz des Musikers beschlagnahmt und zwangsversteigert, um Steuerschulden in Höhe von 274.000 Dollar zu begleichen. Wenige Jahre später griffen die Steuerbehörden wieder auf das Eigentum von Lewis zu, 1988 meldete er Insolvenz an. 1993 zog er für vier Jahre nach Irland – ebenfalls, um den Steuerbehörden zu entkommen. Dort musste er sich wiederum mit Klagen eines deutschen Konzertveranstalters herumschlagen, der ihn wegen eines abgesagten Konzerts ins Visier nahm.

Der berühmteste Zwischenfall mit Behörden ereignete sich im November 1976, als Lewis mit einer Waffe in der Nähe von Elvis Presleys Anwesen Graceland aufgegriffen wurde und eine Flasche Champagner aus einem Auto werfen wollte, allerdings bei geschlossenem Fenster. Lewis gab an, von Presley einmal eingeladen worden zu sein und dieser Einladung nach einem Barbesuch in der Nähe nachkommen zu wollen. Lewis musste 250 Dollar Strafe zahlen, das Polizeifoto ging um die Welt.

Bis ins hohe Alter auf der Bühne

Lewis’ bewegtes Leben wurde bereits 1989 als „Great Balls of Fire!“ mit Dennis Quaid und Winona Ryder in den Hauptrollen verfilmt. Auch wenn der Musiker mit seiner Darstellung eher unzufrieden gewesen soll, nahm er für den Soundtrack die verwendeten Songs neu auf.

Jerry Lee Lewis in der Rock and Roll Hall of Fame, New York 2005
Reuters/Mike Segar MS
Lewis 2005, als er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurde

2014 erschien sein letztes Album „Rock & Roll Time“, allerdings hieß es 2020, er arbeite an einem Gospel-Album. Im Jahr davor hatte er einen leichten Schlaganfall erlitten. Bis kurz vor seinem 80. Geburtstag war er immer wieder noch auf Tour, aufgrund eines Rückenleidens erklomm er mit Gehstock die Bühne – doch sobald er am Klavier saß, funktionierten die alten Instinkte des „Killers“ wieder. Das zeigte er auch bei seinem letzten Auftritt 2015 in Wien.