Heilige Maria am Oberarm
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Maria und Maori

Umstrittener Trend zu religiösen Tattoos

Ein prunkvoll verziertes Kreuz auf dem Bizeps, die Mutter Gottes auf dem Oberarm oder ein traditionelles Maori-Tattoo auf dem ganzen Bein: Tätowierungen mit religiösen Motiven gibt es nicht erst seit gestern – aber gerade derzeit ist ein Trend in neuem Ausmaß zu verzeichnen. Dabei sind solche Tattoos nicht unumstritten, Stichwort Cultural Appropriation.

Michael Fenz tätowiert seit fast 20 Jahren, die Anzahl seiner eigenen Tattoos kann er nicht mehr nennen. Unzählige Motive schmücken seinen Körper, auf seinem Unterarm ist die altägyptische Gottheit Thot zu sehen. Der Wiener ist seit Jahrzehnten in der Tattooszene verankert und hat einen Wandel in der Akzeptanz von Tattoos miterlebt.

„Tätowierungen sind vom Outsidertum mitten in die Masse der Gesellschaft gelangt, und das mit allen Vor- und Nachteilen“, so Fenz. Seine Kundinnen und Kunden würden sich immer mehr trauen. Es sei kein Problem mehr, sich den kompletten Rücken oder Arme tätowieren zu lassen „und alles zu machen, was die Kunst hergibt“. Gerade Maori-Motive werden oft großflächig tätowiert.

Umstrittener Boom bei religiösen Tätowierungen

Immer mehr Menschen lassen sich religiöse Motive tätowieren. Oft handelt es sich dabei um „kulturelle Aneignung“ aus Modegründen, lautet ein Vorwurf.

Kulturelle Aneignung

Sich religiöse Motive auf dem Körper verewigen zu lassen, sieht der evangelische Theologe und Religionspädagoge Christoph Örley durchaus kritisch. Er hat sich in den vergangenen Jahren viel mit der Tattookultur beschäftigt. Seinen Körper verzieren sechs Tattoos, einige seiner Motive haben einen religiösen Hintergrund wie etwa der Davidstern und das Kreuzmotiv.

Nicht selten, sagt er, würden religiöse Symbole wie beispielsweise das Kreuz als Modeaccessoir verwendet. Problematisch sei das, „weil es anderen heilig ist, heilig im Sinn von unverfügbar. Ich kann damit nicht machen, was ich will. Ich könnte mir auch nicht die Silbe Om in Sanskrit tätowieren lassen, weil ich mit dieser Silbe nichts verbinde. Das wäre nur Design und somit eine Abwertung.“

Maori in Neuseeland
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Die traditionellen Tätowierungen der Maori

Ähnlich kritisch positioniert sich Örley bei den Motiven der Maori, also der indigenen Bevölkerung Neuseelands, die in Europa in den vergangenen Jahren immer wieder auf große Beliebtheit stießen. „Hier muss man von Cultural Appropriation sprechen, also von widerrechtlicher Aneignung“, erklärt er. Es sei ein Problem, wenn Menschen, die nicht in der Region leben, nicht im Sozialsystem und nicht im religiösen System der Maori verwurzelt sind, sagen: „Oh, die Maori haben so tolle Tattoos, das sind so großartige Flächen und Muster. Ich will auch so was.“

Gespräch mit Maori suchen

„Die Kunstform der Maori bringt durch ihre Linien den Körper ganz anders zur Geltung, daher sind diese Motive auch bei Sportlerinnen und Sportlern sehr beliebt“, erklärt Fenz. Trotz Beliebtheit der Motive bei seinen Kundinnen und Kunden sieht auch er den immer wiederkehrenden Trend problematisch. „Die Maori haben eine uralte Tattootradition. Die Motive haben in ihrer Welt eine spezifische Bedeutung und sind dort religiös verhaftet. Es sind Tattoos, die eine europäische Missionierung eigentlich ausrotten wollte“, so Fenz.

Daher fordert Fenz auch, sich mit den Betroffenen, den Maori, an einen Tisch zu setzen: Es gelte, nicht immer nur über sie, sondern mit ihnen über ihren besonderen Köperschmuck und die umstrittene Praxis der Cultural Appropriation zu sprechen.

„Ihr sollt euch keine Zeichen einritzen“

Die verschiedenen Religionen haben unterschiedliche Haltungen zu Tätowierungen: Der Buddhismus etwa steht dem Tätowieren offen gegenüber „und kennt Tattoos aus religiösen Gründen mit religiösen Inhalten in der Praxis der buddhistischen Mönche und Laien“, so Örley.

Theologe Christoph Örley mit Tattoo
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Theologe Christoph Örley mit Tätowierung

In den abrahamitischen Traditionen, also im Judentum, Christentum und Islam werden Tattoos oft mit Skepsis betrachtet. „Ihr sollt um eines Toten willen an eurem Leib keine Einschnitte machen noch euch Zeichen einritzen; ich bin der Herr“, heißt es etwa im Alten Testament (3. Mose, 19,28). Manche Jüdinnen und Juden beziehen sich auf das Heiligkeitsgesetz im dritten Buch Mose.

Menschen, „die sich dieser Frömmigkeit verpflichtet fühlen, haben einen restriktiven Zugang zu Tätowierungen“, sagt Örley. Er selbst teilt diese Frömmigkeit nicht, der man auch im Christentum begegnet, wonach der Körper ein Tempel sei: „Ich denke, einen Tempel darf man durchaus schmücken.“ Doch beim Thema Body Modification, also der absichtlichen Veränderung des Körpers – etwa durch Implantate –, zieht er eine Grenze, da es ein Eingriff in die „Geschöpflichkeit“ des Menschen sei.

Tätowierer Michael Fenz im Studio
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Tätowierer Michael Fenz im Studio

Phänomen seit Urzeiten

Tätowierungen sind wahrlich kein neues Phänomen, eine der ältesten Tätowierungen fand man auf der Gletschermumie Ötzi. Ihn schmücken 61 Tätowierungen. „Auch ägyptische Mumien waren tätowiert“, sagt Tätowierer Fenz.

Und selbst Apostel Paulus wird nachgesagt, tätowiert gewesen zu sein. „Ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib“, schreibt er im Galaterbrief. Damit war Paulus vermutlich nicht allein, denn es sollen die Römer gewesen sein, die frühe Christinnen und Christen durch Brandmale oder Tätowierungen als Andersgläubige gekennzeichnet haben.